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Unser Kolumnist suchte nur einen Protagonisten für eine Geschichte - und wurde gleich der Belästigung bezichtigt. Zu Unrecht, natürlich.

© privat

Kolumne: Was machen wir JETZT?: Die Einsamkeit respektieren

Bist du ein Gespenst? Das fragte Constanze Bilogan letztes Mal. Unser Kolumnist antwortet ihr heute.

Am Ende, als Albert Aken Gespenster sieht, hält ein Polizeiwagen vor seinem Wohnhaus. Zwei Beamte steigen aus. „Sind Sie Björn Stephan?“, fragt mich der eine. Ja. „Ein Herr Aken hat uns angerufen, er fühlt sich von Ihnen belästigt.“ Belästigt? „Er sagt, Sie verfolgen ihn - seit einer Woche.“

Ich wusste, dass Albert Aken ein scheuer Mann ist, ich wusste, dass er keine Freunde hat; aber dass er Angst vor mir hat, das wusste ich nicht. Die Polizisten nehmen meine Personalien auf und sprechen einen Platzverweis aus. Ich solle verschwinden, sagen sie, sonst drohe mir eine Anzeige wegen Nachstellung, Paragraph 238 Strafgesetzbuch.

Ich wollte Albert Aken nicht belästigen. Alles, was ich wollte, war eine gute Geschichte. Und das kam so: Eine Woche zuvor las ich in der Zeitung eine Anzeige. „Wer will mit mir (männlich, 43 Jahre alt) die Stadt entdecken?“, darunter eine E-Mail-Adresse. Ich möchte eine Geschichte über die Einsamkeit machen, schrieb ich. „Sie können mich gerne auf Arbeit besuchen“, antwortete Aken.

Aken heißt eigentlich anders, er arbeitet in einem Büro und ist ein kleiner, gedrungener Mann, in seiner Hemdtasche hat er vier Kugelschreiber. Warum er die Anzeige geschaltet habe? „Das war meine Mutter“, sagt er. Ihre Mutter? „Sie glaubt, ich brauche Freunde.“ Seit zwölf Jahren lebe er allein, erzählt Aken, seit seine damalige Freundin ihn für einen anderen verließ. Wir verabreden uns für ein paar Tage später, er will mir seine Wohnung zeigen mit den drei Aquarien. Außer mir hat niemand auf die Anzeige geantwortet.

Einen Tag vor unser Verabredung schreibt Aken mir eine SMS: „Habe die ganze Woche keine Zeit mehr. Und nächste Woche auch nicht. Viel zu tun.“

Am nächsten Tag fahre ich zu seiner Arbeit. Es ist der Tag, an dem Albert Aken Gespenster sieht. Er ignoriert mich zwei Stunden lang, dann sagt er, wir könnten reden; er ziehe sich nur kurz um. Ich warte weitere 30 Minuten, dann frage ich einen Arbeitskollegen, ob er Aken gesehen habe. „Der ist schon nach Hause.“

Ich bin ihm dann hinterher gefahren und habe fünfmal an seiner Haustür geklingelt, er hat nicht aufgemacht. Er hat die Polizei gerufen.

Ich habe Albert Aken mittlerweile eine Mail geschrieben und mich entschuldigt. Er hat nicht geantwortet. Wahrscheinlich ist es unmöglich, über die Einsamkeit eines Mannes zu schreiben, ohne seine Einsamkeit anzutasten.

Constanze, bist du ein Berliner?
Nächstes Mal schreibt an dieser Stelle Constanze Bilogan.

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