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Klare Front - mit deutlich sichtbaren Volvo-Genen.

© Polestar

Polestar 2 Long Range Single Motor: Weniger kann mehr sein

Das vollelektrische Coupé aus dem chinesisch-schwedischen Geely-Volvo-Konzern gibt es nun mit größerer Reichweite und erheblich preiswerter.

Polestar 2? Und was ist mit der Nummer 1? Die ist schon Geschichte! Ab 2019 wurden 500 Polestar 1 pro Jahr im chinesischen Chengdu gebaut, insgesamt waren 1.500 Autos über einen dreijährigen Produktionszyklus geplant. Dieses 2,35 Tonnen schwere Hybrid-Coupé läuft dieses Jahr aus. Vorn sitzt ein doppelt aufgeladener Vierzylinder mit 309 PS sowie hinten zwei Elektromotoren mit zweimal 116 PS. Sie ergeben eine Systemleistung von 600 PS und 1000 Newtonmeter Drehmoment. Bei „vorsichtiger“ Fahrweise sollen dank relativ großem 34-kWh-Akku rund 100 Kilometer rein elektrisch gefahren werden können. Mit dem zweisitzigen Hybrid-Coupé auf der Plattform des Volvo S90 wollten die Schweden zeigen, wie sportlich Elektromobilität auch sein kann. Es ist jedoch unterm Strich eine elitäre und teure Fingerübung. Mit 155.000 Euro gehört der Polestar 1 zu den teuersten elektrifizierten Autos; er kostet deutlich mehr als ein Tesla oder ein Porsche Panamera Hybrid.

Die E-Zukunft muss billiger werden. Für den künftigen elektrischen Massenmarkt ist der Polestar 2 als Vorreiter vorgesehen, der deutlich billiger als die Nummer 1 ist. Mit ihm baut Volvo-Besitzer Geely die neue Elektro-Marke Polestar auf. Die hat sich bereits als Werkstuner von Volvo einen Namen gemacht. Seit gut vier Jahren geht es klar in Richtung elektrischer Autos. Der Polestar 2 wurde vor gut zweieinhalb Jahren vorgestellt. Seit letztem Sommer wird er, dessen Produktion Anfang 2020 im chinesischen Luqiao anlief, ausgeliefert.

Ein elegantes viertüriges Coupé der besonderen Art ist den Schweden gelungen.
Ein elegantes viertüriges Coupé der besonderen Art ist den Schweden gelungen.

© Polestar

Ein Coupé gegen viele SUVs

Endlich mal kein neues massiges SUV mit E-Antrieb! Der Polestar 2 ist ein elegantes viertüriges Coupe der besonderen Art – ein Crossover eben. Klar, clean, ohne verspielte Schwünge; anders als die Konkurrenz von Audi mit ihren barock geformten SUVs sowie den Bling-Bling-Cockpits. Dennoch geht vom kühlen Schweden eine sympathische Anziehungskraft aus. Er ist sofort als edles Mitglied der Volvo-Familie zu erkennen. Besonders an der Front. Grill und Scheinwerfer mit unverkennbarem LED-Tagfahrlicht im Thors-Hammer-Stil sagen einem: Das muss ein Volvo sein. Und an noch etwas muss ich denken: Die Schweden haben geschickt eine Lücke ausgemacht, die von den deutschen Premium-Herstellern bislang vernachlässigt worden ist. Wo sind die elektrischen A4, BMW Dreier, Mercedes C-Klasse? Der Polestar 2 hat damit (noch) ein Alleinstellungsmerkmal in der elektrischen Mittelklasse.

So nordisch kühl wie das Äußere gibt sich auch der Innenraum. Dort offeriert der Schwede zur Freude einen viel höheren Qualitätsstandard als das nicht gerade hochwertig wirkende Tesla Model 3 oder gar der spartanisch wirkende VW ID.3. Das edel wirkende Polestar-Cockpit präsentiert sich als durchdachte Weiterentwicklung der aktuellen Volvo-Generation mit reduzierten und Instrumenten sowie elf Zoll großem Hochkant-Display. Und das ist wegen seiner zukunftsweisenden Technik ein Highlight. Denn der Polestar 2 ist weltweit das erste Auto, das mit dem Betriebssystem Android Automotive OS von Google unterwegs ist. Und das hat es in sich. Der große Touchscreen zeigt alle Infos übersichtlich an, das System reagiert prompt auf Eingabebefehle. Und wenn man das Auto wie einen guten Freund nach dem Weg fragt, wählen die ins Auto integrierten Versionen von Google Maps und A Better Routeplaner automatisch die optimale Route aus und passen diese entsprechend an. So sucht Google eine exakte Routenplanung aus, berücksichtigt die Fahrweise, den Akkustand und vieles mehr. Laut Google soll es zukünftig auch möglich sein, freie Ladesäulen auf der geplanten Strecke zu buchen, wodurch man funktionierende und freie Ladepunkte vorfindet.

Der Polestar 2 Long Range lässt in der elektrischen Mittelklasse die deutschen Hersteller hinterher fahren.
Der Polestar 2 Long Range lässt in der elektrischen Mittelklasse die deutschen Hersteller hinterher fahren.

© Polestar

Bis zu 540 Kilometer Reichweite

Im Alltag erweist sich der 4,61 Meter lange Polestar 2 viel mehr als nur ein spezielles rollendes Tablett. Er ist ein gut gemachtes E-Auto. Allerdings auch eines, das seinen selbstbewussten Preis hat.

Denn die Schweden starteten 2020 ungewöhnlich in die elektrische Zukunft. Mit nur einem einzigen Modell!  Es war der Polestar 2 Long Range Dual Motor. Dieses Modell heißt wirklich so! 408 PS, Allradantrieb, große 78 kWh-Batterie, bis zu 480 Kilometer Reichweite, 205 km/h Spitze, in 4,7 Sekunden von null auf Tempo 100. Und mit allen Extras 61400 Euro teuer!

Nun geht es bei Polestar endlich billiger zu, denn die Schweden bringen dieses Auto jetzt auch mit nur einem Elektromotor, Frontantrieb und zwei Akku-Größen auf den Markt. Als Long Range Single Motor mit 231 PS, 78 kWh-Batterie mit bis zu 540 Kilometer Reichweite ab 44390 Euro sowie als Standard Range Single Motor mit 224 PS, 64 kWh-Batterie mit bis zu 440 Kilometer Reichweite ab 41490 Euro. Beide neuen Modelle beschleunigen jeweils in 7,4 Sekunden auf Tempo 100, und fahren bis zu 160 km/h schnell.

Laut Polestar-Chef Thomas Ingenlath müssen alle Versionen des Polestar 2 gleichermaßen attraktiv sein. Besondere Merkmale wie die 19-Zoll-Räder, das LED-Lichtdesign vorn und hinten und die für Polestar typischen rahmenlosen Außenspiegel werden deshalb auch bei den abgespeckten Versionen mit nur einem E-Motor beibehalten. Ebenso wie die im vergangenen Jahr eingeführten Sitze aus veganem WeaveTech. Es bleibt ebenso bei der geprägten Textilpolsterung aus veganem Material. Das ist in zwei Farbausführungen erhältlich und exakt auf die neuen 3D-angerauten Zierblenden abgestimmt. Weitere bemerkenswerte Standardfeatures sind das Hochleistungs-Audiosystem mit acht Lautsprechern, vordere und hintere Parksensoren sowie eine Rückfahrkamera.

Nordisch kühl und mit viel Qualität. Der Polestar 2 ist weltweit das einzige Fahrzeug mit Android Betriebssystem von Google.
Nordisch kühl und mit viel Qualität. Der Polestar 2 ist weltweit das einzige Fahrzeug mit Android Betriebssystem von Google.

© Polestar

Einen Startknopf gibt es nicht 

Optisch ändert sich nichts am neuen Basismodell. Den Unterschied erkennt man nur an den kleinen Aufklebern, die als Modellbezeichnung an den vorderen Enden der vorderen Türen angebracht sind. Auf unserem Testwagen steht also nicht 300 kW, Dual Motor und 78 kWh, sondern 170 kW, Single Motor und 78 kWh. Das bedeutet nahezu halbierte Leistung, halbiertes Drehmoment (von 600 auf 330 Newtonmeter). Aber auch das Gewicht sinkt; es gibt ja keinen Motor mehr an der Hinterachse. Der Long Range Single Motor Polestar wiegt 119 Kilogramm weniger (1994 Kilogramm). Hat man den kleinen Akku an Bord, speckt der Polestar 2 noch mal um 54 Kilogramm auf 1940 Kilogramm ab.

Also einsteigen. Einen konventionellen Startknopf gibt es nicht. Ein Sensor im Sitz erkennt, dass man Platz genommen hat. Den Design-Wählhebel auf D stellen, und schon geht‘s los.  Dieses E-Auto schaltet sich auch wieder ab, wenn man den Fahrerplatz verlässt. Eine coole Sache, die ideal zur E-Auto-Zukunft passt. Ebenso wie das hier: Das digitale Cockpit simuliert keine analogen Rundinstrumente mehr; es zeigt alles unverblümt voll digital an.

Laut Infodisplay ist der 78 kWh-Akku zu 90 Prozent gefüllt; die Reichweite beträgt noch 400 Kilometer. Oh, da muss einer vor mir aber kräftig auf das Fahrpedal getreten sein. Egal. Nach dreieinhalbstündiger Testfahrt zeigt die Batterie nach 181,4 gefahrenen Kilometern einen Ladestand von noch 43 Prozent an. Der Praxis-Verbrauch liegt bei 20,8 kWh pro 100 Kilometer, inklusive einem längeren flott gefahrenen Autobahnteilstück. Der Praxis-Verbrauch liegt nur wenig über der Werksangabe von 17,1 kWh: Das geht in Ordnung. Denn das nasskalte Wetter ist batterieunfreundlich, und die Temperatur beträgt nur acht Grad. Gegenüber dem Long Range Dual Motor Modell ist der Polestar mit nur einem Motor in der Spitze gut 10 kWh pro 100 Kilometer sparsamer. Weniger kann auch mehr sein.

Die große 78 kWh-Batterie dürfte also selbst bei engagierter Fahrweise für mehr als 400 Kilometer Reichweite gut sein. Und schnelles Nachladen ist kein Problem: Liefert die Schnellladesäule 155 kW Gleichstrom, ist der Akku von Null auf 80 Prozent in 40 Minuten wieder geladen. An der Wechselstrom-Wallbox mit 11 kW vergehen allerdings acht Stunden.

Auch 231 PS reichen allemal aus

Beim Fahren vermisst man im Alltag eigentlich keine höhere Leistung, nur manchmal den Allradantrieb. Das Auto fährt sich, wie es sich für ein gut gemachtes E-Auto gehört: ansatzlos schnell, drangvoll, überraschend leise, knackig – und irgendwie faszinierend. Selbst die lediglich 231 PS wuchten den Fronttriebler locker nach vorn. Auf regennasser Piste musste beim Herausbeschleunigen aus Kurven die Regelelektronik öfter mäßigend eingreifen, um durchdrehende Vorderräder im Zaum zu halten. Apropos eingreifen. In der höchsten Rekuperationsstufe drei verzögert der Polestar 2 vehment, bis zum Stillstand. Also die Stärke verringern. Das ist hier nicht so einfach. Statt bedienungsfreundlicher Lenkrad-Paddel muss man in die Tiefen des Systems gehen. Also rechts ranfahren und einstellen. Das nervt!

Dafür freut man sich, dass die Sitze mit ihrer ausgeprägten Konturierung für viel Halt sorgen und die angenehm straffe Polsterung auch stundenlange Fahretappen an den Passagieren förmlich abperlen lässt. Die Sitzheizung arbeitet zügig und homogen, ebenso die dreistufige Lenkradheizung. Die Klimatisierung bleibt durchgängig zugfrei. Und dank 360-Grad-Kamerablick mit hochaufgelöstem Bild inklusive vier weiteren Kameraperspektiven gelingt jeder Parkvorgang einfach, obwohl das coupeartige Auto nach hinten unübersichtlich ist. Wenn sich wenigstens die massiven Kopfstützen umklappen ließen. Schönheit hat halt auch ihre Kehrseite.

Für ein Elektro-Auto bietet der Polestar2 in der zweiten Reihe ungewöhnlich wenig Platz, für Beine und den Kopf. Der Kofferraum schluckt 405 Liter und befindet sich damit in guter Gesellschaft mit einem VW ID.3 oder dem Tesla Model 3.

Verspieltes Schalthebel-Design.
Verspieltes Schalthebel-Design.

© Polestar

Lieferbar in vier Wochen

Fazit. Dem Tesla Model 3 konnte bislang kein anderes Elektroauto richtig gefährlich werden. Die Konkurrenz war entweder zu schlecht oder zu teuer. Oder es handelte sich wieder mal um einen dieser monströsen E-SUV. Jetzt hat Volvos Elektro-Sparte mit dem Polestar 2 einen Stromer gebracht, der die elektrische Hackordnung in der Mittelklasse ändern könnte.

Das Besondere am neuen „Basismodell“ von Polestar, das nach der Förderung 35930 Euro kostet: Fahrspaß ist keine reine Frage schierer Leistung, sondern vielmehr eines stimmigen Gesamtkonzepts. Polestar greift Tesla auf diese besondere Weise an. Und auf den vergleichsweise günstigen Schweden muss man nicht monatelang warten; das Auto ist in vier Wochen lieferbar. Verspricht Polestar.

Ein weiteres, ganz großes Versprechen gibt Polestar-Chef Thomas Ingenlath ab: Er sehe Polestar in fünf Jahren sogar als Porsche-Konkurrenten. „Wir konkurrieren mit Porsche um den besten elektrisch betriebenen Premium-Sportwagen.“ Mal sehen, ob die chinesischen Schweden das einhalten können.

Bis 2026 werde die Modellpalette der Marke vier bis fünf rein elektrische Modelle umfassen. Geplant sind zwei SUV sowie eine Sportlimousine. Da ist noch einiges zu erwarten.

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