zum Hauptinhalt
Menschen schauen auf den Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris.

© dpa/AP/Thibault Camus

Pariser Kathedrale in Flammen: „Was mit Notre-Dame passiert ist, berührt jeden”

Die Kathedrale Notre-Dame ist für die Franzosen ein Symbol der Beständigkeit. Dass ein Brand sie nun schwer beschädigt, trifft die Menschen tief.

Kurz nach Mitternacht auf der Pont au Change, eine der vier Brücken, die das Nordufer der Seine mit der Ile de la Cité verbinden. Die Stadtinsel ist der älteste Teil von Paris, seine Keimzelle, und Notre-Dame gilt vielen als das Herz. Vor mehr als 850 Jahren wurde mit dem Bau begonnen. “Die Kathedrale war schon immer da, sie hat alles überstanden und jetzt das”, sagt Rosa-Ly Chave, die kurz hinter den Absperrgittern steht, die die Polizei aufgebaut hat, damit niemand zu nah an den Einsatzort vordringt.

Die 31-Jährige ist gleich nach Feierabend aus dem Palais de Tokyo, dem Museum für moderne Kunst, hergekommen. Diesen Drang verspürten offenbar auch andere Pariser und einige Touristen, viele unterbrechen spontan ihren Weg durch die Nacht, gesellen sich zu der großen Gruppe, obwohl gleich die letzte Métro fährt. Vielleicht 150, 200 Leute sind noch da.

Alle Blicke gehen rüber zu den zwei wuchtigen gotischen Türmen, die nur ein paar hundert Meter entfernt zwischen herrschaftlichen Fassaden zu erahnen sind. Die Flammen scheinen größtenteils gelöscht. Nicht mal Qualm ist noch zu sehen, da wo ein paar Stunden zuvor eine riesige Rauchsäule in den Himmel ragte.

"Es sieht so anders aus"

Getuschel ist kaum zu hören, auch die Kamerateams halten sich jetzt zurück, zeichnen vom Rand aus das “Ave Maria” auf, das manche hier anstimmen. Wer kann, summt irgendwie mit. Eine Frau liest den Liedtext von ihrem Handy ab. Ein Mann bläst auf seinem Horn ein paar schiefe Akkorde, lässt es bald wieder sein, untröstlich. Improvisierte Trauer, Schockzustand. Natürlich ist es nicht wie nach den Terroranschlägen der vergangenen Jahre.

Kein Anschlag, heißt es schon jetzt von offizieller Seite. Ermittelt wird vorerst wegen des Verdachts der fahrlässigen Brandstiftung, ausgelöst auf der Baustelle am Kirchenschiff.

Und das ist jetzt kaum zu erkennen, so dunkel ist die Fassade, über die ab und zu Lichtkegel von Einsatzkräften zucken. Drüben wird unter Hochdruck gerettet, was zu retten ist, hier auf der Brücke wird gehofft, getrauert, gebetet. Was sind schon Staatspräsidenten und Protestbewegungen, selbst Könige, gegen diesen Kirchenbau? Sie kommen und gehen. Notre-Dame aber ist ein Symbol der Beständigkeit im krisengeschüttelten Frankreich. War ein Symbol der Beständigkeit.

“Es sieht so anders aus, so ungewohnt”, sagte Rosa-Ly Chave und zeigt dorthin, wo bis zum Abend noch der 96 Meter hohe, schlanke Turm aus dem Kirchenschiff ragte. Die 31-Jährige kommt ursprünglich aus Südfrankreich, Paris besuchte sie das erste Mal als Kind mit ihren Eltern, die das Mädchen gleich auf die Ile de la Cîte mitnahmen. Heute ist Paris ihre Wahlheimat, Notre-Dame auch eine Kindheitserinnerung.

Wenn solch ein einmaliges Bauwerk, an und in dem Menschen Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte gearbeitet haben, innerhalb von ein paar Stunden ein Raub der Flammen wird, dann berührt mich das in der Tat zutiefst.

schreibt NutzerIn spreeathen

"Und wenn es nur fünf Euro sind"

Und Notre-Dame ist ein Wirtschaftsfaktor, das darf man nicht vergessen, sagt Chave und nickt rüber zu ihrer Kollegin Celia Bachmann, die nicht so viele Worte findet. Dabei hat sie sonst jede Menge zu erzählen, wenn es um Notre-Dame geht. Sie hat regelmäßig deutsche Touristen rund um die Kirche geführt. “Was soll man denen jetzt sagen?”, fragt sie matt. Und wer weiß, fragt sie, wie lange es dauern wird, bis man die markanten blauen Rosettenfenster wieder von innen sehen können wird?

“Das wird finanziell nicht einfach”, sorgt sich Rosa-Ly Chave. Darum machen sich auch andere Gedanken in diesem Land, dessen wirtschaftliche Entwicklung nicht mit der deutschen mithalten kann. Wie mehr Geld eingenommen werden soll, darüber ist man sich nicht einig. Die Regierung wollte die Kraftfahrer stärker in die Pflicht nehmen, die zogen sich gelbe Westen an und setzen seit dem Winter Staatspräsident Emmanuel Macron unter Druck, der wiederum die Wohlhabenden nicht enttäuschen will. Der Wiederaufbau von Notre-Dame aber könnte etwas sein, das alle eint, das für alle wichtig ist.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Noch am Montagabend hat die gemeinnützige Fondation du Patrimoine eine Spendenaktion gestartet. Und die Milliardärsfamilie Pinault, die wichtige Baufirmen und Luxusmodemarken wie Gucci zu ihrem Portfolio zählt, will 100 Millionen Euro dazugeben. 

“Ich würde auch spenden, selbst wenn es nur fünf Euro sind”, sagt Rosa-Ly Chave, zieht ihr Handy aus der Tasche und zeigt Drohnenbilder vom Abend. Der Grundriss von Notre-Dame aus der Vogelperspektive: Ein riesiges, brennendes Kreuz. Horrorfilmstoff. “Und das jetzt, in der Karwoche. Für gläubige Freunde von uns, die wir vorhin zufällig getroffen haben, ist das wirklich ein schwerer Moment.”

Chave und Bachmann sind auch katholisch getauft, in ihrem Leben spiele das aber keine Rolle. Müsse es auch nicht, betont Chave. “Was mit dem Notre-Dame passiert ist, berührt jeden.” Mitten ins Herz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false