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Der Präsident der Kooperative, Salvatore Orlando (links), baut weiterhin Wein an.

© Dominik Straub

Mit Wein gegen die Mafia: Wie eine kleine Kooperative gegen die ’Ndrangheta kämpft

Im kalabrischen Palizzi produziert eine Kooperative erlesene Feinkost. Der Mafia missfällt das.

Um über die steilen und holprigen Schotterpisten zu den Wein-Terrassen zu gelangen, muss man zu Fuß gehen oder über ein allradgetriebenes Fahrzeug verfügen. Der beschwerliche Weg lohnt sich: Am Ziel angekommen befindet man sich nicht nur im südlichsten Weinberg des italienischen Festlands, sondern auch in einem der schönsten.

Zweihundert Höhenmeter unterhalb der Weinstöcke glitzert das tiefblaue Ionische Meer mit seinen weißen, fast unberührten Sand- und Kiesstränden; dahinter ragen die kargen, felsigen Ausläufer des Aspromonte-Gebirges in den Himmel. Bei klarem Wetter ist am Horizont der Ätna auf Sizilien zu erkennen. In der Luft liegt der Duft der mediterranen „Macchia“: von wildem Rosmarin, blühendem Ginster und Dutzender Arten von Wildblumen.

Hier, auf dem Gemeindegebiet der Kleinstadt Palizzi an der Südspitze des italienischen Stiefels, produziert die Genossenschaft „Terre Grecaniche“ seit acht Jahren einen bemerkenswerten Wein und ein hochwertiges Extra-Vergine-Olivenöl. Die Herstellung des Weins und des Öls erfolgt strikt biologisch und sozialverträglich; die Kooperative zahlt ihren vier Angestellten faire Löhne und steckt außerdem zehn Prozent ihrer Erlöse in ein Entwicklungsprojekt in Kenia.

Mafia klaut Maschinen

Doch der Vorzeige-Betrieb über dem Ionischen Meer gefällt nicht allen. Anfang März, kurz vor dem Lockdown wegen der Coronakrise, sind Mitglieder des lokalen ’Ndrangheta-Clans in einen Schuppen der Kooperative eingebrochen und haben praktisch den gesamten Maschinenpark, darunter zwei Traktoren, entwendet.

„Wir standen vor dem Aus, die Arbeit von acht Jahren schien vergebens gewesen zu sein. Ohne Maschinen konnten wir die Weinberge und Olivenhaine nicht mehr bestellen“, berichtet Salvatore Orlando, Präsident der „Terre Grecaniche“. Es sei den Gangstern nicht um die Maschinen und auch nicht um Schutzgeld gegangen, das die Kooperative ohnehin nicht bezahlt hätte: „Die Traktoren interessieren die ’Ndrangheta natürlich nicht – sie verdient Millionen mit illegalen Geschäften, vor allem mit dem Drogenhandel.“

Der Grund für den Sabotageakt sei ein anderer gewesen, betont Orlando: „Die Botschaft der Clans lautet: Hier kommandieren wir – und ihr müsst verschwinden.“ Der Diebstahl sei lediglich der bisher letzte Akt einer Serie von Einschüchterungen und Drohungen gewesen, mit denen die Mafia die Kooperative seit ihrer Gründung zum Aufgeben zwingen wollte.

Drohung, Erpressung, Korruption, Mord

Die kalabrische Mafia, die ’Ndrangheta, betrachtet die ganze Region als ihr Feudalreich, das sie durch Drohung, Erpressung, Korruption und notfalls Mord zu beherrschen versucht. Sie erträgt es nicht, wenn in ihrem Territorium eine saubere, ehrliche Wirtschaft entsteht. Laut dem Anti-Mafia-Staatsanwalt von Catanzaro, Nicola Gratteri, bezahlen in Kalabrien etwa 40.000 Unternehmen Schutzgeld.

Kooperativen wie die „Terre Grecaniche“, die sich auf Legalität, soziales Engagement und Nachhaltigkeit verpflichtet, sind wichtige Akteure zur Bekämpfung der ’Ndrangheta. Inzwischen gibt es Dutzende solcher Betriebe; die meisten von ihnen gehören, wie die „Terre Grecaniche“, dem nationalen Anti-Mafia-Dachverband „Libera“ an. Immer mehr Kooperativen bewirtschaften Ländereien, die der italienische Staat von den kriminellen Clans konfisziert hat und dann an gemeinnützige Organisationen gratis abgibt. Diese Betriebe sind besonders exponiert für Racheakte und Sabotage.

„Natürlich sind wir nur ein Tropfen in einem großen Meer – aber in einer von Abwanderung gebeutelten Region wie Kalabrien zeigen wir unserer Jugend, dass es auch anders geht und dass die Alternative nicht zwangsläufig in der Illegalität oder der Emigration bestehen muss“, betont Laura Cirella vom Konsortium Macramè, das in Rosarno einen konfiszierten Mafia-Betrieb bewirtschaftet und in einem Verkaufslokal in Reggio Calabria die Produkte verschiedener Kooperativen anbietet. Darunter auch jene der „Terre Grecaniche“. Auch Cirellas Konsortium und der Laden sind schon mehrfach Ziel von Anschlägen geworden.

Kooperative kann weiterarbeiten

Orlandos Kooperative hat sich ebenfalls nicht einschüchtern und entmutigen lassen. Nach dem Diebstahl der Maschinen hat sie auf ihrer Website einen Sonderverkauf ihrer Weine und ihres Öls organisiert, bei dem aus dem In- und Ausland Hunderte Bestellungen im Wert von bisher mehr als 40.000 Euro eingegangen sind. Damit konnte die Kooperative einen Teil ihres Maschinenparks bereits wieder ersetzen und weiterarbeiten. „Wir haben viel Solidarität erfahren, auch von Bauern aus Palizzi, die uns mit ihren Geräten ausgeholfen haben“, sagt Orlando. „Die Solidarität und die spontanen Hilfen belegen, dass die ’Ndrangheta, gemessen an der Gesamtbevölkerung Kalabriens, nur eine kleine Minderheit darstellt – aber sie hat wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch leider ein großes Gewicht“, betont Orlando.

Die Kooperative war 2012 gegründet worden. Ein befreundeter Weinbauer aus Palizzi habe seinen 2,5 Hektar großen Weinberg altershalber nicht mehr bewirtschaften können; gleichzeitig habe er es nicht übers Herz gebracht, sein Land zu verkaufen. So habe man mit ihm und einigen weiteren Freunden die Kooperative gegründet. In wenigen Jahren sind aus den 2,5 Hektar bestockter Fläche acht Hektar geworden; die Jahresproduktion stieg auf 50.000 Flaschen Rot-, Weiß- und Roséwein und 2000 Liter Olivenöl. Dank moderner Kelter- und Ausbautechnologien produziert die Kooperative kräftige und elegante Weine, die im renommierten Weinführer „SloWine“ der Organisation Slow Food aufgenommen worden sind.

Orlando und seine Genossenschafter wollen weiter wachsen: In diesem Jahr soll die Anbaufläche auf zehn Hektar steigen; außerdem will die Kooperative ein altes Steinhaus im Weinberg zu einer Schenke mit Degustationsmöglichkeit für Besucher umbauen. „Jetzt erst recht“, lautet die Maxime der „Terre Grecaniche“ nach dem Sabotageakt der ’Ndrangheta.

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