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Ein Fiaker am Michaelerplatz in Wien.

© Imago/Arnulf Hettricht

Streit um Traditionsgewerbe: Werden die Pferdekutschen in Wien bald abgeschafft?

Der Tierschutzminister will die „Fiaker“ verbieten, die seit mehr als 300 Jahren durch Wien fahren. Eine Kabarettistin bringt Roboterpferde ins Spiel.

Aus einer Debatte, die sich um eine Herabsetzung der Hitzefrei-Regelung für die Tiere von 35 auf 30 Grad drehte, ist eine grundsätzliche Diskussion darüber entbrannt, ob die Pferdekutschen „Fiaker“ (mit dem Begriff sind sowohl die Pferdekutschen als auch deren Kutscher gemeint), noch zeitgemäß sind. Ein selbsternannter Baron, die Wiener Lokalpolitik und Wirtschaftsverbände formieren sich gegen Tierschutzorganisationen und die Bundespolitik. Mittendrin: Eine Wiener Kabarettistin, die Autos zugunsten der Kutschen verbannen möchte.

Bereits seit 2016 bekommen die Pferde bei Temperaturen ab 35 Grad hitzefrei und fast genauso lange geht die Debatte um eine Herabsetzung der Grenze. Immer wieder gab es Bekundungen aus der Landes- und Bundespolitik, die Temperaturgrenze auf 30 Grad heruntersetzen zu wollen, dazu gekommen ist es bisher nicht.

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„Man sollte sich aus Gründen des Tierschutzes, Gedanken darüber machen, ob man ein Pferd diesem Stress aussetzen sollte“, so trat Bundesminister Johannes Rauch gegenüber dem ORF die alljährliche Debatte wieder los, die sich seitdem nicht mehr nur um eine Hitzefreiregelung, sondern um Grundsätzlicheres dreht.

„Es stellt sich die Frage abseits von Hitze, ob der Einsatz von Fiakern in einer Großstadt überhaupt noch zeitgemäß ist. Ich halte das ein bisschen für aus der Zeit gefallen“, erklärte der Minister weiter. Er würde eine Diskussion darüber begrüßen, ob Wien auf Fiaker insgesamt verzichten könnte.

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Die Wiener Politik reagierte zurückhaltend: „Ich persönlich würde es sehr bedauern, wenn es keine Fiaker mehr in Wien gibt, die gehören zum Stadtbild“, sagte etwa Wiens Oberbürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Sie seien nicht nur für Touristen, sondern auch für viele Wiener:innen ein Symbol der Stadt, so der Politiker, der sich in der Vergangenheit schon beim Füttern der Pferde ablichten ließ.

„Wir wollen uns wie bisher darauf konzentrieren über die Hitzegrenze zu reden, der Vorschlag eines Verbotes war bisher in keinem der geführten Gespräche ein Thema“, zeigte sich auch eine Sprecherin des für Tierschutz zuständigen Stadtrats Jürgen Czernohorszky (SPÖ) überrascht von dem Vorstoß, das traditionsreiche Gewerbe ganz zu verbannen.

Tierschutzverbände begrüßen dagegen die Initiative des Ministers. „Es ist endlich an der Zeit, diesem Anachronismus für immer ein Ende zu bereiten. Traditionen, die auf dem Rücken von Lebewesen erhalten werden, haben im 21. Jahrhundert einfach keinen Platz mehr“, so etwa die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. Eine Petition der Organisation, die bessere Bedingungen für die Pferde forderte, hatte 2021 80.000 Unterstützer:innen gefunden.

Stadt und Bund schieben sich die Verantwortung zu

Die Herabsetzung der Temperaturgrenze auf 30 Grad scheiterte in den letzten Jahren an einem Kompetenzwirrwarr. Die Stadt Wien verweist auf den Bund, der Bund wiederum sieht die Stadt in der Zuständigkeit. Laut einem Urteil des österreichischen Bundesverfassungsgerichts von 2017 hätte die Stadt Wien sehr wohl die Gesetzgebungskompetenz, um die Hitzeregelung durchzusetzen.

Eine Sprecherin von Rauchs Ministerium, die nicht namentlich zitiert werden möchte, sagte gegenüber dem Tagesspiegel: „Wien hätte die Kompetenz, nutzt sie nicht und behauptet nicht zuständig zu sein.“ Dem Minister sei das Thema ein persönliches Anliegen und da solche Prozesse in Österreich ohne hin lange dauern würden, wollte er die Debatte mit seinem Verbots-Vorstoß vorantreiben. „Es ist ein Kompetenzen-Ping-Pong zwischen Stadt und Bund und am Ende passiert nichts“, kritisiert Veronika Weissenböck, Kampagnenleiterin bei „Vier Pfoten“.

Tereza Hossa, 27, nimmt berufsbedingt eine provokante Position ein. Sie fordert eine vollständige Umstellung des Verkehrs auf Fiaker: „Es gibt immer noch Verkehrsmittel, die nicht von Pferden gezogen werden, was wahnsinnig rückschrittlich ist“, sagt die Satirikerin im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Angesichts von Umweltproblemen durch Verbrennermotoren und steigender Energiepreise seien die Fiaker „die ideale umweltfreundliche Alternative“. Parallel zu ihrer kabarettistischen Laufbahn ist sie seit Oktober fertig studierte Tiermedizinerin. Ihre tierärztliche Karriere pausiert sie momentan, schreibt an ihrem zweiten Programm und ist Teil des Ensembles der „Carolin Kebekus Show“.

Tereza Hossa schreibt für die Satire-Zeitung „Die Tagespresse“, auf Twitter und an ihrem zweiten Kabarett-Programm. Ihre tierärztliche Karriere pausiert sie momentan.

© David Keusch

Jeden Sommer, so sicher wie „das Amen im Gebet“, komme die Debatte um die Fiaker, meint Wolfgang Fasching gelassen. „Der Fiaker-Baron, leibhaftig an der Strippe“, meldet er sich am Telefon. Der Mann gilt als Wiener Institution, seit Jahrzehnten kutschiert er mit gezwirbeltem Bart und feinem Hut lauffaule Passanten durch Österreichs Hauptstadt. Minister Rauch sei sicher auch schon heimlich Fiaker gefahren, mutmaßt Fasching und zweifelt an dessen Sachverstand: „Der Vorschlag spricht für seine Inkompetenz. Der Minister hat keine Ahnung vom Pferd“, so Fasching.

Er kümmere sich gut um seine Tiere, allein schon aus Eigeninteresse. Im vergangenen November war eins von seinen Pferden am Wiener Stephansplatz kollabiert. Der Grund war laut Fasching ein Kreuzschlag. Er hatte das Pferd damals als „Corona-Opfer“ bezeichnet, die Entzündung sei auf ausbleibende Touristen und den daraus resultierenden Bewegungsmangel zurückzuführen.

Nicht alle Pferde müssen derweil in der Hitze ausharren. „Eine Klassenfrage“, so Tereza Hossa, die in der „Pferdecommunity für viel Zank“ sorge. Die zweite berühmte tierische Attraktion der Stadt, die Pferde der Spanischen Hofreitschule, stünden im Schatten und hätten freien Auslauf im Burggarten, während die Fiaker-Pferde im Hochsommer auf dem heißen Asphalt arbeiteten.

Umstrittenes Kulturgut: Blick auf Pferdekutschen vom Nordturm des Stephansdom in Wien.

© imago / Arnulf Hettrich

Hossa wohnt seit sieben Jahren in Wien und widerspricht dem „Fiaker-Baron“, der meint der Großteil seiner Kundschaft seien Deutsche, weshalb der Aufschrei dort am größten wäre. Die Deutschen würden „zwar morgens die Pferde mit ihren Handtüchern reservieren wie sonst die Liegen am Pool“, aber auch die Wiener:innen würde ein Verbot hart treffen: „Ich wüsste nicht mehr wie ich von A nach B komme und wäre nicht mehr mobil. Der gesamte Verkehr in Wien würde zusammenbrechen“.

Fasching verweist, wie viele andere Befürworter:innen der Fiaker darauf, dass den Pferden Hitze wenig ausmache. Er stützt sich dabei auf die Wiener Tierärztin Isabella Copar, die für eine 30-Grad-Regelung keine Grundlage sieht. „Das Pferd ist ein Steppentier, das hält die Hitze aus“, so Fasching. Veronika Weissenböck von der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“, hält Wien dagegen für eine „Asphaltwüste, keine Steppe“.

Selbst den Tourist:innen sei es im Hochsommer zu heiß, um sich in den Pferdekutschen herumfahren zu lassen. „Wien ist eine klassische Steppe, vor allem wenn man noch nie eine Steppe gesehen hat“, meint Tereza Hossa.

Die Temperaturen sind jedoch nicht das einzige Argument für ein Verbot. Die Sprecherin von Rauchs Ministerium, sagt dazu: „Es geht nicht nur um die Hitze. Der Stress, die Abgase, der Verkehrslärm, das ist für ein Fluchttier alles andere als ideal“.

Als Alternative verweist sie auf elektrische Oldtimer, mit denen in New York Tourist:innen herumkutschiert werden. Hiermit könnten auch die durch ein Verbot verlorenen Arbeitsplätze aufgefangen werden. Der Tiermedizinerin Copar wirft sie Interessenskonflikte vor, da sie für zwei Fiaker-Betriebe als Tierärztin arbeitet.

[Lesen sie auch: 48 Stunden grünes Wien: Ein Guide zu den besten Parks und schönsten Touren (T+)]

Erst kürzlich verunglückte in Wien ein Fiaker, als ein PKW versuchte, die Kutsche zu überholen und dabei mit dem Gespann zusammenstieß. Der Kutscher kam schwerverletzt ins Krankenhaus, die scheuenden Pferde mussten wieder eingefangen werden und erlitten leichte Verletzungen.

Tierschutzorganisationen nahmen das zum Anlass, erneut für ein Verbot zu plädieren. „Der Unfall zeigt wieder einmal, dass Innenstädte kein Lebensraum für Pferde sind.“, so Weissenböck. Dass 2022 Pferde in Großstädten in Verkehrsunfälle verwickelt werden, sei „eine Schande für Österreich“, schreibt der „Verein gegen Tierfabriken“.

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Die Wirtschaftskammer Wien zeigt sich in ablehnend gegenüber einem Verbot und fordert einen runden Tisch aus Wirtschaft, Fiaker-Betrieben und Politik. Die Tierschutzorganisationen wurden nicht eingeladen. „Wirklich rund ist der Tisch also nicht“, so Veronika Weissenböck. Wien ohne Fiaker sei wie Venedig ohne Gondeln, meint Markus Grießler, (ÖVP), Obmann der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft und Mitglied des Wiener Landtags.

Die Fiaker seien ein Bestandteil des „erwarteten Wien-Erlebnisses“ und würden die Stadt attraktiver machen. Hossa glaubt deshalb nicht an ein baldiges Verbot: „Für viele gehören Sisi, Franz und die Fiaker zum Wiener Stadtbild so wie der Eiffelturm zu Paris. Dieses vorgegaukelte kaiserliche Gefühl, will man bewahren“.

„Wären die Fiaker nicht mehr zeitgemäß, würde es sie nicht mehr geben“, so holt die Wirtschaftskammer in einer Pressemitteilung zum finalen Argument aus, ein Grundgesetz der Wirtschaft sei das. Darauf, dass der Markt es also regelt, wollen die Tierschützer:innen nicht warten, sie kündigten angesichts der nahenden heißen Sommermonate weitere Protestaktionen an.

Kabarettistin Tereza Hossa bringt als Lösung des Konflikts Roboterpferde ins Spiel. E-Fiaker seien zudem hitzebeständiger. Mögliche Folge: Weniger Arbeit für sie als Tierärztin.

Aljoscha Huber

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