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Erfahrener Blick. Vieles von dem, was andere wegwerfen, ist für Emil wertvoll. Er bewegt sich in der Öffentlichkeit, aber in der Zeitung will er nicht erkannt werden.

© Kai-Uwe Heinrich

Party als Gesellschaftskritik: Künstler organisiert Geburtstagsfeier für Flaschensammler Emil

Emil ist Flaschensammler und wird 70 Jahre alt. Ein Künstler organisiert am Samstag in Kreuzberg die Geburtstagsfeier – als Gesellschaftskritik.

Ausgerechnet seine Hände sollen künstlerisch wertvoll sein? Diese Hände, diese verkrümmten, knotigen Greifer, die ihm seit über zehn Jahren so wehtun, als steche jemand mit einem Messer ins Fleisch? Was für ein Witz! Und mehr noch: Diese Hände seien es wert, dass man eine Geburtstagsfeier für ihn ausrichte? Für ihn, den Flaschensammler Emil, der sich in seinem ganzen Leben an keine einzige Geburtstagsfeier erinnern kann, und jetzt – zu seinem siebzigsten – das erste Mal eine bekommen soll? Es scheint so. Nun denn.

„Dann geh ich da halt mal hin, mal sehen, was so kommt“, sagt Emil, der Flaschensammler, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Der sich nur mit Sonnenbrille und ins Gesicht gezogener Mütze fotografieren lässt, weil es zwar in Ordnung sei, von dem zu leben, was eine satte Gesellschaft so vom Tisch fallen lässt. Aber nichts, worauf man besonders stolz sein sollte.

Ein Mittwoch vor dem KaDeWe, Wittenbergplatz: Emil rennt. Seit über zehn Jahren, als einer der ersten der Stadt, sagt er. Ein Zickzackkurs. Von einem BSR- Mülleimer zum nächsten, geschätzt alle zwanzig Meter einer. Zusätzlich die Tonnen der Imbissbuden, zusätzlich die Eimer in den Kaufhauseingängen. Wer einmal wartet und einen Moment schaut, sieht sie überall: die Tonnen. Und die Menschen mit den Plastiktüten, die ihre Kreise ziehen. Und die Profis der BSR, wie Postboten, die größere Säcke unter kleinere halten, umfüllen, aussortieren.

Angefangen hat es mit dem Zwangspfand von Jürgen Trittin

Angefangen hat es mit Jürgen Trittin, dem Zwangspfand und einer Nachricht, von der Emil hörte: 79 Millionen Euro Pfand werden jedes Jahr nicht eingelöst. Hol ich die halt, habe er gedacht. Fing es tatsächlich so an? Natürlich nicht. Wenn überhaupt, dann hört es so auf. Angefangen hat es mit der Wende, als Emil seinen Job verlor in einem Westberliner Unternehmen, das Maschinen zum Wäschesortieren herstellte. Hauptabnehmer: DDR. Dann arbeitslos, „dank und nach der Wende“, sagt er. Nie wieder einen festen Job gehabt, dafür Anfang 2000 eine Operation an der Hand. Dick wurde sie, schwoll an auf das Doppelte ihrer eigentlichen Größe.

Nach der OP wurde nichts besser, im Gegenteil: Chronische Schmerzen, Sudeck-Syndrom nennt sich die Krankheit. Auslöser unbekannt, Therapieerfolg ungewiss. Zuckungen, Versteifungen, kleiner Finger verkrümmt. Hätte Emil noch einen Job gehabt, er hätte ihn wohl spätestens dann verloren. Um in Mülleimer zu greifen, dafür reicht es aber. Eine miese Krankheit mit der unangenehmen Eigenschaft, auch die andere Hand zu befallen, einfach so. Zur Hälfte körperlicher Schmerz, die andere Hälfte seelisch, sagt Emil. Heftige Stimmungsschwankungen sind das Ergebnis. Diese Hände also Kunst?

Durchaus, findet Clemens Schergaut, 55-jähriger Künstler, der Emil vor ein paar Monaten auf einem Schöneberger Straßenfest kennenlernte. Die Hände, die „die Grenzen durchbrechen zwischen Warenwelt und Müllwelt“. Wer greift schon freiwillig in die Eimer? Es gehe darum, einen „vom Rand der Gesellschaft einmal in ihre Mitte“ zu stellen. Um gesellschaftskritische Kunst. Also eine Party veranstalten. In der Ausstellung ringsherum wird Emils Leben in Fotos, Videos und Texten künstlerisch dokumentiert. Natürlich haben sie Wowereit angeschrieben, schließlich geht der Regierende gern auf Partys. Macht er dann wohl aber doch nicht, jedenfalls nicht auf diese. Nun ja.

Permanentes Lottospiel

Sag, Emil, spielt das eine Rolle? Nicht wirklich, schließlich kennt er Wowereit ja eh schon. Zumindest vom Sehen, wenn der durch die Seiteneingänge ins KaDeWe laufe, vorbei an den Mülleimern, wo Emil steht. In Eile sind sie beide. Emil mit der Taschenlampe und den Plastiktüten. Er sammelt nicht nur Flaschen. Er sammelt alles. Papier, Metall, Essen.

Die Reste der Durstigen, der Zeitungsleser, der Taschendiebe. Emil auf der Suche nach Reflexionen im Mülleimer. Reflexionen von Kreditkarten, Ausweisen, Führerscheinen: All die Dinge, die ein Dieb so schnell wie möglich loswerden will, wenn er das Geld aus dem Portemonnaie gefischt hat. Die Dokumente landen im Mülleimer, und dann kommt Emil, holt sie wieder raus und sucht die Besitzer. Ein Lieferservice auf der Suche nach Finderlohn. Ein geschlossener Kreislauf.

Und eine Suche, die zwanghafte Züge hat. Ein permanentes Lottospiel, was im nächsten Eimer sein mag. Und in den vielen anderen. Die Jagd nach dem dicken Fisch, der einmal an die Angel gehen soll, gehen muss. Wie damals, als Vattenfall ihm ankündigte, den Strom abzuklemmen, die Schulden wieder einmal über den Kopf gewachsen waren. Und er dann abends Geld im Müll fand, so viel, dass ihm das Licht zu Hause nicht ausgeknipst wurde. Oder das andere Mal, als er so viel Geld fand, dass es reichte für einen alten Bulli und ein paar Jahre in Portugal.

Macht das glücklich? Es lenkt ab, für einen Moment zumindest. Und Geburtstag feiern? Vielleicht auch, mal schauen, Erfahrungswerte hat er schließlich keine.

Die Party steigt an diesem Samstag um 19 Uhr in der Galerie „Zeitzone“ in der Kreuzberger Adalbertstraße 79.

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