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Zugvögel sind etwa gänsegroß, haben aber im Unterschied zu Gänsen lange, sichelförmige Schnäbel. 

© Waldrappteam Conservation & Research

Spektakuläre Reise: Piloten eskortieren seltene Zugvögel nach Spanien

Seltene Zugvögel erreichen in einer spektakulären 43-tägigen Flugreise von Deutschland nach Spanien ihr Winterquartier. Es war eine erfolgreich geführte Migration für den Artenschutz.

Wer das Spektakel in der Luft zufällig vom Boden aus beobachtete, musste sich erst einmal die Augen reiben: Hinter zwei Ultraleichtflugzeugen sah man in mehreren hundert Metern Höhe einen Schwarm von großen Vögeln.

Meist flogen sie, wie es bei Zugvögeln üblich ist, in Keilformation. Eine Formation, die allerdings in diesem Fall nicht von einem Leitvogel, sondern von den beiden Ultraleichtfliegern angeführt wurde.

Die Tiere waren etwa so groß wie Gänse, hatten aber im Unterschied zu Gänsen lange, sichelförmige Schnäbel. Bei den Vögeln handelte es sich um den seltenen Waldrapp, der vom Aussterben bedroht ist und zur biologischen Familie der Ibisse gehört.

43
Tage war der ungewöhnliche Vogelschwarm unterwegs, um von Baden-Württemberg nach Andalusien zu kommen. 

Heute leben nur noch ein paar hundert Exemplare in Europa – vor allem in Süddeutschland, Österreich, Italien und in Südspanien, wo versucht wird, den Waldrapp wieder anzusiedeln.

Genau 43 Tage war dieser ungewöhnliche Schwarm unterwegs, der im deutschen Baden-Württemberg gestartet war und in diesen Tagen im südspanischen Andalusien ankam.

Angeführt wurde er von dem österreichischen Verhaltensbiologen Johannes Fritz, der als Pilot eines der beiden Leichtflugzeuge steuerte und so den Schwarm von Jungvögeln über die 2300 Kilometer lange Strecke von Deutschland in den Süden Europas lotste.

Früher war der Waldrapp mit seinem markanten gebogenen Schnabel und seinem kahlen, rötlichen Kopf in Deutschland, Österreich oder der Schweiz weit verbreitet. „Aber als Delikatesse verspeist und daher stark bejagt, starb er bereits im 17. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa aus“, berichtet die Naturschutzorganisation WWF, die das von der EU mitfinanzierte Wiederansiedlungsprogramm unterstützt. Er sei heute einer der seltensten Vögel der Welt.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind in der Vergangenheit um diese Jahreszeit tausende Waldrappe nach Andalusien und potenziell weitere nach Marokko migriert, bis diese Art im Mittelalter in Europa ausgerottet wurde“, schreiben Johannes Fritz und sein wissenschaftliches Waldrappteam in einer Mitteilung.

Zugroute durch Frankreich und Spanien

Nun, nach Jahrhunderten, sei es mit menschlicher Hilfe erstmals wieder gelungen, die Waldrappen von Mitteleuropa über dieser Zugroute durch Frankreich und Spanien in ihr traditionelles Winterquartier zu bringen.

Ein Experiment, das die Wissenschaftler „geführte Migration“ nennen. Dabei inspirierte sich das in Österreich beheimatete Forscherteam an einer Pioniertat, die vor 30 Jahren aufhorchen ließ.

Damals gelang es dem Kanadier William Lishman, von Menschen aufgezogene Wildgänse mit einem Leichtflugzeug von der Kanada-Provinz Ontario in ihr angestammtes Winterquartier im südlichen US-Staat Virginia zu überführen. Ein wissenschaftlicher Erfolg, der von Hollywood in dem berühmten Film „Amy und die Wildgänse“ aufgegriffen wurde.

Dort sind sie auch gleich mit Vögeln der sesshaften andalusischen Population zusammengetroffen. Das war ein großer und bewegender Moment.

Wissenschaftliches Begleitteam über die Ankunft der Vögel in Andalusien.

Wie jene Schar der jungen Kanadagänse, die in dem Film die Hauptrolle spielen, sind auch die nach Spanien gelotsten Waldrappe von Menschen aufgezogen worden. Und deswegen müssen diese in künstlicher Umgebung aufgewachsenen Zugvögel das natürliche Zugverhalten erst erlernen.

Dazu werden die Jungtiere wochenlang und spielerisch auf den großen Flug vorbereitet. Vor allem werden die Vögel darauf trainiert, ihren in Fluggeräten sitzenden Zieheltern zu folgen.

Schon seit 20 Jahren führt das europäische Waldrappteam Jungvögel mit Ultraleicht-Fluggeräten aus dem nördlichen Alpenland in ein südliches Überwinterungsgebiet in Italien. Die Waldrappe stammen aus Zuchtprogrammen – vor allem aus Österreich, aber auch aus Deutschland und der Schweiz.

Haben die Vögel einmal mit menschlicher Hilfe ihren Migrationstrieb und ihr Winterquartier entdeckt, kommen viele von ihnen im Frühjahr in ihre natürlichen Brutgebiete in den nördlichen Alpen zurück – ohne weitere menschliche Einwirkung.

Klimawandel zwingt zu neuer Migrationsroute für Waldrappe

Doch neuerdings machen Klimawandel und Erderwärmung den Waldrappen zu schaffen. Durch den Temperaturanstieg und den verlängerten Sommer erwacht der Migrationstrieb später. Die Folge: Die Vögel finden nicht mehr die notwendigen Aufwinde, die ihnen über die Alpen nach Italien helfen. Deswegen versuchen die Forscher nun, eine neue Migrationsroute nach Spanien zu etablieren. Auf dieser Strecke müssen die Vögel nicht mehr unbedingt die Alpen überqueren, sondern können sie umfliegen.

Die Strecke ins südspanische Spanien, wo es in Andalusien eine frei lebende Waldrappkolonie gibt, ist dreimal länger als jene in die italienische Toskana. Entsprechend ist das Risiko größer, dass nicht alle Vögel den Weg überleben.

Die größte Gefahr sind Strommasten, auf denen sich Waldrappe gerne ausruhen. Oder Jäger, die auf Wildvögel anlegen. Auch Raubvögel lauern unterwegs. Zudem können sich sogar Zugvögel mal verirren und ihr Migrationsziel verfehlen.

Auch während der geführten Waldrappmigration nach Spanien kamen Tiere abhanden. 35 Waldrappe waren am Bodensee in Süddeutschland zusammen mit ihrem „Leitvogel“ Johannes Fritz gestartet.

32 schafften es im Windschatten des von Fritz gesteuerten Ultraleichtfliegers bis nach Andalusien. „Dort sind sie auch gleich mit Vögeln der sesshaften andalusischen Population zusammengetroffen“, berichtet erleichtert das wissenschaftliche Begleitteam. „Das war ein großer und bewegender Moment.“

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