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Aufstieg statt Sinkflug. Bei gefährlichen Flugmanövern könnte ein Notfallsystem die Maschine in eine Warteschleife auf sicherer Höhe steuern.

© Ole Spata/p-a/dpa

Nach dem Absturz von Germanwings-Flug-4U9525: Experten: Im Notfall sollen Flugzeuge ferngesteuert werden können

Um künftig absichtlich herbeigeführte Flugzeugkatastrophen wie den Absturz in den Alpen zu vermeiden, diskutieren Experten derzeit die Möglichkeit, die Kontrolle über Flugzeuge vom Boden aus zu übernehmen.

Auf ihren Radarschirmen mussten die französischen Fluglotsen hilflos mit ansehen, wie Kopilot Andreas Lubitz den Airbus A320 der Germanwings mit 150 Menschen an Bord ins Verderben steuerte. Sie konnten nichts tun.

Das könnte sich in der Zukunft ändern. Der Chef der Deutschen Flugsicherung (DFS), Klaus-Dieter Scheurle, hat die Diskussion neu angeregt über Systeme, mit denen sich vom Boden aus die Kontrolle über ein Flugzeug übernehmen lässt. Als der Airbus in einen ungeplanten Sinkflug überging und die Besatzung nicht mehr auf Funksprüche antwortete, hatten die Fluglotsen auch die auf dem Autopiloten des Jets eingestellte Flughöhe abgerufen: 100 Fuß (rund 30 Meter). Angesichts des vorausliegenden Gebirges war ihnen die bevorstehende Katastrophe bewusst, doch sie mussten untätig zuschauen, wie sich das Flugzeug dem Bergmassiv näherte und nach dem Aufprall vom Radarschirm verschwand.

Bei Drohnen ist die Fernsteuerung längst Routine

Zukünftig könnte es möglich sein, in einem solchen Fall dem Piloten das Kommando aus der Hand zu nehmen. Bei den unbemannten Luftfahrzeugen ist die Fernsteuerung längst Routine. Militärpiloten steuern sogenannte Kampfdrohnen aus sicherer Entfernung metergenau ins Ziel. Und der 14 Tonnen schwere Aufklärer „Global Hawk“ flog zur Erprobung 2003 in knapp 21 Stunden von Kalifornien bis nach Cuxhaven, gelenkt aus den USA.

Auch die EU forschte auf dem Gebiet. Forschungsprojekt „Sofia“ erbrachte den theoretischen Beweis, dass man vom Boden aus auch die Kontrolle über ein in der Luft befindliches Verkehrsflugzeug übernehmen kann. Damals wurde an die Anschläge vom 11. September 2001 gedacht, als Terroristen mehrere Verkehrsflugzeuge in ihre Gewalt brachten und ins World Trade Center und ins Pentagon steuerten. Im Hinterkopf hatten sie aber auch den Helios-Air-Flug 522. Nachdem 2005 die Piloten der zypriotischen Boeing 737 wegen mangelnden Kabinendrucks das Bewusstsein verloren hatten, war die Maschine noch gut zweieinhalb Stunden weitergeflogen, bevor sie aus Mangel an Treibstoff bei Athen abstürzte.

Der Sinkflug bis zum Absturz dauerte nur zehn Minuten

„Sofia“ sieht eine „Flight Reconfiguration Function“ (FRF) vor. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, unter Umgehung der Piloten einen neuen Flugplan in die Bordcomputer einzugeben, dem das Flugzeug dann bis hin zur automatischen Landung auf dem darin ausgewählten Flugplatz folgt. Die Piloten oder andere Personen im Cockpit hätten dann keine Möglichkeit mehr, in die Steuerung der Maschine einzugreifen.

Die Erstellung eines neuen Flugplans und dessen Programmierung, die drahtlos von der Bodenstation oder einem als Relay dienenden Militärflugzeug aus erfolgen soll, würde allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb müsste ein Verkehrsjet in einer entsprechenden Notsituation zunächst einmal auf eine sichere Flughöhe gebracht und dort in einer Warteschleife „geparkt“ werden.

Ob auf diese Weise auch die Germanwings-Katastrophe hätte verhindert werden können, ist allerdings fraglich. Denn vom Einleiten des unplanmäßigen Sinkfluges bis zum Aufprall vergingen gerade einmal zehn Minuten. Hier könnte eine andere Forschung zum Tragen kommen, so DFS-Sprecher Axel Raab. In einem weiteren Projekt haben Firmen ein „Emergency Avoidance System“ konzipiert. Mithilfe dieses Notfallsystems sollen Bordcomputer selbstständig erkennen, wenn eine Maschine vom regulären Flugverhalten abweicht und sie dann automatisch in eine Warteschleife auf sicherer Höhe steuern, um dort auf neue Kommandos zu warten.

Die neue Technik birgt auch Gefahren

Aufseiten der Piloten sieht man solche Überlegungen eher skeptisch. „Das sind Science-Fiction-Theorien, die mit der Realität wenig in Einklang zu bringen sind“, sagt der Sprecher der Piloten-Vereinigung Cockpit, Jörg Handwerg. Vor 2030 dürfte aus seiner Sicht die entsprechende Technologie überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Und dann sei fraglich, ob der große technische Aufwand und die immensen Kosten gerechtfertigt sind. Jede neue Technik berge auch neue Gefahren und Fehlerquellen. Eine Möglichkeit zur Fernsteuerung lasse sich auch manipulieren.

Die DFS habe „einen Denkanstoß“ geben wollen, sagt deren Sprecher Axel Raab. Es sei klar, dass noch viele Fragen, wie die Gefahr durch Hacker und Terroristen, geklärt werden müssten. Erst wenn dazu Antworten gefunden seien, könne entschieden werden, ob man das „Sofia“-Projekt weiter verfolgen soll. Sich nur auf die Frage der verschlossenen oder unverschlossenen Cockpittür zu konzentrieren, halte man bei der Flugsicherung „für ein bisschen banal angesichts der Tatsache, dass wir heute ferngesteuert zum Mars oder zu irgendwelchen Kometen fliegen können, ohne das Hacker dies bisher missbraucht hätten.“

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