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Marco Seiffert sendet von der Couch.

© privat.

Die Stimmungsaufheller: Zuhören gegen die Einsamkeit

Niemand da, der mit einem spricht? Doch, im Radio ist jemand. Vier Moderatoren erzählen vom Senden im Krisenmodus aus dem Studio oder vom Sofa.

Marco Seiffert moderiert gemeinsam mit Tom Böttcher "Der schöne Morgen" auf radioeins.

Wir sind seit Mittwoch vor einer Woche nicht mehr zu zweit im Studio. Das hat die Geschäftsleitung entschieden. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ging es darum, uns zu schützen, zum anderen sollte im Fall einer Infektion eine zweite Mannschaft weitersenden können. Dass ich von zu Hause sende und Tom Böttcher aus dem Studio liegt daran, dass er die Technik besser beherrscht und auch, dass ich kürzlich die Treppe heruntergefallen bin und mir einen Außenbandriss zugezogen habe. Zu Hause kann ich den Fuß hochlegen.

Die technische Umstellung wurde aus Potsdam gemacht, das war kein Problem. Ich wohne in Tegel, Tom sendet aus Potsdam – zwischen uns liegen 35 Kilometer und es klingt trotzdem, als wären wir zusammen. Fast – weil es eine minimale Verzögerung von einer Sekunde gibt. Deshalb rede ich schon kurz vor Ende eines Musiktitels los oder versuche, die nächste Pause in einem Interview zu erahnen.

Unser Sendeplan steht in einem Online-Dokument, das heißt, der andere sieht jeden Buchstaben der eingetippt wird, in Echtzeit. So verständigen wir uns: „Du abmod“ klärt zum Beispiel, wer einen Beitrag abmoderiert. Das verhindert, dass wir uns ins Wort fallen. Ich weiß noch nicht, ob ich das zu-Hause-Sein als Vorteil empfinde, es nimmt Struktur aus dem Tag.

Die Sendung beginnt um 5 Uhr, vorher gehe ich vom Bett sechs Meter ins Badezimmer, Zähne putzen, duschen, rasieren, dann schleppe ich mich sieben Meter zum Sofa und mache fünf Stunden Sendung. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, in dieser Situation für die Hörer da zu sein. Ich achte momentan bei den Moderationen mehr darauf, wie ich etwas sage. Es ist mir wichtig klar zu machen: Egal wie blöde das gerade ist, es geht vorbei.

Wir kriegen unglaublich viel Feedback von den Hörern – das macht einen selber fitter und munterer.

Als am vergangenen Freitag 180 europäische Radiostationen als Zeichen der Solidarität „You’ll Never Walk Alone“ von Gerry&the Pacemakers spielten, saß ich hier während unserer Sendung auf meinem Sofa und habe geheult. Nicht aus Verzweiflung, sondern eher aus dem Gefühl: Schön, wenn wir jetzt europaweit zusammenrücken.

Und auch: Wir bei radioeins sind echt ein toller Laden. Wenn wir im Radio über die schwierige Situation reden, versuche ich auch immer noch etwas Positives zu finden. Ich sage gern diesen Satz, den ich irgendwo gelesen habe: „Als unsere Großeltern in einer dramatischen Situation waren, mussten sie in den Krieg ziehen. Wir müssen nur aufs Sofa.“

Cristina Nachtwey moderiert zwischen 5.30 und 10 Uhr.
Cristina Nachtwey moderiert zwischen 5.30 und 10 Uhr.

© Radio Teddy

Cristina Nachtwey moderiert zusammen mit Tobi Hahn die Morgenshow für Kinder auf dem Radiosender Teddy.

Ich bin vom Typ her gut gelaunt, und es ist eine große Hilfe, dass wir zu zweit sind. Wenn ich morgens in den Sender komme und meinen Kollegen Tobi treffe, fangen wir gleich an, Quatsch zu machen. Wir schaukeln uns gegenseitig hoch. Es fällt mir leicht, belastende Themen vom Moderieren zu trennen – schon allein, weil das viel mehr Spaß macht.

Wir lassen uns auf die Welt der Kinder ein, die sich jetzt zu Hause in einer Ausnahmesituation befinden. Uns ist klar: Die Eltern brauchen uns. Mit dem Radio sind wir mega nah dran, die Eltern vertrauen uns ihre Kinder an, um in der Zeit, in der wir senden, vielleicht ein bisschen was im Homeoffice zu schaffen. Obwohl die Lage ernst ist, wollen die Kinder spielen. Ich kann ein bisschen Licht reinbringen, ich bin die Alternative. Sie sollen trotz allem eine schöne Zeit haben.

Seit Schulen und Kitas zu sind, senden wir nicht wie gewöhnlich von 5.30 bis 9 Uhr, sondern bis 10 Uhr. Wir merken, dass die Hörer viel länger dranbleiben als sonst. Oft ruft jetzt jemand an und bezieht sich auf etwas, das wir zwei Stunden vorher gesagt haben. Wir bekommen viel positive Rückmeldungen von den Hörern, aus dem Freundes- und Bekanntenkreis.

Meine Töchter sind vier und neun Jahre alt, und ich bin als Elternsprecherin mit anderen Eltern in Kontakt. Zurzeit werden Nachrichten noch intensiver ausgetauscht als sonst. So komme ich auch an Informationen, wie andere Eltern mit der Situation umgehen. Die kann ich dann in die Sendung einfließen lassen. Zum Beispiel die Idee, einen Plan zu machen und mit einer Wäscheklammer den Tagesablauf zu markieren, damit die Kleineren verstehen, wann was passiert.

Natürlich halte ich mich auch darüber auf dem Laufenden, was in der Welt los ist, das müssen Tobi und ich ständig im Hinterkopf haben. Was wir zum Beispiel immer wieder machen: Wir bedanken uns bei den Verkäuferinnen, Krankenschwestern, Ärzten und all den anderen, die uns jetzt helfen, die schwierige Zeit durchzustehen.

Hörerfragen wie „Was ist Corona?“ oder „Die Kita ist zu, warum geht meine Mama als Erzieherin trotzdem arbeiten?“ geben wir an die Nachrichtenkollegen weiter. Die formulieren Beiträge zu den Themen und wir greifen sie auf. So bleiben wir spontan. Ich bin beim Moderieren einfach ich. Das ist kein Thema, weil ich gerne quassel. Energie hab ich genug!

Diane Hielscher will in der Krise bloß nicht hysterisch klingen.
Diane Hielscher will in der Krise bloß nicht hysterisch klingen.

© Michael Stöcker

Diane Hielscher moderiert die Morgensendung "Hielscher oder Hase" bei Deutschlandfunk Nova.

Ich weiß seit dem 11. September 2001, was für eine Journalistin ich in einer Krisenzeit sein möchte. Am 11. September war Ulrich Wickert der einzige Journalist, den ich ertragen konnte. Während ich auf sämtlichen Sendern Moderatoren in Alarmstimmung gehört habe, blieb er ruhig. Er informierte sachlich über die wichtigen Fakten. Er transportierte Ruhe. Die hysterischen Moderatoren haben mich damals so belastet und genervt, dass sich das Verhalten von Wickert in mein Gehirn eingebrannt hat.

So etwas wie die Coronakrise haben wir alle noch nie erlebt. Ich finde es blöd, um mich herum zu hören „Alles ist super“ oder „Oh mein Gott, wir werden alle sterben“. Ich moderiere seit der Krise nicht bewusst anders, aber ich habe das Gefühl, dass ich innerlich meinen Zen-Buddhisten gefunden habe. Ich habe das Gefühl, dass ich durch das Chaos ganz ruhig geworden bin und dass ich das auch on Air so transportiere.

Anders als Kollegen von anderen Radiosendern ist es nicht meine Aufgabe, gute Laune rüberzubringen. Ich bin beim Deutschlandfunk, um zu informieren. Ich möchte auch kein Moralapostel sein und den Leuten sagen, wie sie sich zu verhalten haben. Unterschwellig kommt aber schon eine Botschaft rüber, wenn ich den niederländischen Premier mit seiner Klopapier-Aussage zitiere und mich über Hamsterkäufe lustig mache.

Obwohl ich weiß, was ich für eine Verantwortung in meinem Beruf habe, habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht, dass manche Menschen jetzt nur noch mich hören könnten. Weil sie zu Hause bleiben müssen und keine anderen Gesprächspartner mehr haben. Wenn ich moderiere, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich bei fremden Menschen im Wohnzimmer sitze.

Ich habe auch schon mal ein Interview mit einer Frau gemacht, die mich seit Jahren hört. Ich glaube, man unterschätzt das total, wie nah man an den Leuten ist. In dieser Situation noch mal ganz besonders. Das Meiste von dem, was wir in der Sendung besprechen, geht jetzt wirklich jeden etwas an. Rund um meine Arbeit gibt es auf einmal ganz viel Liebe. „Danke“ höre ich viel häufiger als vorher.

Ich habe zum Beispiel eine 21-Jährige interviewt, die eine Lungenkrankheit hat und deshalb zur Risikogruppe gehört. Ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Gleichzeitig war sie sehr gerührt davon, dass ich ihr im Radio eine Plattform gegeben habe. Ich habe auch mit Mädchen gesprochen, die am Flughafen in Heathrow in Quarantäne festsitzen und ihr Acht-Quadratmeter-Zimmer nicht verlassen können.

Das war ein sehr emotionales Interview und die beiden waren unglaublich dankbar. So viel Dankbarkeit und Liebe im Beruf ist für mich neu. Das ist etwas ganz Wertvolles in dieser Krisenzeit.

Arno Müller sorgt sich um die Werbekunden.
Arno Müller sorgt sich um die Werbekunden.

© 104.6 RTL

Arno Müller ist Programmdirektor beim Berliner Radiosender 104.6 RTL und Moderator von "Arno und die Morgencrew"

Unsere Zuhörer haben seit der Krise ein viel größeres Mitteilungsbedürfnis. Wir haben zum Beispiel gerade ein Gewinnspiel, mit dem wir Einzelpersonen bei ihren anfallenden Zusatzkosten in der Coronakrise unterstützen. Vor der Krise haben bei solchen Verlosungen die Gewinner angerufen und sich gefreut und bedankt.

Bei der Aktion ist es so, dass mir die Gewinner bei dem Anruf auch erzählen wollen, warum ihnen der Gewinn so wichtig ist und was genau ihre Probleme sind. Man sieht, das Thema ist substanziell. Leider auch im negativen Sinne. Letztens hat ein Beamter, ein Feuerwehrmann, bei diesem Gewinnspiel gewonnen.

Er hat einen Nebenjob in einem Spa. Wir haben ihm die Einnahmen, die aktuell wegfallen, teilweise erstattet. Daraufhin haben wir viele Zuschriften von Hörern bekommen, die sich aufgeregt haben. Sie haben sich beschwert, dass ein Beamter mit geregeltem Einkommen gewonnen hat. Das ist ungewöhnlich, so etwas passiert in „normalen“ Zeiten nicht.

Uns ist jetzt wichtig, den Hörern zu zeigen, dass wir sie nicht alleinlassen. Wir senken den Unterhaltungsanteil in unserem Sender und informieren mehr. Wir führen mehr Interviews, wie zum Beispiel mit Adel Tawil, der in Ägypten festsitzt. Wir geben den Hörern das Gefühl: Wir sind da, wir verstehen euch, wir reden mit euch. Wir erinnern sie auch immer wieder an wichtige Verhaltensregeln. Daran, dass man keine Hamsterkäufe machen, zu Hause bleiben und den Mindestabstand einhalten sollte.

Wir wollen keine Panik schüren und gehen deshalb mit einem positiven Ansatz an unsere Themen. Wir senden lustige Beiträge zwischendurch, um die Stimmung aufzuheitern. Die Anzahl unserer Hörer ist seit der Ausbreitung des Coronavirus extrem nach oben gegangen. Die Menschen vertrauen dem Radio und hören uns viel mehr als sonst. Das ehrt uns sehr.

Gleichzeitig ist die Situation schwierig für uns. Nicht nur, weil inzwischen fast alle unsere Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Wir haben zwar mehr Hörer und bekommen viele positive Zuschriften, aber uns brechen die Werbekunden weg. Es kann jetzt kaum noch jemand Werbung schalten, weil ja nichts mehr geöffnet hat. Das ist ein großes Problem, weil wir uns ausschließlich über Werbung finanzieren.

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