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Bislang gilt das Fahren ohne Fahrschein gemäß § 265a Strafgesetzbuch (StGB) als Leistungserschleichung.

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„Noch in diesem Jahr abschaffen“: SPD-Experten wollen Schwarzfahren nicht mehr unter Strafe stellen

Aus vielen Richtungen gibt es Forderungen nach einer Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Die größte Regierungspartei legt nun einen weitgehenden Plan vor.

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Seit geraumer Zeit gibt es in der Debatte um das Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr Vorstöße, die auf eine Entkriminalisierung hinauslaufen. Die Bundesländer Berlin und Thüringen hatten Mitte September einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, der darauf abzielt, das Fahren ohne Fahrschein weniger hart zu bestrafen.

Bislang gilt das Fahren ohne Fahrschein gemäß § 265a Strafgesetzbuch (StGB) als Leistungserschleichung, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden kann. Thüringen und Berlin schlugen vor, Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Der SPD geht dies nicht weit genug.

Die AG Recht der Bundestagsfraktion plädiert für eine Streichung des Paragrafen: „Die derzeitige Kriminalisierung“, 1935 von den Nationalsozialisten in das StGB eingeführt, sei unverhältnismäßig und belaste die Justiz, insbesondere die Strafgerichte und Staatsanwaltschaften: „Wer die Miete oder eine Rechnung nicht bezahlt, kann zivilrechtlich verklagt werden, macht sich aber nicht strafbar“, heißt es in dem Entwurf, über den der „Spiegel“ berichtet.

Scharfe Kritik von Verkehrsbetrieben am SPD-Vorstoß

Die Lösung, Fahren ohne Ticket als Ordnungswidrigkeit zu bewerten, lehnen die SPD-Experten ab, weil Behörden dann Bußgeldbescheide ausfertigen müssten. Außerdem würden Staatsanwaltschaften und Gerichte, so zitiert der Bericht aus dem Fraktionspapier, „bei einem Einspruch mit einer Vielzahl von Verfahren durch Einsprüche belastet“.

Wie es weiter heißt, fordern die Sozialdemokraten Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf, die Strafbarkeit des Schwarzfahrens „noch in diesem Jahr“ abzuschaffen.

In Deutschland zählt das Schwarzfahren zu den häufigsten Delikten, deretwegen Ersatzfreiheitsstrafen verhängt werden – und so für den Staat hohe Haftkosten verursachen. Bereits 2022 hatte Buschmann eine Überprüfung dieses Vorgehens angekündigt. Der Deutsche Richterbund spricht sich ebenso für eine Reform des Paragrafen aus wie Linke, Grüne und hohe Vertreter der Polizei.

Kommunen und Verkehrsbetriebe reagierten mit scharfer Kritik auf die SPD-Initiative. „Die politische Antwort auf Fahrgäste ohne Ticket kann nicht lauten, geltendes Recht zu ändern“, sagt Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, dem Blatt: „Nach dieser Logik müsste man auch Ladendiebstähle für Grund­nahrungsmittel aus dem StGB herausnehmen.“

Das von der CDU geführte Justizministerium in Sachsen-Anhalt hatte im September den Vorstoß aus Thüringen und Berlin abgelehnt und dies auch mit den Kosten begründet. „Nach Schätzungen des Verbandes Deutscher Verkehrsbetriebe beläuft sich der Schaden auf bis zu einer Viertelmilliarde Euro im Jahr.“ Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit würde sozialschädliches Verhalten verharmlosen und damit ein falsches Signal setzen, hieß es aus Magdeburg.

Unterstützung hatte dagegen Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) signalisiert. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, Schwarzfahren sei zwar unsolidarisch zulasten der Gemeinschaft, aber keine Straftat. „Es reicht ein angemessenes Bußgeld, statt Knast.“ 

Die Befürworter einer Herabstufung von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit versprechen sich von der juristischen Neubewertung auch eine personelle und finanzielle Entlastung der Justiz.

In dem Antrag Thüringens für die Bundesratssitzung hieß es, die strafrechtliche Verfolgung des „Fahrens ohne Fahrschein“ bis hin zur Anordnung der Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen, verfestige und verschärfe soziale Probleme und Ungleichheiten.

Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Werena Rosenke, sagte der dpa, Obdachlose beispielsweise hätten oft kein Geld für ein Ticket. Trotzdem müssten sie sich fortbewegen, etwa wenn sie zu einer Unterkunft für die nächste Nacht fahren wollten. (lem)

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