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Buttons aus dem rechten Reichsbürger-Milieu, die mit der „Deutschlandfrage“ Debatten aus dem 19. Jahrhundert wiederaufleben lassen wollen.

© Getty Images/ADAM BERRY

Prozessbeginn gegen Reichsbürger: Wie groß ist die Gefahr?

Am Mittwoch startet der Prozess gegen einen mutmaßlichen Reichsbürger in Stuttgart. Was droht uns aus dieser Szene noch alles? Drei Experten geben eine Einschätzung.

Als die Polizei kam, um seine Waffe einzuziehen, drückte Ingo W. ab. Für seine Tat im April 2022 muss sich der mutmaßliche Reichsbürger aus dem baden-württembergischen Boxberg nun vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart verantworten.

Laut Verfassungsschutz gehören inzwischen 21.000 Deutsche der Szene der Reichsbürger an. In unserer Serie „3 auf 1“ äußern sich drei Experten zu der Frage: Wie groß ist die Gefahr, die von ihr ausgeht? Und wo besteht Handlungsbedarf? (Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.)


Falsche Bilder nicht reproduzieren

Wenn an diesem Mittwoch der Prozess gegen den 55-Jährigen beginnt, der voriges Jahr in Boxberg auf Polizisten mit einem Schnellfeuergewehr schoss und zwei verletzte, dann führt das der deutschen Öffentlichkeit erneut die Gefahr vor Augen, die von „Reichsbürgern“ und anderen Mitgliedern des souveränistischen Milieus ausgeht.

Leider wird häufig noch das Bild reproduziert, es handle sich um verschrobene, aber harmlose „Spinner“. Ihre Ideologie führt jedoch zu einem notwendigen Konflikt mit der Bundesrepublik, der, wie Beispiele der Vergangenheit gezeigt haben, manche zum Einsatz von Schusswaffen drängt. Die Gewalt kann sich nicht nur gegen Vertreter:innen der BRD richten, sondern auch gegen Migrant:innen oder Jüdinnen und Juden. Die extrem rechten Traditionslinien des Milieus liefern seit Jahrzehnten entsprechende Feindbilder.

Seit mindestens zehn Jahren zeigt sich, dass Gewalt von Menschen aus diesem Milieu auch mit legalen Waffen geplant oder ausgeübt wird. Wir brauchen daher eine verstärkte Sensibilität für Anhänger:innen dieser Ideologie von Behörden, die für Waffenbesitz zuständig sind, und Vereinen, die den Umgang mit Waffen trainieren.


Rechte Gewalttaten auch als solche erkennen

Der Fall könnte kaum klarer sein: Ein Mann, der die Bundesrepublik für illegal hält und Deutschland für besetzt durch fremde Mächte, schießt auf Beamte, die bei der anschließenden Durchsuchung unter anderem Kriegswaffen, einen Hakenkreuz-Dolch und ein SS-Symbol sicherstellen.

Geführt wird das Verfahren jedoch nicht etwa als rechte Gewalttat, sondern in der Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität – sonstige Zuordnung“. Dabei handelt es sich keineswegs nur um eine Formalie. Im Effekt führen solche falschen Einordnungen zu Verfahren, bei denen der Hintergrund der Tat nicht erkannt wird, und zu einer entpolitisierenden Verzerrung der Statistik. Rechte Gewalt wird dadurch verharmlost. Auch geht es hier nicht um einen Einzelfall. Die spektakulären Razzien gegen sogenannte Reichsbürger im vergangenen Dezember sind ebenfalls Teil eines Verfahrens der Bundesanwaltschaft im Bereich der „sonstigen Zuordnung“. Der Inlandsgeheimdienst ordnet sogar nur fünf Prozent der sogenannten Reichsbürger als rechts ein.

Kein Problem kann gelöst werden, wenn es nicht richtig begriffen wird. Eine der Wirklichkeit angemessene Statistik politisch motivierter Kriminalität wäre alarmierend. Genau diesen Alarm brauchen wir.


Die Gefahr wird noch immer unterschätzt

Ein schönes Beispiel dafür, wie arg die von dieser Szene ausgehende Gefahr noch immer unterschätzt wird, waren die öffentlichen Reaktionen auf die bundesweite Razzia im Dezember gegen Heinrich XIII. Prinz Reuß und seine mutmaßlichen Komplizen. Bei den Festgenommenen handle es sich bloß um eine „Rentnertruppe“, hieß es etwa, um „Pensionäre vom Typ Turnbeutelvergesser“ oder „vergreiste Verwirrte“. Ein Kommentator wollte ihre Harmlosigkeit allen Ernstes damit beweisen, dass die Vorgärten der Festgenommenen „unordentlich“ und „verdreckt“ aussähen.

Als ob Verwirrte keine Schusswaffen bedienen könnten. Als ob Rentner keine Terroranschläge durchführen könnten. Reichsbürger haben wiederholt Mitmenschen attackiert, schwer verletzt, auch gemordet. Und die Szene wächst stetig.

Wer hier von „überzogenen Polizeimaßnahmen“ fabuliert, ist ahnungslos oder versucht ein parteipolitisches Spielchen. Gerade die sind aber denkbar unangebracht. Reichsbürger entschieden zu bekämpfen, ist Aufgabe aller Demokraten.

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