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Kinder spielen in der Sandkiste

© IMAGO/Zoonar

Vom Spielplatz in den Flur: Die große Umverteilung mit Sand und Fuß

Eines der letzten Mysterien der Menschheit: Kinder, die vom Spielen im Freien in ihren Schuhen die halbe Sandkiste mit nach Hause tragen – ohne es gemerkt zu merken! Warum ist das so?

Von Jonas-Erik Schmidt, dpa

Die wärmeren Jahreszeiten brechen an, und die Kinder zieht es nach draußen. Und damit beginnt sie wieder, die große Umverteilung. Ihren Anfang nimmt sie auf Spielplätzen und in Sandkästen von Kitas - und sie endet im heimischen Hausflur. Und obwohl man eigentlich darauf vorbereitet sein sollte, ist man stets überrascht, wie viel es ist: Sand.

Häufchen um Häufchen rieselt auf den Boden, sobald die Schuhe ausgezogen sind. „Hast du das denn nicht gemerkt?“ Blick in ausdruckslose Gesichter.

Sand und Schuhe, das ist kulturgeschichtlich keine neue Kombination. „Ich hab' noch Sand in den Schuh'n aus Hawaii“, sang Schlagerbarde Bata Illic 1975. Aber gerade mit Blick auf Kinder lohnt sich doch eine genauere Betrachtung. Wo der Sand herkommt, ist dabei relativ klar: aus Sandkästen und von Spielplätzen, den natürlichen Habitaten Ein- bis Fünfjähriger.

Ich habe noch kein Kind gesehen, das durch Sand im Schuh anatomische Schäden davon getragen hat. Höchstens mal eine Blase.

Arne-Björn Jäger, Oberarzt der Orthopädie

Ganz erstaunlich ist jedoch die Menge, die Kinder offenbar ungerührt über Stunden in ihren Schuhen mit sich führen können. Nichts ahnt man, Klagen hört man nicht, und am Ende sieht der Fußboden aus wie der Wüstenplanet im Film „Dune“. Wie kann das sein?

Kleine Kinder haben offenbar noch kein ausgeprägtes Druckempfinden an den Füßen.

© imago/imagebroker

Der Fuß, das sei ein „filigranes Bauwerk“, sagt Arne-Björn Jäger, Oberarzt der Orthopädie. Was das Erfühlen von Sand angeht, da gebe es einerseits das sogenannte protopathische System. Das sei das Schutzsystem – es vermittle Schmerz, grobe Berührungen, auch Temperatur. „Wenn wir auf etwas sehr Heißes treten, ziehen wir den Fuß weg.“ Dieses System entstehe sehr früh, bereits im Mutterleib.

Daneben gebe es aber noch das sogenannte epikritische System. Es sei in der Lage, Formen zu erkennen oder Enge zu bemerken. „Dieses System ist es auch, das uns vermittelt, dass Sand im Schuh ist. Sand ist ja per se nichts, was starke Schmerzen hervorruft“, sagt Jäger. „Der Unterschied ist nun: Das epikritische System entwickelt sich erst nach und nach. Es unterliegt einem Lernprozess. Und bei vielen Kindern ist es offenbar noch nicht so ausgebildet, dass sie den Sand im Schuhe bemerken.“

Die Analyse deckt sich mit den Eindrücken, die man beim Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie gewonnen hat. Dort verweist Sprecherin Claudia Schulz ebenfalls auf das Phänomen, das kleine Kinder offenbar noch kein ausgeprägtes Druckempfinden hätten. „Deshalb ist die Anprobe von Schuhen auch immer so eine Sache“, sagt sie. Kinder sagten oft, dass ein Schuh passe, obwohl er eigentlich zu klein sei – „weil sie den Druck nicht spüren.“

Und wie all den Sand wieder loswerden? „Ich würde bei Sandverschmutzung immer auf das Saugen setzen“, sagt Hélène Staiber, Meisterin im Gebäudereinigungshandwerk. „Vor allem bei rauen Böden ist saugen wichtig, damit der Sand auch aus den Vertiefungen rausgeht.“

Und fehlt es nicht irgendwann auf den Spielplätzen an Sand? „Die Notwendigkeit einer Sandnachfüllung beziehungsweise eines Sandaustauschs wird durch regelmäßig stattfindende Kontrollen festgestellt“, sagt ein Sprecher der Stadt Köln. „Der Sand an den Spielplätzen wird somit bedarfsgerecht und regelmäßig nachgefüllt oder ausgetauscht.“

Heißt wohl: Für Nachschub ist gesorgt. Die Umverteilung kann weitergehen.

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