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In seinem Buch gibt Henri Maximilian Jacobs Antworten, die er sich selbst gewünscht hätte.

© Sophia Emmerich

„All die brennenden Fragen“ von Henri Maximilian Jakobs: Transition als lebensrettende Maßnahme

In seinem Buch spricht der Berliner Autor Henri Maximilian Jakobs offen und humorvoll über sein Transsein. Aber es geht auch um schmerzhafte Erfahrungen.

Manchmal wünscht sich Henri Maximilian Jakobs einen Luftpolsteranzug. Der soll ihn vor blauen Flecken schützen, von denen er sich in den vergangenen Jahren einige zugezogen hat – etwa durch fiese Sprüche bei Dates. Über die Entstehung der blauen Flecken schreibt Jakobs in seinem Buch „All die brennenden Fragen“.

Darin tauscht er sich mit der Radio- und Fernsehmoderatorin Christina Wolf über das Thema Transsein aus, wobei Jakobs viel von persönlichen Erfahrungen berichtet. Anekdotenhaft schildert er gesellschaftliche Hürden für trans Personen und Herausforderungen, denen sie im Gesundheitssystem gegenüberstehen.

Lange Zeit brannten ihm selbst viele Fragen auf der Seele, die Antworten musste er sich selbst suchen. „Ich hätte mir selbst mehr trans Leute gewünscht, die ihre Realität erzählen“, erzählt er am Telefon, „und das als eine lebenswerte Möglichkeit darstellen, nicht als etwas Schlimmes oder Krasses.“

Mit seinem Buch trägt der Berliner Autor und Musiker zu mehr Sichtbarkeit für trans und nicht-binäre Personen bei und bietet ebenjene Antworten, die er sich selbst gewünscht hätte. Aber auch für cis-geschlechtliche Personen eignet sich das Buch, um Einblicke in die Lebensrealitäten von trans Personen zu erhalten.

Jakobs und Wolf, die selbst nicht trans ist, möchten den häufig von Vorurteilen und Unwahrheiten geprägten Diskursen zum Thema Transsein etwas entgegensetzen. Das ist auch der Grund, weshalb die beiden sich für die Gesprächsform entschieden haben. Sie wollten das Thema leichter zugänglich machen, sagt Jakobs. Für ihn sei es zudem ein Stück Selbstermächtigung, mitzubestimmen, wie über Transsein geredet wird.  

Humor als Coping-Mechanismus

Dabei kommen auch humorvolle Einschübe nicht zu kurz, etwa wenn Jakobs erzählt, dass er ein Foto mit einem Photoshop-Schnurrbart auf Facebook postete und dazu schrieb: Ihm wachse nicht aufgrund des verseuchten Berliner Trinkwassers ein „stolzer Schnurri“, sondern weil er trans sei. „Humor war immer schon meine persönliche Waffe, mein Coping-Mechanismus, um Dinge abzuwiegen und für mich glimpflicher zu machen“, sagt Jakobs. Darüber hinaus könne Humor dem Umgang mit bestimmten Themen guttun. „Es geht nicht darum, sich über etwas lustig zu machen, sondern darum, Sachen mit einer gewissen Leichtigkeit zu erzählen.“

„All die brennenden Fragen“ von Henri Maximilian Jakobs und Christina Wolf, 2023, Katalyst Verlag, 120 Seiten, 19 €.

© Katalyst Verlag

Auf berührende Weise legt Jakobs in seinem Buch offen, mit wie viel Schmerz es verbunden ist, nicht offen trans sein zu können und seine Identität geheim halten zu müssen. Als sei das eigentliche Bild der eigenen Person übermalt worden. „Es ist schwer, Leuten begreiflich zu machen, wie immens unglücklich man in einem Körper und in der Darstellung in der Außenwelt sein kann“, sagt Jakobs.

„Der Körper fühlt sich wie eine Baracke an, in der man keine Sekunde länger verbringen kann.“ Man sei dazu gezwungen, in etwas zu verweilen, mit dem man todunglücklich sei. „Auf gewisse Weise stirbt man ein bisschen vor sich hin.“

Dies belegt nicht zuletzt die hohe Suizidrate unter trans Personen. Eine Studie aus den USA von 2018 zeigt, dass mindestens die Hälfte junger trans Männer zwischen elf und 19 Jahren einmal versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Für Jakobs war die Transition deshalb eine „lebensrettende Maßnahme“.

Kein Stellvertreter aller trans Personen

In diesem Zusammenhang nehmen Jakobs und Wolf auch das Gesundheitswesen und dessen kapitalistische Funktionsweise in den Blick. Sie kritisieren Hürden für trans Personen wie den langen Weg über die Gutachter*innen und die hohen Kosten, die damit einhergehen. Hinzu kommt die Sorge vor Diskriminierung.

„Wenn ich eine Blinddarmentzündung habe und ins Krankenhaus muss, weiß ich nicht, was mich erwartet“, sagt Jakobs. Wird er freundlich behandelt? Oder macht jemand Fotos von ihm und schickt sie seinen Kumpels? „Immer ist da die Angst, dass ich mich ausziehen muss oder ich nicht behandelt werde.“ Viele trans Personen würden deshalb Vorsorgeuntersuchungen meiden.

In seinem Buch betont Jakobs immer wieder, dass er sich nicht als Stellvertreter einer ganzen Gruppe sieht. „Oft wird angenommen, dass man als Person einer marginalisierten Gruppe alles weiß und für alle Angehörigen der Gruppe sprechen kann“, sagt Jakobs. „Das ist ziemlicher Quatsch.“ Deshalb kommen weitere Stimmen zu Wort wie die Autorin und Aktivistin Nora Eckert oder Theaterregisseur*in Heinrich Horwitz. Sie sprechen etwa über schöne Momente während der Transition und Wünsche an die Gesellschaft.

Jakobs selbst wünscht sich, dass mehr cis Personen sich für trans Personen einsetzen. Sie könnten zum Beispiel in die Bresche springen, wenn übergriffige Fragen gestellt würden. Erfahrungsgemäß bleibe es jedoch oft still, sagt Jakobs. „Dabei geht es gar nicht darum, in den Ring zu steigen, sondern sich zu positionieren.“ Gegen transfeindliche Artikel könne man Leserbriefe schreiben und es gebe zahlreiche weitere Möglichkeiten sich einzusetzen. „Wenn man sich rühmt ein Ally zu sein, muss man auch aktiv gegen all den Schmutz werden, der gerade nach oben treibt.“

Mit diesem Schmutz ist in Deutschland beispielsweise die Stimmungsmache gegen das Selbstbestimmungsgesetz gemeint, aber auch die transfeindliche Politik einiger US-Bundesstaaten. Henri Maximilian Jakobs sieht zudem eine Diskursverschiebung: Anstatt sich um reelle Gefahren für Frauen wie etwa häusliche Gewalt zu kümmern, würden trans Frauen als Gefahr dargestellt.  Umso wichtiger sind Bücher wie „All die brennenden Fragen“, die solchen Pseudo-Argumenten etwas entgegensetzen und den Diskurs ein Stück weit korrigieren.

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