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Seit vielen Jahren malt Dreier queere Personen.

© Maurus Knowles

Künstlerin Minette Dreier über ihre Porträts: „Ich finde Haut sehr persönlich und interessant zu malen“

Minette Dreier porträtiert Personen der queeren Community. Ihre Bilder sind nun in einer Berliner Ausstellung zu sehen.

Minette Dreier, Sie zeichnen seit Jahren Größen der queeren Community in Berlin. Wie wählen Sie die Personen aus?
Üblicherweise mache ich das nach meinem Gusto. In letzter Zeit gab es auch immer mal Bewerbungen, von Menschen, die sagen: Ich sehe die Bilder jetzt schon so lange und würde mich freuen, wenn ich dazu gehöre. Es fing an mit einer Porträtserie von Drag Queens und Drag Kings und hat sich dann schnell ausgeweitet – auf die queere Bohème, so würde ich das nennen. Es sind Personen, die oft auf irgendeine Art eine Zweitpersona haben oder in der queeren Community eine Rolle spielen

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ein großes Thema war damals für mich Klischees – und dieser Mann-Frau-Gegensatz ist eines der größten Klischees und eines, zu dem wir uns alle positionieren müssen. Ich fand das interessant: Was passiert, wenn ein Mann eine typische Männerrolle bewusst nicht will und die Rolle einer Queen annimmt? Wie geht das, wie stelle ich Geschlecht dar? Ich muss aber auch sagen, dass sich in den 20 Jahren seitdem extrem viel getan hat. Viele Sachen betrachte ich heute anders.

Ihre Porträts entstehen geradezu klassisch in langen Sitzungen, Sie berufen sich zum Beispiel auf Rubens, Goya, Velazquez. Warum ist Ihnen dieser Ansatz so wichtig?
Der queeren Community wird gesamtgesellschaftlich oft noch mit einer gewissen Reserviertheit begegnet, mit einer gewissen Abschätzigkeit. Und da jetzt mit Porträtmalerei zu kommen, mit Öl auf Leinwand – das waren die Päpste und die Königshäuser, die sich das früher gönnten. Und ich gönne das jetzt meiner Familie und mache unsere gemeinsame Genealogie. Das hat etwas mit Würde zu tun, mit Ansehen und einer Kanonisierung.

Ist das auch ein Grund, warum Sie Motive aus klassischen Bildern in Ihre Werke aufnehmen?
Das gehört auch dazu, ja. Diese Motive sind oft ein Ausgangspunkt. Ich arbeite eben nicht mit professionellen Models, wie etwa an der Hochschule mit Aktmodellen. Mir geht es darum, mit einer Person ein Bildnis zu erarbeiten. Wenn ich dann einen Katalog öffnen und einen Giacometti oder ein Rubens-Gemälde zeige, mit herrlichen Drehungen und dramatischen Gesten – dann bringt das Feuer rein und ist oft der Ausgangspunkt für die Inszenierung.

Das Gemälde zeigt die Autorin und Performerin Kitty Hawk und wird in der aktuellen Ausstellung gezeigt.
Das Gemälde zeigt die Autorin und Performerin Kitty Hawk und wird in der aktuellen Ausstellung gezeigt.

© Minette Dreier

Auffällig ist, dass viele Bilder Akte sind oder Halbakte. Zufall oder nicht?
Wie könnte das Zufall sein?! – Es hängt immer von der Person ab: Für manche kommt es überhaupt nicht infrage, für andere ist es kein Problem. Ich finde Haut sehr persönlich und interessant zu malen. Kleidung ist halt auch immer Verkleidung und eine Möglichkeit, sich dahinter zurückzuziehen.

Ich mache so lange weiter, wie ich interessante Modelle finde.

Minette Dreier, Malerin 

Ebenso fallen die Settings ins Auge, in denen Sie Ihre Modelle malen. Eine Person etwa fesselt ein Krokodil, eine andere liegt in einem Oktopus. Wie entsteht das?
Wenn der Körper fertig ist, ist auch die Arbeit des Modells erst einmal beendet. Den Rest mache ich mit mir und meiner Fantasie aus. Das kann sich auch eine Weile hinziehen. Ich blättere in meinen Katalogen, etwas läuft im Fernsehen, ich bemerke etwas im Internet – und plötzlich verfängt sich etwas. Ein Beispiel: Einmal war eine Figur fertig, und dann habe ich mit meinem Vater eine Naturdoku gesehen über den Waldrapp, der in Deutschland wieder angesiedelt werden soll. Aus irgendeinem Grund habe ich eine Notiz gemacht: Das passt zu dieser Figur. Aus solchen Assoziationen fügen sich oft ganze Geschichten.

Berlin ist divers, Sie haben bisher aber vor allem weiße Personen porträtiert. Wie kommt das?
Das ist mir auch schon seit längerem aufgefallen. Lange Zeit konnte ich das vielleicht auch damit begründen, dass die Bühnen oder Orte, die ich besuche, überwiegend weiß sind. Ich will das ändern, das ist sicher.

108 Werke gibt es schon in der Reihe, wie viele sollen es insgesamt werden?
Ich habe mir keinen Endpunkt gesetzt. Ich mache so lange weiter, wie ich interessante Modelle finde.

Sie haben auch eine Ikonen-Serie mit Malerinnen des 19. Jahrhunderts geschaffen. Was hat es mit diesem Projekt auf sich?
Es gibt das Lexikon der Malerei, das mich auch durchs Studium begleitet hat. 800 Jahre Kunstgeschichte, darunter neun oder zehn Frauen. Ich habe das erstmal so hingenommen und gedacht: Die haben das vielleicht nicht gemacht. Ein Buch zur Kunstgeschichte als Sozialgeschichte hat mir damals irgendwann klar gemacht, woran das liegt: Finanzielle Möglichkeiten, keine Zulassung zu Hochschulen und so weiter. Das Buch fiel mir vor einigen Jahren wieder ein.

Die Autorin hatte Namen von Malerinnen genannt, und dank des Internets konnte ich recherchieren, was man von diesen Malerinnen weiß. Ich fand die ersten, und dann ging es immer weiter. Ich habe jetzt Namen von mehr als 1000 Frauen, die belegbar Kunst gemacht haben. Ich habe auch überraschend viele Paare gefunden. Und daraus ist die Serie „Lesbische Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts“ entstanden.

Was ist bei der Ausstellung in der Buchhandlung Eisenherz zu sehen?
Eisenherz präsentiert viel schwule Kunst und möchte gern mehr queere Positionen zeigen. Ich habe nun elf Porträts von Personen herausgesucht, die schreiben oder Bücher machen. Eisenherz hat dieses Jahr 45. Jubiläum, meine Serie 20. – das passt bestens.

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