zum Hauptinhalt
Ausgebleicht. Ein Weißspitzen-Riffhai schwimmt über abgestorbene Korallen im Great Barrier Reef.

© James-Cook-Universität

Great Barrier Reef in Australien: Halb verschwunden

Das größte Riff der Welt hat mehr als 50 Prozent seiner Korallen verloren. Vor allem der Klimawandel setzt ihm zu.

Bunte Korallen, die wie Skulpturen das Meer durchziehen, bilden die Heimat unzähliger Fischarten, Seeanemonen, Seesterne und Schildkröten. Korallenriffe gehören zu den vielfältigsten Ökosystemen der Erde.

Das Great Barrier Reef in Australien steht auf der Unesco-Weltnaturerbe-Liste und ist von unschätzbarem ökologischem Wert – in den 3000 Einzelriffen leben 1500 Fisch- und 400 Korallenarten.

Umso schwerer wiegt die Nachricht, dass dieses Naturwunder nur noch halb so viele Korallen beheimatet wie noch vor 20 Jahren.

Diese erschütternde Bilanz zieht eine aktuelle Studie des ARC-Kompetenzzentrums für Korallenriffstudien (CoralCoE) an der James-Cook-Universität in Townsville: Die Studie, die im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society“ veröffentlicht wurde, zeigt auf, wie sämtliche Korallenpopulationen am Riff in den letzten Jahrzehnten drastisch geschrumpft sind.

Im Niedergang begriffen

„Wir haben festgestellt, dass die Anzahl der kleinen, mittleren und großen Korallen am Great Barrier Reef seit den 1990er Jahren um mehr als 50 Prozent zurückgegangen ist“, sagte Terry Hughes, Korallenexperte am CoralCoE. Früher habe man gedacht, das Great Barrier Reef sei durch seine schiere Größe geschützt, sagte Hughes. „Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst dieses relativ gut geschützte und größte Riffsystem der Welt zunehmend gefährdet und im Niedergang begriffen ist.“

Besonders gravierend ist auch, dass die Korallen großflächig abgebaut haben. „Der Rückgang trat sowohl im flachen als auch im tieferen Wasser und bei praktisch allen Arten auf“, sagte Hughes. Besonders schlimm stehe es um die verzweigten und tafelförmigen Korallen. „Diese waren am schlimmsten von den Rekordtemperaturen betroffen, die 2016 und 2017 zu Massenbleichen führten“, sagte Hughes.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Im Rahmen der Studie hat der Hauptautor Andy Dietzel, ein deutscher Ökologe, der am CoralCoE promoviert hat, die Veränderungen der Koloniengröße gemessen. „Solche Populationsstudien sind wichtig, um die Demografie und die Brutfähigkeit der Korallen zu verstehen“, sagte Dietzel. Die Daten, die die Studie ausgewertet hat, umfassen dabei die volle Länge des Great Barrier Reef – das sich über 2300 Kilometer an der Ostküste Australien erstreckt. Die Daten umfassen den Zeitaum von 1995 bis 2017.

„Eine vielfältige Korallenpopulation hat Millionen kleiner sowie zahlreiche große Korallen“, sagte Dietzel. Die großen Korallen seien sozusagen die „Mamas, die die meisten Larven produzieren“.

Das Riff büßt seine Widerstandsfähigkeit ein

Die aktuellen Ergebnisse zeigen deswegen nicht nur einen Rückgang der Korallenzahlen, sondern auch eine verringerte Widerstandsfähigkeit des Riffs. „Die Fähigkeit des Great Barrier Reef, sich zu erholen, ist im Vergleich zu früher beeinträchtigt, da weniger Babys und weniger große erwachsene Züchter vorhanden sind“, erklärte Dietzel.

Einzigartiger Lebensraum: Intakte Korallenriffe wie hier bei Raja Ampat vor der Küste Indonesiens sind auch Kinderstuben und Fressgründe für viele Fischarten.
Einzigartiger Lebensraum: Intakte Korallenriffe wie hier bei Raja Ampat vor der Küste Indonesiens sind auch Kinderstuben und Fressgründe für viele Fischarten.

© Jayne Jenkins/THE OCEAN AGENCY

Die Gesundheit der Korallen ist seit Jahren ein Thema: Neben Abwässern aus der Landwirtschaft und den gefräßigen Dornenkronenseesternen schwächen Stürme und Sedimente aus Hafenanlagen die Nesseltiere. Seit Jahren führt auch der Klimawandel zu einer Erwärmung der Meere an. Die erhöhten Wassertemperaturen führen zu häufigeren Bleichen, ein Prozess, bei dem die Symbiose der Nesseltiere mit einer Algenart, die die Korallen mit Energie versorgt und ihnen die bunten Farben verleiht, unterbrochen wird.

Bleichen führen zum Absterben der Korallen

Zwar können sich die Tiere von Bleichen auch wieder erholen, doch wenn diese zu lange andauern oder zu häufig wiederkehren, sterben die Korallen oft ganz ab. Nachdem Australien in den vergangenen Jahren mehrere Hitzerekorde gebrochen hat und das Riff 2016 und 2017 zweimal in Folge bleichte, gingen tausende Korallen ein. Anfang 2020 bleichten die Korallen erneut – zum dritten Mal in fünf Jahren.

Australiens Regierung tut wenig gegen den Klimawandel

Die australische Regierung hat den Ernst der Lage erkannt und einen Plan für das Riff bis ins Jahr 2050 vorgelegt. Über zwei Milliarden Australische Dollar oder umgerechnet 1,2 Milliarden Euro sollen für die Korallen ausgegeben werden, vor allem um sie widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Unter anderem fließen die Gelder in die Kontrolle der Dornenkronenseesterne, die die Korallen abfressen, sowie in die Verbesserung der Wasserqualität in der Region.

[Was ist los in Ihrem Kiez? In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über Neuigkeiten aus der Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Bisher ist die Regierung in Canberra jedoch nicht bereit, sich von fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Australien ist nach wie vor einer der Hauptexporteure von Kohle und Gas und hat sich eher niedrige Ziele zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen gesetzt: So will das Land die Treibhausgase bis 2030 auf gerade mal 26 bis 28 Prozent unter das Niveau von 2005 senken.

Die Studie der australischen Forscher könnte auch die anstehende Entscheidung der Unesco beeinflussen, die sich durch die Corona-Pandemie verzögert hat. So soll das Welterbekomitee eigentlich noch in diesem Jahr entscheiden, ob das Riff als „gefährdet“ eingestuft und damit in die sogenannte „Rote Liste“ aufgenommen werden soll.

Dies wäre eine große Blamage für Australien, würde aber laut Umweltschützern den Druck auf die Regierung erhöhen, noch mal mehr und vor allem schneller Maßnahmen zum Schutz des einzigartigen Ökosystems zu ergreifen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false