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Bunte Seidenstoffe aus Usbekistan werden von Besuchern in Augenschein genommen.

© imago/Xinhua

Usbekistan: Rückkehr an die Seidenstraße

Seidenproduktion hat eine lange Tradition in Usbekistan. Nach dem Tod von Ex-Diktator Islam Karimow will die neue Führung die Branche entwickeln.

Der Ursprung jedes feinen Seidenstoffs sind Würmer. Außerordentlich gefräßige Würmer. Man füttert sie einen Monat lang mit Maulbeerblättern, bis sie beginnen, sich mit einem Sekret einzuspinnen. Schmetterlinge werden aus ihnen keine schlüpfen. Die Kokons, weiß und wattigweich, landen in einem Metallkessel mit kochendem Wasser. In diesem Bad endet das Leben der Raupen augenblicklich. Und der Weg der Seide beginnt.

Margilan, eine Stadt im Osten Usbekistans. Eine Frau rührt mit einem Holzstab durch die im blubbernden Wasser tanzenden Kokons. Feine Seidenfäden lösen sich. Geschickt führt sie mit den Händen zwei Dutzend weiße Fäden zusammen und legt sie auf ein Spinnrad: Die Kokons werden surrend abgespult. Aus einem Kokon kann rund ein Kilometer Seide gewonnen werden. So wie das Handwerk in der Seidenmanufaktur Jodgorlik Besuchern vorgeführt wird, produziert man in Usbekistan seit Jahrhunderten Seide. Das Land ist neben China und Indien einer der weltgrößten Hersteller von Seidenraupen.

„Dieses Handwerk hat Usbekistan in der ganzen Welt bekannt gemacht“, sagt Asamhon Abdullajew. „Und wir setzen diese Tradition fort.“ Abdullajew ist der Direktor von Jodgorlik. Das Unternehmen befindet sich im Zentrum von Margilan, einer geschäftigen Stadt im Ferganatal. Die fruchtbare Ebene, in der Melonen und Aprikosen wachsen, teilt sich Usbekistan mit den Nachbarländern Kirgisistan und Tadschikistan.

Der 58-Jährige mit dem grauen Schnurrbart und der sanften Stimme sieht gute Zeiten auf sein Land zukommen. „Wir brauchen Freiheit“, sagt er bedächtig. „Die Usbeken sind ein Volk von Händlern. In zehn Jahren können wir eines der am meisten entwickelten Länder Zentralasiens sein.“

2000 Menschen arbeiten in der Branche

Margilan ist ein historisches Zentrum der Seidenherstellung. Neben Jodgorlik produziert noch eine Handvoll anderer Fabriken den kostbaren Stoff. Rund 2000 Menschen arbeiten in der Branche. Die Stadt liegt auf der Seidenstraße, der alten Handelsroute, auf der hochwertige Güter zwischen China und Europa ausgetauscht wurden. Genauer gesagt: Margilan liegt heute wieder auf der Seidenstraße.

Lange Jahre schottete sich Usbekistan von der Außenwelt ab. Seit dem Zerfall der Sowjetunion führte der Diktator Islam Karimow das Land wie eine sowjetische Planwirtschaft. Tonangebend war die Politik des Importersatzes: Usbekistan sollte alle notwendigen Produkte selbst herstellen. Die Grenzen zu den Nachbarn waren geschlossen. Vor allem die Bewohner des Ferganatals litten darunter. Hier nehmen die Staatsgrenzen keine Rücksicht auf ethnische Siedlungsgebiete: Nur mit großem Aufwand konnten Verwandte einander treffen. Dabei sei das Ferganatal doch „die gemeinsame Heimat“ von Usbeken, Kirgisen und Tadschiken, sagt Direktor Abdullajew.

Das Land versucht eine zarte Öffnung

Nach Karimows Tod im September 2016 hat die neue Führung des Landes nicht nur die Grenzen zu den Nachbarn wieder geöffnet. Auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht versucht Staatschef Schafkat Mirsijojew eine zarte Öffnung. Mirsijojew, unter Karimow langjähriger Premierminister, hat sich in Wirtschaftsagenden zur Überraschung vieler als Reformer positioniert. Die staatliche Kontrolle des Wechselkurses wurde aufgehoben. Devisen, vorher Mangelware, sind nun leichter erhältlich. Die hohen Zölle, die Einfuhr und Ausfuhr von Waren erschwerten, wurden gesenkt. Eine Steuerreform wird ab dem nächsten Jahr unternehmerfreundliche Bedingungen schaffen. Auch die Seidenproduktion soll rentabler werden – und in den nächsten Jahren auf 35000 Tonnen Kokons anwachsen. Die zeitintensive Seidenraupenaufzucht soll besser bezahlt werden. Eine unabhängige Agentur soll den Sektor konkurrenzfähig machen.

So wie die meisten Menschen in Usbekistan möchte Asamhon Abdullajew über den verstorbenen ersten Präsidenten kein schlechtes Wort verlieren. Es ist ein bisschen so, als erlebte das Land eine Tauwetterperiode: Mit Karimow hat man nicht komplett gebrochen; seine Fehler würden korrigiert, heißt es. „Er war der Präsident seiner Zeit“, sagt Abdullajew. In seinem Büro hängt neben zahlreichen Zertifikaten und einem Wandbild aus farbenfrohen Seidenstoffen ein Foto Mirsijojews. „Er hat es nicht leicht. Er will das System ändern.“

Die Seide wird via Website verkauft

Für Privatunternehmer wie den Chef von Jodgorlik ist das, was gerade in Usbekistan passiert, eine Rückkehr an die Seidenstraße – in die Weltwirtschaft. Schon heute exportiert er zwei Drittel seiner Produkte ins Ausland. Der Atlas genannte hochwertige Seidenstoff wird nicht auf dem Markt von Margilan verkauft, wo Synthetik überwiegt, sondern via Website.

Auch bekannte Designer aus dem Westen haben in den vergangenen Jahren die usbekische Seide entdeckt. „Von vielen Designs produzieren wir nur eine Stoffbahn“, erklärt Abdullajews Sohn, der 23-jährige Afsan. „Unsere Muster werden von anderen schnell kopiert. Wir müssen uns stets etwas Neues einfallen lassen.“

Abdullajews Geschichte ist die eines „Roten Direktors“ mit traditionellem Händlerinstinkt. Zu Sowjetzeiten arbeitete er als Ökonom im Unternehmen. Damals war Jodgorlik eine „typische sowjetische Textilfabrik“, erinnert er sich. „Von oben wurde befohlen, welche Muster wir herzustellen hatten.“ Ein bekanntes Design der Fabrik hieß „Kreml“. Es wurde fast 40 Jahre lang gewebt. „Heute produzieren wir jeden Tag etwas Neues“, sagt Abdullajew. Pro Jahr stellt der Betrieb 100000 Meter Seide her – Tendenz steigend.

Auch in anderen Seidenmanufakturen in Margilan ist der Aufbruch zu spüren. Rasuldschon Mirsaachmedow hat in einer alten Koranschule ein „Zentrum für Handwerksentwicklung" eingerichtet. Dort verkauft er Seidenstoff als Meterware sowie verarbeitet zu Taschen, Mänteln und Polsterüberzügen. Dank Visumserleichterungen für Ausländer kommen neben Reisegruppen immer mehr Individualtouristen nach Margilan – Europäer, Koreaner, Japaner, Amerikaner. „Das Interesse an der Seidenstraße wächst“, so Abdullajew. Gut für ihn und sein Geschäft. Schlecht nur für die Raupen.

Jutta Sommerbauer

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