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Nóe (l.), Kris, Patrick und Anton gehören zu den Ehrenamtlichen, die rund um die Uhr queeren Personen am Hauptbahnhof Hilfe anbieten.

© Jana Demnitz/Tsp

Hilfe für queere Geflüchtete: „Wir brauchen dringend Unterbringungsmöglichkeiten“

Queere Personen aus der Ukraine werden am Berliner Hauptbahnhof von Ehrenamtlichen unterstützt. Wir haben mit der Initiative gesprochen, die die Berliner Community um Hilfe bittet.

Patrick Sonberger, täglich kommen Tausende Menschen aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof an, darunter auch viele queere Personen. Sie und andere Freiwillige helfen diesen Menschen. Seit fast drei Wochen gibt es im Untergeschoss des Hauptbahnhofs neben all den anderen ehrenamtlichen Hilfsangeboten auch Ihren LGBTIQ*-Anlaufpunkt.
Die gesamte Initiative basiert auf privatem Engagement. Ich denke, wir sind alle entsetzt über diesen sinnlosen Krieg und wir sehen, wie viel Hilfe nötig ist. Auch wenn der Berliner Senat mittlerweile Strukturen aufgebaut hat – ohne die Unterstützung der vielen freiwilligen Helfer*innen wären die geflüchteten Menschen, die hier täglich mit dem Zug ankommen, komplett aufgeschmissen.

Wir werden mit den unterschiedlichsten Fragen konfrontiert: Wo finde ich, etwas zu essen? Wo können wir den nächsten Zug buchen? Wo können wir in Berlin bleiben? Wie läuft ein Asylantrag? Wo kann ich duschen? Wo kann mein Kind etwas zum Spielen bekommen? Wir werden mit tausend Fragen konfrontiert.

Dennoch wollen Sie ja vor allem auch für queere Menschen da sein.
Generell versuchen wir, allen zu helfen, die zu uns kommen. Aber wir sind hier, glaube ich, sehr gut sichtbar für die LGBTIQ*-Community mit all ihren Schattierungen. Wir versuchen, präsent zu sein, aber dezent, weil wir natürlich auch respektieren, dass manche sich unter anderen Ankommenden nicht outen wollen.

Oft merken wir auch erst einmal ein Misstrauen uns gegenüber. Ein junges schwulen Pärchen hat mich zum Beispiel sehr lange beobachtet, bis ich sie schließlich angesprochen habe. So kamen wir ins Gespräch und sie haben Vertrauen gefasst. Sie haben erzählt, dass sie sich nicht sicher waren, ob wir hier vielleicht nur undercover stehen, um sie in eine Falle zu locken. Wie es wohl oft in Russland der Fall ist.

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Konnten Sie dem Paar helfen?
Sie gehören zu der Gruppe der ausländischen Studierenden in der Ukraine, die aufgrund des Krieges ja nun auch Hals über Kopf das Land verlassen haben. Die beiden kommen ursprünglich aus Marokko und haben in Kiew Medizin studiert. Es ist sehr offensichtlich, dass sie zur queeren Community gehören, und sie haben erzählt, dass ihre Ausreise extrem schwierig war.

Sie wurden aus mehreren Zügen geprügelt und wie der letzte Dreck behandelt. Irgendwie haben sie es aber doch über die Grenze geschafft. Bei solchen Erfahrungen kann ich auch ihre anfängliche Skepsis uns gegenüber verstehen. Die beiden haben eine Unterkunft gesucht und ich konnte sie glücklicherweise privat an eine ganz tolle Dame vermitteln. Sie hat selbst eine lesbische Tochter, die zum Studieren ausgezogen ist, und sie weiß aus eigener Erfahrung, wie verletzlich die Menschen in unserer Community sind.

Wie viele queere Menschen aus der Ukraine kommen täglich zu ihnen?
Aktuell ist es etwas ruhiger und täglich sprechen uns etwa zwischen fünf bis zehn Personen an. Wir haben aber den Eindruck, jetzt wo auch der Westen der Ukraine angegriffen wird, es könnte eine zweite Welle auf uns zukommen. In Lwiw soll es eine recht große queere Community geben, und wir hoffen natürlich sehr, dass sich alle, die sich jetzt auf den Weg machen, sicher hier ankommen werden.

Mittlerweile verbreiten die Leute, zu denen ich Kontakt hatte, unsere Informationen auf Social-Media-Accounts. Das hilft uns natürlich sehr, wenn die Menschen vorab schon einige Infos haben und wir wiederum wissen, wenn jemand auf dem Weg zu uns ist.

Viele Personen kommen traumatisiert und mit vielen Ängsten hierher. Wie gehen Sie damit um?
Jedes Schicksal ist individuell, aber wir hören vor allem erst einmal zu und stellen kaum Fragen – außer die wichtigsten: Haben Sie etwas zu essen? Was brauchen Sie? Wir versuchen, erst einmal zu entschleunigen. Nach meiner Erfahrung stehen die Menschen nach den letzten Wochen enorm unter Strom.

Wir vermitteln ihnen: Ihr seid in Sicherheit und jetzt geht es Schritt für Schritt weiter. Dann geht es um die weitere Unterbringung, die immer schwieriger wird, und wenn nötig – um eine medizinische Versorgung. Bei Erkrankungen haben wir eine Liste mit Ärzten und Ärztinnen, wo man direkt einen Termin und eine kostenlose Behandlung erhält.

Nach dem anfänglichen Chaos gibt es mittlerweile auch ein Zelt der Stadtmission vor dem Berliner Hauptbahnhof, wo Menschen aus der Ukraine Verpflegung und weitere Betreuung erhalten.
Nach dem anfänglichen Chaos gibt es mittlerweile auch ein Zelt der Stadtmission vor dem Berliner Hauptbahnhof, wo Menschen aus der Ukraine Verpflegung und weitere Betreuung erhalten.

© picture alliance/dpa/Jörg Carstensen

Wie sind Sie zu der Gruppe gekommen?
Ich bin eigentlich Modedesigner und Manager. Ich hatte mich allgemein als Helfer gemeldet, und bin dann doch irgendwie wieder bei unserer Community gelandet. Ich habe gerade Urlaub und bin seit fast zwei Wochen fast durchgängig hier. Wir werden hier auch noch mal mit anderen Härtefällen konfrontiert. Gestern kam zum Beispiel eine trans Trau zu uns, die gerade noch aus der Ukraine fliehen konnte.

Seit acht Tagen trug sie ihre Kontaktlinsen und hatte entzündete Augen. Sie konnte sie aber nicht rausnehmen, weil sie keine Brille dabeihatte, und ohne Kontaktlinsen sah sie nichts. Ich habe sie an die Hand genommen, wie sind zum Optiker gegangen und sie hat einen Sehtest gemacht. Ich habe ihr die Brille gekauft, weil ich einfach dachte, die Person muss doch erst einmal richtig sehen, wo sie eigentlich gelandet ist.

Und wie geht es ihr jetzt?
Mithilfe der Organisation Quarteera haben wir mit viel Geduld für sie erst einmal ein sehr schönes Zuhause bei einem lesbischen Pärchen gefunden. Die haben sich auch sehr gefreut, dass sie zu ihnen kommt. Die beiden Hunde konnte sie auch noch mitnehmen. Genau für solche Menschen stehen wir hier. Dass wir diese vulnerablen Personen sicher unterbringen können und ihnen das Gefühl geben, du bist eine oder einer von uns. Du bist hier nicht allein!

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Welche Verbindung haben Sie selbst zur queeren Community?
Ich bin schwul, lebe mit meinem Freund zusammen in Berlin und habe ehrlich gesagt zu dem ganzen Kriegsthema persönlich gar keine Verbindung. Aber ich glaube, ich bin Mensch genug, um zu sehen, dass all die Menschen, die hier jetzt ankommen, wie du und ich sind. Es kommen Mamas mit Kindern, die am Ende ihrer Kräfte sind, und ich konnte nicht mehr zu Hause sitzen und entsetzt in den Fernseher gucken.

Ich musste handeln. Es ist für die Seele schwer. Ich stehe teilweise 14 Stunden hier, weil es kein Ende nimmt. Aber man will helfen, und ich habe Gott sei Dank die Kraft dafür. Man muss sich aber auch den Moment nehmen, um das alles zu verdauen und auch die Tränen rauszulassen.

Wenn man Sie unterstützen möchte, was kann man tun?
Wir sind jeden Tag am Hauptbahnhof. Der einfachste Schritt ist, erst mal im Untergeschoss bei uns vorbeizukommen. Wir sagen aber auch ganz offen: Was man hier erlebt, kann auch für die eigene Seele belastend sein. Auch Helfer*innen gelangen an persönliche Grenzen und es ist völlig in Ordnung, das offen zu kommunizieren. Ansonsten organisieren wir uns über eine Telegram-Gruppe, was bisher sehr gut funktioniert.

Was aber auch extrem wichtig ist: Wir brauchen dringend Unterbringungsmöglichkeiten! Wer auch immer aus der Community die Möglichkeit hat, jemanden aufzunehmen, bitte unbedingt bei der Organisation Quarteera melden. Ansonsten helfen immer Geldspenden. Wir brauchen jede Unterstützung!

Weitere Hilfe für queere geflüchtete Menschen:
Infoseite des Landes Berlin
Das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine
 

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