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Diana Kinnert (30) beschreibt in ihrem neuen Buch “Die neue Einsamkeit” ein Phänomen junger Generationen.

© imago/Future Image

CDU-Politikerin Diana Kinnert im Interview: "Ich treffe selten Parteikolleg*innen, die so sind wie ich"

Diana Kinnert ist lesbisch, hat eine Migrationsgeschichte und arbeitet für die CDU. Ein Gespräch über das Thema Einsamkeit, zu dem sie gerade ein Buch veröffentlicht hat.

Diana Kinnert, was ist Einsamkeit für Sie?
Es gibt eine sehr klassisch verstandene Einsamkeit, die damit zu tun hat, dass man die Abwesenheit anderer Menschen wahrnimmt. Also ein Defizit an Austausch und Intimität empfindet, dass ich negativ konnotiere. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein: Wenn ich selbstbestimmt allein bin, darin Erholung und Inspiration finde, dann ist das ein positiver Zustand. Ich lerne mich dadurch kennen und erlebe Bereicherung. Wenn ich unter einem Alleinsein leide, ist es Einsamkeit.

Die klassische Lesart hat damit zu tun, abgeschnitten zu sein –alte Menschen zum Beispiel, die keine Angehörigen mehr haben, kein Internet, keine sozialen Kontakte. Eine Lösung liegt darin, agile Infrastrukturen zu schaffen, diesen Menschen Teilhabe zu garantieren, sie in soziale Gefüge einzubinden, zum Beispiel durch das Angebot von Mehr-Generationen-Häusern unterzubringen.

Und was ist die neue Einsamkeit, die Sie in Ihrem Buch beschreiben?
Die neue Einsamkeit betrifft eine junge Generation, die extrem vernetzt ist, extrem erreichbar ist, aber dennoch Einsamkeit empfindet. Eine paradoxe Situation. Dabei geht es nicht um die Abwesenheit anderer Menschen geht, sondern um die Qualität sozialer Verbindung. Das heißt, ich kann mit sehr vielen Menschen vernetzt sein, sie können tausende Likes und Follower darstellen, aber in dem Moment, in dem sie nur ein Abbild von mir mögen, fühle ich mich nicht aufrichtig erkannt, dann fehlt mir Vertrauen und Fürsorge.

Damit ist das Ganze auch nicht authentisch?
Es hat mit Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit zu tun. Vor allen Dingen hat es etwas mit einem geringen Selbstwert, dem Druck zu Selbstoptimierung und Perfektion zu tun. Viele fühlen, sie können nicht mithalten, reichen nicht aus, wollen sich anderen nicht zumuten. Und dann kommt noch eine ältere Generation und spricht den Jungen Druck und Angst ab: „Bei uns gab es Krieg und Armut. Reißt Euch gefälligst zusammen.“ Das führt dazu, dass sich die Jüngeren nur noch mehr in sich zurückziehen, sich mit ihrem wahren Ich und echten Gefühlen nicht ausliefern wollen.

Das Thema Einsamkeit ist besonders für queere Menschen relevant. Was glauben Sie, wieso das so ist?
Queere Menschen standen in der Vergangenheit eher am kulturellen Wegesrand der Gesellschaft. Sie wurden als Sünder geschmäht, diskriminiert, waren und sind vor dem Recht nicht gleich. Einsamkeit ist etwas, mit der auch eine nicht betroffen queere Person Scham, Diskriminierung und Ausschluss assoziiert. Das sind leider sehr natürliche Gefühle für queere Menschen in einer derart geprägten Gesellschaft.

Ich habe mit queeren Personen in Aufklärungszentren gesprochen, die erzählten, gerade für ältere queere Menschen sei die Situation schwierig. Sie sind stärker mit einer Generation konfrontiert ist, in der das Stigma noch standhafter ist. Bei den Jüngeren ist die gesellschaftliche Akzeptanz präsenter. Sie leben in WGs, bewegen sich in künstlerischen Kollektiven. Diese safe spaces sind wichtig für sie.

Diana Kinnert auf einem CDU-Parteitag.

© dpa/ Uwe Anspach

Sind queere Menschen damit nicht einer doppelten Belastung ausgesetzt: Durch die neue Einsamkeit, die Sie beschreiben, und durch die kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren?
Ja, es gibt sehr viele Gesellschaftsgruppen, die mehrfach belastet sind. Junge Menschen sind dadurch betroffen, dass sie sich in sozialen Medien aufhalten und sich vergleichen: Die anderen sind alle reicher, schöner, luxuriöser und pastellfarbener als ich.

Und ich mit meinen Makeln und Defiziten kann da nicht mithalten. Dieses verringerte Selbstwertgefühl führt dazu, dass junge Menschen, die soziale Netzwerke konsumieren, sich zurückziehen und kontaktscheu werden. Dazu kommt, dass eine junge Person, die auch noch schwul, lesbisch oder anders ist, sich in der Mitte der Gesellschaft nicht so sicher verhalten kann, wie eine heterosexuelle Person.

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Es gibt auch eine Doppelbelastung, wenn ich im ländlichen Raum lebe und dort keine Infrastrukturen der Begegnung existieren: keine Kirche, kein Marktplatz und ähnliches. Der Mensch in der Großstadt leidet hingegen unter einer Anonymität, wo sich keiner für den anderen interessiert. Es gibt viele Faktoren, die Einsamkeit begünstigen. Und queere Menschen sind mehr betroffen.

Sie sind jung und queer und arbeiten für eine Partei, die nicht unbedingt als die queerste Partei gelesen wird. Wie oft fühlen Sie sich als lesbische Frau in der CDU einsam?
Ich fühle mich dort per se etwas einsamer als anderswo. Ich treffe selten Parteikolleg*innen, die so sind wie ich. Das hat auch mit dem Migrantischen zu tun. In den Themen fühle ich mich zwar nicht einsam, aber zumindest eben manchmal nicht mehrheitsfähig. Das sind gesellschaftspolitische Felder, in denen ich progressiver auftrete als der Durchschnitt meiner Partei. Ich habe jahrelang für die Gleichstellung der Ehe lobbyiert.

Bis Merkel gesagt hat, wir stimmen dafür ab, gab es keine Mehrheit für die Öffnung der Ehe in der CDU. Das ist einfach so. Ich nehme das zur Kenntnis und arbeite dagegen. Ich bin damals in die CDU eingetreten, weil ich an die Grundwerte dieser Partei glaube: Eine Liberalität, die uns vor Übergriff schützt, eine Chancengerechtigkeit, die uns Fortschritt verspricht, die Haltung, dass vor Gott jeder gleich ist.

Was können wir gegen die neue Einsamkeit tun?
Ich glaube, dass junge Menschen sich mehr bewusst werden müssen, dass das, was sie in den sozialen Medien konsumieren, nicht die Realität ist. Man muss sich selbst nicht als Zumutung empfinden, wenn man nicht so inszeniert perfekt ist wie die anderen. Eltern müssen verstehen, dass das ein zusätzlicher Druckfaktor ist, der auf die Kindergeneration einwirkt und über den man offen sprechen können muss. Wir brauchen Unterricht, in dem Kindern Befähigung zuteil wird. Und natürlich brauchen wir eine Erweiterung des Gesundheitsbegriffs: Mentale Gesundheit wird in dieser Gesellschaft immer wichtiger.

Wie würde das aussehen?
Gesundheit ist bei uns durch die Industrialisierung immer noch sehr physisch geprägt. Es gibt das gebrochene Bein, aber wir erkennen Paranoia oder Angstzustände nicht an. Insgesamt müssen Einsamkeit, Isolation, mentaler Druck und Stress ernst genommen, priorisiert und psychotherapeutische Angebote geschaffen werden. Das zu entstigmatisieren, ist eine große Gesundheitsaufgabe für uns. Eine junge Generation zieht sich zurück und verweigert Gefühle, Beziehungen und Nähe, weil sie sich sich ausgeliefert fühlt. Das geht mit Ohnmacht einher. Das wiederum hat etwas mit unserem Erwerbsleben und ökonomischen Faktoren zu tun.

Inwiefern?
Früher wusste ich, dass meine Kollegen Dieter und Herbert genauso unzufrieden sind im Betrieb wie ich. Dann konnte man gemeinsam streiken. Das gibt es heute nicht mehr, weil Vereinzelung und Individualismus Solidarität zerschlagen. Jeder kämpft für sich allein und für sein Vorankommen. Mit dem Gefühl von “Ich bin individuell” geht einher: “Ich bin vereinzelt, ich kann mich nicht alleine wehren.“ Deshalb braucht es neue Modelle, um Arbeitnehmerrechte zu verhandeln, neue Konzepte für Partizipation im Unternehmen.

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