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Ein schwules Paar - Diskriminierungen gibt es auch heute noch.

© REUTERS/Piroschka van de Wouw

Grüne kritisieren Tatenlosigkeit des Bundes: Altersarmut unter queeren Menschen deutlich größer

Bi- und homosexuelle Menschen sind im Alter besonders häufig von Armut betroffen. Die Grünen kritisieren die Bundesregierung: Sie sei an der sozialen Lage von LBGTIs desinteressiert.

Im Alter sind bi- und homosexuelle Menschen häufiger von Armut bedroht als Heterosexuelle. So liegt bei Männern im Alter von 60 bis 90 Jahren die Armutsquote bei Bi -und Homosexuellen um sechs Prozentpunkte höher als bei heterosexuellen Männern (12 Prozent zu 6 Prozent). Als "Armutsgrenze" gilt dabei 60 Prozent des Nettoeinkommens.

Bei Frauen in dieser Altersgruppe ist ebenfalls ein Gefälle zu verzeichnen. Frauen, die sich als homo- oder bisexuell identifizieren, haben mit rund 1750 Euro durchschnittlich 10 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung als Frauen mit heterosexueller Orientierung (rund 1950 Euro).

Die Zahlen stammen aus dem Deutschen Alterssurvey und sind nun in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zur sozialen Lage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland veröffentlicht worden.

Queere Menschen im "Minderheitenstress"

Für Sven Lehmann, den sozial- und queerpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, ist die hohe Gefahr von Altersarmut eines von vielen Zeichen für den "Minderheitenstress", unter dem queere Menschen in Deutschland nach wie vor leiden. "Sie leiden deutlich häufiger nicht nur unter Armut, sondern auch unter Depressionen, Obdachlosigkeit oder Suizidgefahr."

Dass queere Menschen mehr von Altersarmut bedroht sind, resultiert für Lehmann unter anderem daraus, dass es sich um Jahrgänge handelt, die sich kaum am Arbeitsplatz outen konnten. Wer es dennoch tat, musste befürchten gekündigt zu werden. Wer sich nicht outete, lief Gefahr unter dem daraus resultierenden Druck psychisch zu erkranken. Beides wirkte sich auf Lohn und Rente aus.

Die Grünen hatten der Bundesregierung mehr als 200 Fragen zur sozialen Situation queeren Menschen in Deutschland gestellt - weil es laut Lehmann zwar viele international erhobene Studien und Zahlen gibt, die Lage in Deutschland aber oft immer noch im Dunkeln bleibe.

"Dokument des Desinteresse und der Ignoranz"

Insgesamt sei er enttäuscht, wie wenig die Bundesregierung in Erfahrung gebracht habe, sagt Lehmann. Außer den Erkenntnissen zur Altersarmut könne er keine neuen Erhebungen erkennen. Die Antwort sei ein "Dokument des Desinteresse und der Ignoranz" gegenüber den Belangen queerer Menschen. "Die Bundesregierung macht keinerlei Anstalten, die Datenlage zu verbessern und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu ergreifen."

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Sven Lehmann, Bundestagsabgeordneter der Grünen.
Sven Lehmann, Bundestagsabgeordneter der Grünen.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Lehmann griff dabei explizit das von Franziska Giffey und der SPD geführte Familienministerium an. Die SPD verweise gerne auf die Blockadehaltung der Union bei queeren Themen. Er gehe aber davon aus, dass ein Großteil der Antwort aus dem Familienministerium stamme - und könne nicht erkennen, dass das qualitativ besser sei als das, was unionsgeführte Ministerien lieferten.

Das Familienministerium verweise bei Maßnahmen zudem immer auf sein Regenbogenportal. "Eine Seite im Internet ist aber noch keine Anti-Diskriminierungspolitik", kritisierte Lehmann.

Depressionen und Übergriffe

Dabei gäbe es viel zu tun, wie andere Studien zeigen. Diskriminierung im Arbeitsleben existiert weiter. Und Stichwort Gesundheit: Laut einer EU-Studie leiden 30 Prozent der lesbischen Frauen und 42 Prozent der bisexuellen Frauen in den befragten europäischen Staaten unter psychischen Problemen wie Ängste und Depressionen infolge eines physischen Angriffs.

Ältere Erhebungen aus Deutschland zeigen, dass rund ein Drittel der trans Menschen bereits sexualisierte Übergriffe erlebt haben. Zahlen aus den USA zeigen, dass trans Erwachsene neun Mal häufiger versuchen Suizid zu begehen, als dies in der Gesamtbevölkerung der Fall ist.

Die Grünen bekräftigten ihre Forderung nach einem bundesweiten Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit. Vor der Sommerpause wolle die Fraktion zudem einen Gesetzeinwurf für ein neues Selbstbestimmungsrecht im Bundestag zur Abstimmung stellen, das das vielfach als diskriminierend kritisierte Transsexuellengesetz ersetzen soll.

Lehmann forderte die SPD auf, dem Gesetz im Bundestag zuzustimmen: "Es gibt eine Mehrheit dafür im Parlament jenseits der Union."

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