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Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr sind nahe der Fußgängerzone im Einsatz, in der ein Auto mehrere Menschen erfasst und tödlich verletzt hat.

© Harald Tittel/dpa

Prozess um Trierer Autoattacke: Gutachter hält Angeklagten für vermindert schuldfähig

Die Steuerungsfähigkeit soll aufgrund von Wahnstörung schwerwiegend beeinträchtigt gewesen sein. Ein Gutachten empfiehlt psychiatrische Behandlung.

Der mutmaßliche Amokfahrer von Trier ist einem psychiatrischen Gutachten zufolge vermindert schuldfähig. Seine Steuerungsfähigkeit sei aufgrund einer Wahnstörung und einer paranoiden Schizophrenie schwerwiegend beeinträchtigt, sagte ein Gutachter am Mittwoch im Prozess vor dem Landgericht Trier. Werde die Störung nicht behandelt, bleibe sie für Menschen in seinem Umfeld gefährlich und habe eine Tendenz, sich auszubreiten.

Gutachter Wolfgang Retz empfahl, einer Unterbringung in einem psychiatrischem Krankenhaus Vorrang vor einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu geben. Eine Behandlung der Krankheit sei sinnvoller als eine Sicherung allein.

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Der Angeklagte Bernd W. habe sich bei zwei Terminen mit ihm unterhalten, sagte Retz. Zum Tatvorwurf selbst habe er nur wenig gesagt. Vielmehr habe er von seiner Kindheit erzählt. Seine Thesen bezeichnete Retz als "abnorm" und "bizarr".

Angeklagter leidet unter Wahnvorstellungen

W. habe ihm erzählt, dass er 1973 - im Alter von etwa drei bis vier Jahren - "Versuchkanninchen" in einem staatlichen Experiment gewesen sei. Damals habe man ihm eine "radioaktive Substanz" gespritzt. Bis heute werde ihm dafür Geld vorenthalten. Nachfragen, ob das wirklich so sein könne, habe der 52-Jährige relativiert oder übergangen, sagte Retz.

Auch persönliche Bekannte seien in ein "Komplott" gegen ihn verstrickt. Diese Überzeugung sei für ihn unverrückbar und habe sich über die Jahre verdichtet, sagte Retz. Die Krankheit könne sich weiter ausdehnen. So habe W. nach wenigen Tagen im Gefängnis Justizbeamte in seine Wahnvorstellungen mit eingebaut.

Die Krankheit habe sich spätestens ab den 90er Jahren entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt habe es mehrere Umbrüche in seinem Leben gegeben. Auch soziale Kontakte seien weniger geworden. "Die Gewissheit, über die Ungeheuerlichkeiten, die ihm aus seiner Sicht passiert sind, sind über einen längeren Zeitraum gereift", sagte Retz. W. habe ihm in den Gesprächen eine unauffällige Kindheit geschildert.

Es fehle eine Krankheitseinsicht

Der 52-Jährige habe keine Beeinträchtigungen in seinen kognitiven Fähigkeiten. Grundsätzlich sei er auch in der Lage, sein Handeln zu kontrollieren und Pläne umzusetzen. Durch den Wahn sei seine Steuerungsfähigkeit aber schwer beeinträchtigt. "Der Umstand, dass er über die volle Breite der Planungsfähigkeit verfügt, ist etwas, was bei Wahnkranken die Gefährlichkeit in besonderer Weise ausmacht", sagte Retz. Bei W. fehle es an einer Krankheitseinsicht und einem Behandlungswillen.

Es gebe keine Hinweise dafür, dass die Tat unmittelbar aus einer krankhaften Störung des Realitätskontakts entstanden sei. Sie habe sich nicht gegen einen einzelnen Menschen gerichtet, sondern gegen die aus seiner Sicht ihm feindselig gegenüberstehende Gesellschaft insgesamt.

Dass W. seine psychische Erkrankung vorspielt, halte er für unwahrscheinlich, sagte Retz. Zeugen zufolge habe es schon seit langer Zeit Auffälligkeiten gegeben. "Es wäre verwunderlich, wenn W. schon damals, die Tat im Jahr 2020 vorausschauend, begonnen hätte, eine Störung zu simulieren."

Tatmotiv bleibt unklar

W. soll laut Anklage am 1. Dezember 2020 mit seinem Auto durch die Fußgängerzone der rheinland-pfälzischen Stadt gerast sein. Fünf Menschen wurden getötet, zahlreiche weitere verletzt. Elf Monate nach der Tat erlag ein weiteres Opfer seinen schweren Verletzungen. Auf seinem Weg durch mehrere Straßen erfasste W. Passanten offenbar wahllos, aber gezielt mit hoher Geschwindigkeit.

Das Motiv ist bislang unklar. Das Gutachten soll den Richtern die Entscheidung darüber ermöglichen, ob der Angeklagte ins Gefängnis kommt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fünffachen Mord, versuchten Mord in 18 Fällen sowie gefährliche und schwere Körperverletzung in 14 Fällen vor. Das Gericht setzte bis Mitte August weitere Termine an. Ab dem 15. Juli sollen die Plädoyers gehalten werden. (AFP)

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