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Die österreichische Künstlerin Mara Mattuschka in Berlin.

© Jana Demnitz

Künstlerin Mara Mattuschka: "Menschen fürchten sich am meisten vor sich selbst"

Die österreichische Künstlerin und Filmemacherin Mara Mattuschka setzt sich mit Schönheit und Identität auseinander. Ein Gespräch über das queere Wien, die rechtskonservative Regierung in ihrem Land und ihren neuen Film "Phaidros".

Kürzlich war auf dem Xposed Queer Film Festival Ihr Film "Phaidros" zu sehen, den Sie auch selbst produziert haben. Warum war es Ihnen so wichtig, diesen Film zu realisieren?

Diese Geschichte um Macht, Unterwerfung und Sex, die im Wiener Theatermilieu angesiedelt ist, tönte wie eine Polyphonie bereits in meinem Kopf. Ich hörte die Figuren reden und wusste, wer sie verkörpern wird. Ich habe nur danach getrachtet, diesen Film zu realisieren, zu materialisieren. Jetzt ist der Film fertig und ich kann das alles mit meinen eigenen Augen sehen. Die Geschichte ist aus meinem Kopf heraus, ich fühle mich befreit.

"Phaidros" hat auch eine dokumentarische Seite und zeigt die queere Szene von Wien.
Die queere Thematik war mir sehr wichtig. Wien hat eine lange queere Geschichte, die ich nicht hätte neu erfinden können. Die Artefakte und Orte sind größtenteils authentisch: Die historische Herrensauna "Kaiserbründl", das Café "Savoy", all diese wunderbaren Orte, die seit Jahrhunderten existieren und die gay culture in Wien begründen. Auch die Wohnungen, in denen wir gedreht haben, sind echt. Die Wohnung von Maurizio im Film ist die Wohnung des Malers Stefan Riedl, der die Fresken im "Kaiserbründl" gemalt hat. Das ist alles ein existierendes Universum. Ich wollte unbedingt diese Aspekte in dem Film mit einzubeziehen, denn sie sind ein Stück historische Realität. Einige Darstellerinnen sind in der Szene aktiv, etwa die junge transgender Darstellerin May Teodosio, oder Lucy McEvil und Tamara Mascara, die als Dragqueens große Bühnenshows feiern.

Die Frauenfiguren werden in dem Film gerade zu gefeiert.
Ich empfinde bei all diesen Figuren eine unglaubliche Stärke. Sie werden nicht als Opfer dargestellt, eher als Apotheose überhöht.

Was verbindet Sie selbst mit der queeren Szene in Wien?
Ich habe keine eindeutige sexuelle Identität, das ist schon immer Teil meines Selbstverständnisses gewesen. Manchmal empfinde ich mich selbst auch als einen schwulen Mann, oder auch als Kind oder als alte Frau. Unsere individuelle Identität ist sehr komplex.

Sie verhandeln auch die Themen Schönheit, Alter, Liebe und Begehren. Eine Kritik auf die heutige Selbstoptimierung, zu der viele neigen?
Mein ganzes Leben lang beschäftige ich mich mit der Schönheit. Sie ist das, was ich mit meiner Kunst darzustellen versuche. Ich sehe Schönheit in Bewegungen, in Gesten, in Gesichtern, in individuellen Zügen. Ich sehe Schönheit sogar in Besonderheiten, die manche vielleicht als "Defekt" definieren würden. Gerade das, was von der Norm abweicht, drückt die Individualität einer Person und eines Körpers aus. Das sollten wir wertschätzen.

Szene aus "Phaidros" von Mara Mattuschka.
Szene aus "Phaidros" von Mara Mattuschka.

© Mara Mattuschka/Xposed

Sie sind in Bulgarien geboren und als junge Frau 1976 zusammen mit ihren Eltern nach Österreich gekommen. Wie schwer war es für Sie, von einer sozialistischen in eine kapitalistische Welt zu wechseln?
Im Kapitalismus werden viele Illusionen erzeugt, im Osten hatten wir dagegen wenig bis gar keine Illusionen. Das heißt, dort war es einfacher, die Opposition zwischen dem Ich und der Gesellschaft zu erkennen. Zum Glück gibt es überall Menschen, die wunderbar sind, mit denen man eine Art "Familie" gründen kann, in der man sich, auch unter widrigen Umständen, geborgen fühlen kann. Dieser Famieliengründungsimpuls ist mir geblieben.

Sie werden auch als feministische Künstlerin bezeichnet. Was ist das feministische in Ihrer Kunst?
Ich möchte mich selbst nicht definieren. Ich möchte absolut frei sein von jeglichen Schulen oder Ideologien, während ich arbeite. Ich strebe auch nicht explizit eine politische Korrektheit an. Ich mache das, woran ich glaube. Und ich habe das Vertrauen zu mir selbst, dass ich eine Mensch, Individuum und Freiheit bejahende Haltung habe. Ich wage zu behaupten, dass die Frau in all meinen Filmen eine ganz spezifische Wertung erfährt. Das lässt eine feministische Deutung zu.  

Ein Bild der Künstlerin Mara Mattuschka in einer Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen.
Ein Bild der Künstlerin Mara Mattuschka in einer Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen.

© dpa/Ingo Wagner

Möchten Sie mit Ihren Werken irritieren?
Nein. Ich werde in Kritiken oft als Tabubrecherin beschrieben. Aber ich habe noch nie das Gefühlt gehabt, ich breche irgendwelche Tabus vorsätzlich. Ich habe immer einer abstrakten Idee gedient, eine eigene Ästhetik kreiert, Probleme der Darstellung gelöst und wenn es notwendig war, habe ich mich entblößt. Ich wollte einfach frei sein in Form und Inhalt meiner Stücke und oft wurde das eben als Tabubruch oder Provokation gedeutet. Im Vorfeld denke ich nie darüber nach, was dieses oder jenes Werk für eine Reaktion auslösen könnten.

Was sagt das über die heutige Gesellschaft aus, wenn Ihre Kunst gleich als Tabubruch bezeichnet wird?
Ich denke, Menschen fürchten sich vor sehr vielen Dingen und am meisten fürchten sie sich vor sich selbst. Ich glaube, viele wollen nur ihre Aggressionen oder auch andere negativ besetzte Regungen oder Emotionen kaschieren, und beginnen dann, sich moralistisch oder ideologisch zu geben. Wir sind unser eigener Wolf im Schafspelz. Die Transformation des Ichs und die Befreiung von eigenen Vorurteilen müssen sich innerlich vollziehen. Diese Prozesse sind langwierig und sehr komplex, sind aber zweifellos möglich.

Mara Mattuschka im Gespräch auf dem Xposed Queer Film Festival im „Aquarium“ in Kreuzberg.
Mara Mattuschka im Gespräch auf dem Xposed Queer Film Festival im „Aquarium“ in Kreuzberg.

© Jana Demnitz

Nehmen Sie mit der neuen rechtskonservativen Regierung in Österreich verstärkt einen Backlash in der Gesellschaft war?
In den 1990er-Jahren habe ich mich eher danach gesehnt, dass Menschen in öffentlichen Debatten nicht nur relativistische Pro- und Contra-Argumente austauschen, sondern etwas mehr Haltung zeigen. Jetzt scheint das Gegenteil eingetreten zu sein, ich sehne mich eher nach einer Entschärfung des vorherrschenden Tons. Es findet eine unglaublich primitive Polarisierung statt, die unter anderem zu dieser Regierung geführt hat. Natürlich versucht die österreichische Kulturwelt, auch Widerstand zu leisten und aufzupassen, dass die rechten Strukturen nicht zu tief in die Gesellschaft greifen. Es sind Plattformen entstanden, wie zum Beispiel "Klappe auf", die die Regisseurin Tina Leisch zusammen mit anderen ins Leben gerufen hat.

Wie stabil ist das demokratische System in Österreich Ihrer Meinung nach?
Österreich hatte ja schon einmal eine Mitte-rechts-Regierung zwischen der Volkspartei ÖVP und FPÖ Anfang 2000. Auch die aktuelle Regierung wird irgendwann abgewählt werden.

Woran arbeiten Sie aktuell?
Ich schreibe an einem Theaterstück über Oscar Wildes "Bildnis des Dorian Gray", das im kommenden Jahr über die Bühne gehen wird. Das Stück hat aber nicht direkt mit dem Buch zu tun, es ist vielmehr eine Satire auf den modernen Kunstmarkt, der sich wie ein großer Krake über der Kunst hockt. Es ist eine Geschichte über Gier, in der aber auch viel Drolliges dabei ist.  

Haben Sie noch so viel künstlerische Energie wie vor 20, 30 Jahren?
Heute verspüre ich sogar noch mehr Energie. Und das hängt mit der ständigen Beschäftigung mit Kunst zusammen. Über die Jahre habe ich auch Fähigkeiten erworben, so dass ich jetzt viel deutlicher und schneller Dinge sehe und darauf reagiere. Das Leben und die Kunst waren noch nie so spannend wie jetzt.

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