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Dem bunten Tanzspektakel in Rio de Janeiro folgen Zehntausende Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne.

© IMAGO/ZUMA Wire

Nach zwei Jahren Pause durch die Pandemie: In Brasilien ist wieder Karneval

Nach einer erzwungenen Corona-Pause ist der Karneval in Brasilien nach zwei Jahren zurück - und das Bedürfnis nach Party riesig.

Rio de Janeiro macht seinem Ruf als anarchische Stadt wieder einmal alle Ehre. Der Karneval hat diese Woche begonnen –wegen Corona zwei Monate später als gewöhnlich. Seit Donnerstag paradieren die Sambaschulen der zweiten Liga durch das Sambodrom im Zentrum der Stadt. Ab dieser Freitagnacht konkurrieren nun die zwölf Schulen der ersten Liga um den heißbegehrten Titel als beste Sambaschule.

Rund 70 Minuten dauert jeder der Umzüge, Tausende prächtig verkleidete Menschen werden durch das Sambodrom ziehen, Zehntausende werden die Tribünen füllen, singen und jubeln. Sie werden dann auch das scheinbare Auslaufen der Corona-Pandemie feiern, die 2021 noch zur Absage der größten Party der Welt geführt hatte.

Der Straßenkarneval findet trotz Verbot statt

Der Karneval im Sambodrom ist weltberühmt, vor allem wegen der spektakulären Bilder von fantastisch geschmückten Umzugswagen und halbnackten Sambatänzerinnen. Es gibt aber noch einen zweiten Karneval in Rio, den Straßenkarneval, an dem Hunderttausende teilnehmen, die kreuz und quer durch die Stadt ziehen, Musik machen, tanzen und sehr viel trinken.

Die Sache hat nur einen Haken: Der Straßenkarneval ist dieses Jahr vom Rathaus nicht genehmigt worden und dürfte nicht stattfinden. Rio wäre allerdings nicht Rio, wenn es keinen Weg geben würde, das Verbot zu umgehen. Und den hat ausgerechnet Bürgermeister Eduardo Pães gewiesen, seines Zeichens großer Fan des Karnevals, von dem es heißt, er besitze von jeder Sambaschule ein Paar Schuhe.

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Seine Verwaltung werde nichts unternehmen, versprach Pães, um ihre eigenen Regeln durchzusetzen. Die Umzügler bräuchten keine Repressionen seitens des Ordnungsamts zu fürchten. So pragmatisch die Haltung ist – denn offizielles Verbot hin oder her, es werden in diesem Jahr Zehntausende ausgelassen durch die Straßen ziehen –, so typisch ist der Vorgang für Rio.

Für viele Menschen ist der Karneval eine willkommene Ablenkung von den Alltagssorgen in Brasilien.
Für viele Menschen ist der Karneval eine willkommene Ablenkung von den Alltagssorgen in Brasilien.

© IMAGO/Fotoarena

Hier gibt es das Gesetz, es gibt Regeln, und dann gibt es eben die Realität. Brasiliens zweitgrößte Zeitung „O Globo“ kritisiert Pães denn auch recht scharf für seine widersprüchliche Haltung: „Legal oder illegal? Richtig oder falsch? Bei uns kommt es immer darauf an.“ Wie dem auch sei, der Karneval ist zurück in Rio. Es ist ein Stück Rückkehr zur Normalität.

Der bunte Karneval steht im Kontrast zur rechtsextremen Regierung

Rund 670 000 Menschen sind in Brasilien bisher an Covid-19 gestorben, die Wirtschaft des Landes hat stark unter der Pandemie gelitten, viele Menschen – besonders im riesigen informellen Sektor – verloren ihre Einkommen und kommen bis heute nur dank umfangreicher Lebensmittelspenden über die Runden. Hinzu kommt eine Inflation, die beispielsweise die Preise für Fleisch enorm in die Höhe getrieben hat.

Auch Benzin und Gas sind in Brasilien wie überall sonst auf der Welt teurer geworden, wovon natürlich erneut die Armen überproportional betroffen sind. Die Regierung des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro ist damit beschäftigt, im Hinblick auf die Wahlen im Oktober Geschenke zu verteilen, etwa satte Gehaltserhöhungen für öffentliche Angestellte. In dieser Situation wirkt der Karneval wie ein Ventil für die Ängste, Erschwernisse und Frustrationen, die viele Brasilianer seit zwei Jahren erfahren.

Er ist eine willkommene Ablenkung von den Schwierigkeiten, die den Alltag der meisten Menschen hier kennzeichnen. Er bietet zudem die Möglichkeit, Präsident Bolsonaro zu kritisieren und ein Brasilien zu präsentieren, das nichts mit dessen ultrakonservativen Gesellschaftsvorstellungen (Christentum, Vaterland, Militär, Heterosexualität, die traditionelle Familie) zu tun hat.

Einige Sambaschulen werden das afro-brasilianische Erbe des Landes und die bis heute nicht aufgearbeitete Sklaverei in ihren Umzügen thematisieren. Eine Schule feiert einen an Covid-19 verstorbenen schwulen Schauspieler und Komiker. Aber nicht nur als Ventil für all die aufgestauten Emotionen ist Rios Karneval dieses Jahr wichtiger denn je.

In kunterbunten Gewändern tanzen die weltberühmten Sambaschulen um die Wette.
In kunterbunten Gewändern tanzen die weltberühmten Sambaschulen um die Wette.

© IMAGO/Fotoarena

Party wird quasi als Menschenrecht gesehen

Er ist auch ein signifikanter Wirtschaftsfaktor. Allein die Sambaschulen beschäftigen Tausende von Menschen in ihren riesigen Werkstätten, in denen schon seit Monaten Kostüme genäht und Umzugswagen gebaut werden. Hinzu kommen die Karnevalstouristen – vor der Pandemie waren es rund 1,5 Millionen –, die nach Rio kommen und den Hotels hohe Auslastungen bescheren.

Der Straßenkarneval ist wiederum überlebenswichtig für die Tausenden ambulanten Verkäufer, die mit ihren Küchenwagen und Styroporboxen voller Getränke aus den Favelas geströmt kommen. Es wird geschätzt, dass während des Karnevals insgesamt rund 800 Millionen US-Dollar in der Stadt bewegt werden. Allein diese Zahl macht deutlich, wie katastrophal sich eine erneute Absage für viele Menschen und Unternehmen ausgewirkt hätte.

Dennoch wird damit gerechnet, dass dieses Jahr weniger Menschen zum Karneval strömen als vor der Pandemie. Denn vielen ist klar, dass das Coronavirus trotz stark rückläufiger Infektions- und Todeszahlen nicht verschwunden ist und immer wieder neue Varianten auftauchen. Vor diesem Hintergrund behagt es ihnen nicht, sich in großen Menschenmassen aufzuhalten, vielleicht weil sie eine gesundheitliche Vorbelastung haben oder jemanden in der Familie schützen möchten. Der Schatten der Pandemie, er liegt trotz dem in Rio quasi als Menschenrecht anerkannten Bedürfnis zu feiern, noch über dem Karneval.

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