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© AFP

Marcel Marceau: Der stille Zauberer

Er ließ aus dem Nichts heraus Welten entstehen. Nun ist Monsieur Bip tot: Ein Nachruf auf den Pantomimen Marcel Marceau.

Ein zierlicher Mann betritt die schwarz ausgekleidete Bühne. Sein Gesicht ist weiß geschminkt, der Schlapphut mit der roten Blume sitzt schief auf dem gelockten Haar. Das gestreifte Ringelhemd steckt in der schneeweißen Hose. Aus dem Nichts heraus und ohne jeglichen Laut ließ Marcel Marceau Welten entstehen, Raubtiere durch Reifen springen, mimte einen Selbstmörder am Galgen, kämpfte gegen Wind und Wetter. So war es vor Jahrzehnten auch schon. Von seinem stillen Zauber waren Generationen hingerissen. Seine Figur des „Monsieur Bip“ war eine zeitlose Erscheinung, ein Markenzeichen, das Zuschauer rund um den Globus und über alle Zeitläufte hinweg begeisterte. Wie seine Kinder gestern bekannt gaben, ist Marcel Marceau, der weltweit geliebte französische Pantomime, 84-jährig in Paris gestorben. Der letzte Vorhang ist gefallen.

Wer das Glück hatte, ihn in seinem Pariser Büro zu besuchen, wurde vom Meister sanft an die Hand genommen und durch die Zimmer geführt, vorbei an den ungezählten Plakaten und Erinnerungsstücken aus fünf Tourneejahrzehnten. Lächelnd, zurückhaltend, fast schüchtern beobachtete der kleine, würdig gealterte Marceau seine Besucher, gab Anekdoten zum Besten. Der Humor und die Kunst des Unausgesprochenen, die Lust am Spiel verließ ihn auch im Privatleben nicht. Im Anschluss an das Interview sitzen wir im Restaurant, Marceau studiert aufmerksam die Karte, stellt einem aus Deutschland angereisten, im Französischen unsicheren Journalisten pantomimisch jedes verarbeitete Tier dar und erfüllt zum Schluss beim Nachzählen des Wechselgeldes den sehnlichen Wunsch des Obers: Er zeigt seinen unnachahmlicher Sketch des jede Münze taxierenden Geizigen.

Das Universelle, das über jeder Sprache und jedem Kulturkreis Stehende blieb seine unvergleichliche Ausdrucksform, die Sprache der Stille, die überall verstanden wurde. Französischer Botschafter und Nationalheiligtum war er immer, doch unabhängig vom Ort, der Herkunft, Religion oder Mentalität seines Publikums erzählte Marceau Geschichten, die deshalb so authentisch unterhielten, weil der Zuschauer unmittelbar beteiligt war. „Die Fantasie des Publikums ist am wichtigsten“, lautete sein Credo, „meine Aufgabe ist es, durch die Pantomime die Dinge sichtbar zu machen, noch sichtbarer als mit den Augen.“ Der gebürtige Straßburger, der seit 1978 und bis zuletzt ungeachtet seines Alters in seiner eigenen „Ecole Internationale de Mimodrame de Paris Marcel Marceau“ den internationalen Nachwuchs ausbildete, wusste die Qualitäten als Pädagoge wirksam einzusetzen.

Bei allem Ruhm war Marcel Marceau augenscheinlich bescheiden geblieben. Mit dieser Attitüde erzählte er immer wieder gerne von der einzigen Begegnung mit seinem Vorbild Charlie Chaplin. Das war 1967 im Pariser Flughafen Orly. Marceau, in Kindertagen von Chaplins Filmen zur stillen Kunst inspiriert, stammelte ein paar banale Worte. Irgendwann trennten sich die beiden, schweigend und sich gegenseitig parodierend.

Der Pantomime weiß, worin der wahre Wert seiner Tätigkeit besteht. Den Menschen mit einfachsten Mitteln zu verzaubern. Kindlich anmutend, zu gleichen Teilen heiter verspielt und todernst. Den Menschen in all seinen Facetten zu zeigen, den Kosmos der Gefühle und Stimmungen zu beleuchten, Marcel Marceau wurde zeitlebens nicht müde, seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Im Zeitalter kürzester Moden und Popularitätszyklen schwammen Marceau und seine Figur „Monsieur Bip“ auf der Welle des zeitlosen Erfolgs. Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch, sagte Erich Kästner. Marcel Marceau ist immer Kind und Mensch geblieben. Sein Publikum hat ihn durch alle Etappen künstlerischer Arbeit begleitet, hat ihm über Generationen hinweg die Treue gehalten.

Am Sonntagmorgen, nachdem die Nachricht seines Todes über alle Kanäle gelaufen ist, bringt es der renommierte Pariser Journalist Jacques Chancel, ein Freund und Weggefährte Marceaus, im französischen Radio auf den Punkt: „Le silence, c’était son language“ – die Stille war seine Sprache. In diesem aussterbenden Genre, das mehr zum Ausdruck bringen konnte als ganze Romane, wird Marcel Marceau, dieser Bildhauer des Augenblicks, unvergessen bleiben. Frankreich und die Welt trauern um den letzten Meister der wortlosen und ein Publikum sprachlos vor Rührung zurücklassenden Kunst.

Felix Mauser

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