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In Berlin und anderen Großstädten sorgt das Aufeinandertreffen von Pkw, Fahrrädern und E-Scootern für Konflikte.

© imago images/Dirk Sattler

Autos, Fahrräder, E-Scooter: Wem gehört die Straße?

Das Nebeneinander birgt vor allem in Städten große Gefahren. Der Verkehrsgerichtstag beschäftigt sich nun damit, wie das Problem gelöst werden könnte.

Autofahrer sehen in breiten Radwegen ideale Parkplätze. Radfahrer rächen sich, indem sie rote Ampeln oder vorgeschriebene Radwege ignorieren. Beide Gruppen beklagen wechselseitig regelwidriges und rücksichtsloses Verhalten. Von einem „Kampf der verschiedenen Mobilitätskulturen“ sprechen Wissenschaftler, von einem „Verkehrs-Dichte-Stress“ Praktiker bei Polizei und Behörden.

„Der öffentliche Verkehrsraum ist völlig überbucht“, sagt Michael Milde, Abteilungsleiter Mobilitätsplanung der Stadt Münster. „Das führt zwangsläufig zu Konflikten.“

Und zu vielen Unfällen. Während die Opferzahlen im gesamten Verkehrsgeschehen rückläufig sind, stagnieren sie bei Radfahrern auf hohem Niveau. 2021 waren 372 Getötete, 14.918 Schwerverletzte und fast 690.00 Leichtverletzte zu beklagen. Damit sind laut Unfallforschung der Versicherungen (UDV) inzwischen 15 Prozent der Getöteten und 27 Prozent der Schwerverletzten Radfahrer.

Zwar habe der Radverkehr insbesondere durch E-Bikes in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, aber im Hinblick auf die Bezugsgröße der zurückgelegten Kilometer seien das völlig „inakzeptable Zahlen“, beklagt UDV-Chef Siegfried Brockmann.

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Ab Mittwoch sucht der – wegen Corona in den Sommer verschobene – 60. Verkehrsgerichtstag in Goslar nach Wegen, die Konflikte zu entschärfen und dadurch die Folgen abzumildern. Bund, Länder und Kommunen haben sich vor allem aus Klimaschutzgründen ambitionierte Ziele zum Ausbau des Radverkehrs gesetzt.

So sieht der „Nationale Radverkehrsplan“ des Bundes vor, die mit dem Rad zurückgelegten Kilometer in Deutschland bis 2030 zu verdoppeln. „Mehr Radverkehr mit mehr Verkehrssicherheit – wie schaffen wir das?“, lautet dazu die ebenso ambitionierte Frage des Arbeitskreises. Dort nehmen die Experten aus Justiz, Verwaltung, Medizin, Versicherungswirtschaft und Automobil-Clubs ausdrücklich auch die Fußgänger in den Blick, die sich ihrerseits häufig über Rüpel-Radler beschweren. „Kombinierte Geh- und Radwege müssen die Ausnahme bleiben“, meint der Münsteraner Milde.

Debatte um die Helmpflicht

Neben technischen Vorrichtungen wie Abbiegeassistenten für Lastwagen oder Tote-Winkel-Spiegel an Ampelmasten steht auch der Selbstschutz der Radfahrer zur Debatte. Das Reizwort heißt Helmpflicht. Unfallforscher wie Brockmann raten seit Jahren dringend dazu, den Kopfschutz zu tragen, um den schlimmen Folgen eines Sturzes vorzubeugen.

Über passiven Schutz wie im Auto – Gurt, Airbag und Deformationszone – verfüge der Radfahrer ja nicht. Deren Lobby lehnt einen gesetzlichen Zwang ab, um den (Verkaufs-) Boom nicht zu stoppen. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) belässt es bei einer allgemeinen Empfehlung. Allerdings sieht auch Experte Brockmann eine explizite Pflicht aus verfassungsrechtlichen Gründen kritisch.

Konfliktträchtig dürfte in Goslar ebenfalls das Thema Nebeneinander im engen Verkehrsraum werden, das durch die vielen E-Scooter vor allem in Innenstädten noch drängender geworden ist. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nimmt vor allem die Anbieter in die Pflicht.

Spezielle Parkflächen für E-Roller?

„Es gibt immer wieder Probleme, weil die E-Scooter nicht richtig abgestellt werden und dadurch Fußgänger und den Radverkehr behindern“, sagte er dem Tagesspiegel. „Die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung regelt die Verwendung von E-Scootern auf öffentlichen Straßen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Regeln auch eingehalten werden.“ Hier seien vor allem auch die Anbieter in der Verantwortung. Diese hätten zugesagt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen und die Nutzer zu sensibilisieren.

Wissing forderte zudem die Kommunen auf, die Möglichkeit zu nutzen, spezielle Parkflächen für Elektrokleinstfahrzeuge auszuweisen, auch in Kombination mit Fahrrädern. „Es liegt an den Kommunen, diese Parkflächen auch tatsächlich einzurichten – und das Einhalten der geltenden Regeln zu überwachen“, sagte Wissing. Das Hauptproblem sieht er darin, dass nicht genug überprüft werde.

Für Planer Milde ist der Fall des Nebeneinander im Straßenverkehr klar: „Wir müssen zu einer Umverteilung zugunsten des Umweltverbundes aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr kommen. Das Auto muss Platz abgeben“, fordert der Abteilungsleiter aus Münster.

Konkurrenzsituationen baulich entschärfen

Die erhöhten Bußgelder für Radwege-Blockierer müsse man konsequent durchsetzen und deren Autos abschleppen. „Mal eben auf dem Radweg parken und Brötchen holen, ist ein absolutes No-Go.“

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt dagegen vor einer einseitigen Diskriminierung der Autofahrer. „Auch auf die Interessen und die Funktionen des Kraftfahrzeugverkehrs muss geachtet werden“, verlangt Verkehrsanwalt Martin Diebold aus Tübingen. Nach wie vor würden die mit Abstand meisten Personen und Waren mit Kraftfahrzeugen transportiert. „Für diese stellt das Fahrrad nicht immer eine Alternative dar.“

Sozialgeografin Jana Kühl, die die deutschlandweit erste Professur für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter hält, plädiert dagegen, potenzielle Konkurrenzsituationen durch eine bauliche Gestaltung zu entschärfen: „Das Pollern von Parkverbotszonen in Straßeneinmündungen sowie Protected Bike Lanes zur Vermeidung von Falschparken sind hierfür einfache Beispiele.“

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