zum Hauptinhalt
Dichtes Gedränge herrscht an der „Bierstraße“ in Palma.

© picture alliance/dpa/Michael Wrobel

„Tourismus der Exzesse“: Zahl der sexuellen Übergriffe auf Mallorca steigt

Auf der beliebten Ferieninsel werden immer mehr Vergewaltigungen angezeigt. In vielen Fällen sind Täter und Opfer Touristen.

Es fängt meistens in bester Partylaune an: Urlauber und Urlauberinnen kommen auf Mallorca ins Gespräch. Am Strand, im Biergarten, in einer Bar oder Diskothek. Es wird zusammen getrunken, gelacht und gefeiert.

Doch irgendwann, meist zu vorgerückter Stunde, kippt die gute Stimmung: Das anfangs so nette Zusammensein gerät außer Kontrolle und endet zuweilen mit Vorwürfen der sexuellen Gewalt.

Die Zahl der Anzeigen wegen sexueller Übergriffe in den Party-Hochburgen Mallorcas steigt seit Jahren kontinuierlich. Im vergangenen Jahr wurden auf den Balearischen Inseln 111 Vergewaltigungen angezeigt. Was ist los auf der Urlaubsinsel?

Das ist hier wie Oktoberfest und Karneval zusammen.

Pedro Marín, Chef der örtlichen Hotelvereinigung

In letzter Zeit machten zudem mehrere mutmaßliche Gruppenvergewaltigungen Schlagzeilen. So sitzen fünf Deutsche seit über einem Monat in Untersuchungshaft, weil sie an der „Ballermann“-Partymeile Playa de Palma eine 18-jährige deutsche Touristin nach durchzechter Nacht missbraucht haben sollen. Wenig später wurden sieben Franzosen und ein Schweizer verhaftet, weil sie in Magaluf eine junge britische Urlauberin nach einer Partynacht vergewaltigt haben sollen.

Und erst am Samstag wurde bekannt, dass eine junge Britin Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden sein soll. Die Polizei nahm drei britische Urlauber auf dem Flughafen der Insel fest. Eine Britin wirft ihnen vor, sie unter Drogen gesetzt und dann missbraucht zu haben, wie die Polizei mitteilte. Die Frau habe die Männer über soziale Netzwerke kennengelernt. Die Polizei brachte die Frau ins Krankenhaus, wo ein Arzt Spuren sexueller Gewalt bestätigt habe.

Die Schilderungen der beiden ersten Vorfälle im Polizeibericht gleichen sich: In beiden Fällen haben sich die jungen Frauen und die jungen Männer in der Nacht beim Feiern kennengelernt. Die mutmaßlichen Vergewaltigungen fanden in Hotelzimmern statt.

Auf den Handys einiger Männer fanden sich Videos vom Sex. Und die Beschuldigten verteidigen sich beim Verhör durch die Polizei mit der Aussage, dass der Sex einvernehmlich stattgefunden habe.

So ähnlich lesen sich die Polizeiprotokolle auch in vielen anderen Fällen, in die manchmal sogar Prominente verwickelt sind – etwa Lukas Kwasniok, der Trainer des deutschen Fußball-Zweitligisten SC Paderborn, der Ende Mai von der mallorquinischen Polizei vorübergehend festgenommen worden war.

Der 42-Jährige war von einer Urlauberin, die er offenbar am Strand kennengelernt hatte, wegen eines mutmaßlichen sexuellen Übergriffs angezeigt worden.

Derzeit sitzen mehrere deutsche Touristen in Untersuchungshaft, weil sie eine junge Frau vergewaltigt haben sollen.
Derzeit sitzen mehrere deutsche Touristen in Untersuchungshaft, weil sie eine junge Frau vergewaltigt haben sollen.

© dpa/Clara Margais

Oder der deutsche Fußballprofi Atakan Karazor, der beim Bundesligaverein VfB Stuttgart spielt. Er verbrachte im Juni und Juli 2022 sechs Wochen in U-Haft auf Mallorcas Nachbarinsel Ibiza, bevor er wieder freikam.

Auch gegen den 26-Jährigen läuft ein Untersuchungsverfahren, weil eine 18-Jährige aussagte, sie sei nach einer Partynacht von ihm missbraucht worden.

Kwasniok wie Karazor bestreiten die gegen sie erhobenen Missbrauchsvorwürfe. Sie konnten wieder in die Heimat reisen, um dort den Ausgang ihrer Verfahren abzuwarten. Doch die Untersuchung der Vorwürfe kann noch dauern. Die spanische Justiz ist so überlastet, dass sich bei Anklageerhebung der Prozessbeginn jahrelang hinziehen kann.

Auf Mallorca werden nahezu wöchentlich Sexualdelikte angezeigt

Derzeit wird die Polizei auf Mallorca nahezu jede Woche wegen Sexualdelikten benachrichtigt: Erst vor wenigen Tagen alarmierte eine 20-jährige deutsche Touristin die Polizei und berichtete, dass sie auf der Toilette einer „Ballermann“-Kneipe vergewaltigt worden sei.

Die Polizei geht davon aus, dass die wirkliche Zahl der Sexualdelikte noch größer ist, als es sich in der Statistik widerspiegelt. Viele Taten würden nicht angezeigt.

Experten machen zudem darauf aufmerksam, dass die meisten sexuellen Übergriffe in der touristischen Hochsaison von Mai bis Oktober gemeldet werden. „Drogen und Alkohol wirken dabei oft als Beschleuniger“, schreibt die Inselzeitung „Ultima Hora“.

Spanien ist ein sicheres Land.

Francisco Javier Santos, Chef der Nationalpolizei an der Playa de Palma

Auch frauenfeindliche Trinklieder, die in den Party-Tempeln gegrölt werden, heizen das Ambiente auf fragwürdige Weise an. Wie etwa der „Ballermann“-Hit „Bumsbar“, in dem der Refrain gegrölt wird: „Heute sind wir wieder bumsbar. Geile Mädels, geile Jungs da.“

Gerät die Lage außer Kontrolle? Francisco Javier Santos, Chef der Nationalpolizei an der Playa de Palma, beruhigt und erklärt: „Spanien ist ein sicheres Land.“ Aber richtig sei die Beobachtung, dass der „Tourismus der Exzesse“ Diebstähle, Prügeleien und eben auch Sexualstraftaten mit sich bringe, sagte er in einem Interview.

So schlimm wie diesen Sommer war es allerdings noch nie, klagen Gastronomen, Hoteliers und Anwohner. Die „Mallorca Zeitung“ schreibt von „unappetitlichen Vorfällen am mit volltrunkenen Deutschen nur so strotzenden Ballermann“. Pedro Marín, Chef der örtlichen Hotelvereinigung, sagt: „Das ist hier wie Oktoberfest und Karneval zusammen.“ Marín fordert die Behörden auf, endlich hart durchzugreifen.

In Sachen Sexualstraftaten wird bereits hart durchgegriffen. Nach der jüngsten Strafrechtsreform können alle sexuellen Handlungen, die nicht ausdrücklich von allen beteiligten Personen gebilligt werden, als Aggression oder Vergewaltigung gewertet werden.

Schweigen oder das Fehlen von Gegenwehr darf somit nicht länger als mildernder Umstand für die Täter gewertet werden. Für Vergewaltigung drohen bis zu zwölf Jahre Gefängnis, für Gruppenvergewaltigung sogar 15 Jahre.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false