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Bis zu acht Millionen besuchen jährlich den Viktualienmarkt.

© imago/Skata

Debatte über Sanierung: Der Viktualienmarkt - eine Münchner Herzensangelegenheit

Der weltbekannte Platz ist marode, muss dringend saniert werden. Die Händler befürchten, dass ein gesichtsloser Konsumtempel entsteht.

„Schauen Sie mal, wie die Menschen hier gehen“, sagt Elke Fett und blickt auf die Besucher vor den Ständen, die das farbenfrohe Gemüse, die vielen Blumen, Käse, Fleisch und Wurst betrachten. „Ganz anders als auf dem Marienplatz oder in der Fußgängerzone.“ Tatsächlich: Auf dem Münchner Viktualienmarkt ist alles viel langsamer, die Menschen hetzen nicht, sie schlendern.

„Hier ist meine Heimat“, sagt die 74-Jährige Elke Fett, sie hat seit 25 Jahren selbst einen Stand – bei „Duftschmankerl“ gibt es Pfirsich-Duftöl und Lanvendelketten, Gewürzkränze und die Rose von Jericho. Doch bleibt der Viktualienmarkt, vielfach als das Herz Münchens gerühmt, auch Heimat?

„Die Stadtspitze behandelt uns wie die letzten Geier, wir sind ja austauschbar“, schimpft Fett, die auch Vorsitzende der „Interessengemeinschaft Viktualienmarkt“ ist und einen Großteil der Händler vertritt.

Für Unmut und ein mittlerweile vergiftetes Klima sorgt die schon seit einem Jahrzehnt diskutierte und überfällige Sanierung des Marktes. Sie soll nun in diesem Jahr angegangen werden. Die Händler fürchten um die Identität, um den Charakter des Markttreibens, das der Autor Axel Hacke als „ein bisschen chaotisch“ beschrieben hat.

An seinem jetzigen Ort gibt es den Markt schon seit 1807

Mittlerweile hat sich ein Verein „Freunde des Viktualienmarktes“ gegründet, der eine „Übermodernisierung“ fürchtet und mitteilt: „Wir wollen keine modern designten Markthütten.“ Auch sollten keine „Handelsketten" einziehen. Und in der Münchner Presse wird vor vor „Disney-Folklore mit Brezel“ und „Kaputtsanierung“ gewarnt.

Der Konflikt spiegelt vieles an Entwicklungen und Ängsten wider, die München zu schaffen machen, vor allem auf dem irrwitzig überteuerten Wohnungsmarkt: Wird das Althergebrachte, das Münchnerische geopfert für Luxussanierung und Gewinnmaximierung, für einen edel-schicken Ort des Konsums mit gesichtslosen, austauschbaren Ständen?

An seinem jetzigen Ort, 300 Meter südlich des Marienplatzes, besteht der Viktualienmarkt schon seit 1807. Ursprünglich war er ein reiner Bauernmarkt zur Versorgung der Stadtbevölkerung. Auf 22.000 Quadratmetern sind derzeit 105 Händler angesiedelt. Sieben bis acht Millionen Besucher hat der Markt pro Jahr.

Elke Fett betreibt seit 25 Jahren einen Stand.
Elke Fett betreibt seit 25 Jahren einen Stand.

© Patrick Guyton

Das Angebot ist gehoben, die Preise sind es auch. Es gibt einen Biergarten, den Maibaum und acht Brunnen, die nach Münchner Künstlern und Humoristen benannt sind wie Karl Valentin, Liesl Karlstadt oder Weiß Ferdl. Zu den traditionellen Veranstaltungen gehören der Tanz der Marktfrauen am Faschingsdienstag und das Brunnenfest am ersten Freitag im August. 2015 wurde der Markt als immaterielles Kulturerbe ausgezeichnet.

Dass der Markt saniert werden muss, ist unstrittig. Manches an der Bausubstanz ist alt und hinfällig, die Keller sind zum teil vergammelt, es bröckelt, tropft und leckt. Erst kurz vor Ostern musste ein Bereich des Marktes geschlossen und die Händler umquartiert werden, weil ein marodes Abwasserrohr gebrochen war.

Standbetreiber haben das Vertrauen verloren

Doch wie soll saniert werden? Der Viktualienmarkt wird von der Stadt München betrieben. Es gibt jetzt einen eigenen Info-Stand über die Zukunftspläne, dort heißt es: „Der Münchner Viktualienmarkt soll behutsam, sanft und liebevoll saniert werden.“ Ziel sei „die dauerhafte Sicherung des Marktes in seiner heutigen Form“. Gedacht wird an eine Schritt- für-Schritt-Sanierung, bei der Stand-Betreiber provisorisch an andere Stellen ausweichen können.

Fett sagt allerdings: „Ich habe kein Vertrauen mehr.“ Über die Jahre hinweg habe sie von Vertretern der Stadt so ziemlich alles Erdenkliche gehört, was mit dem Markt passieren könnte: Totalabriss, jahrelange Baustelle, massive Veränderungen. Viele Händler haben keinen Zugang zu Wasser, Hygienevorschriften könnten nicht eingehalten werden. In Wirklichkeit handle es sich bei den Ständen gar um „Schwarzbauten“. Der Münchner Alt-OB Christian Ude (SPD) soll über die „Zeltstädte vom Hindukusch“ gespottet haben, was ihm die Händler bis heute übel nehmen.

Pacht wird nur noch für zwei, drei Jahre vergeben

Städtische Bedienstete lassen im Gespräch durchblicken, dass sie – vorsichtig gesagt – über das Wirken der Frau Fett nicht immer glücklich sind. Mit dem Verhältnis steht es offenkundig nicht zum Besten. Das Notwendige, kritisiert die Frau weiter, erledigten die Behörden hingegen nicht. So werde seit 20 Jahren eine öffentliche Toilette auf dem Markt gefordert, bis heute gibt es keine.

Wenn Fett über ihren Markt geht, zeigt sich schnell, dass sie bei den Händlern großes Ansehen genießt. Da gibt es alle paar Meter ein Hallo, Servus oder: „Alles gut?“ Der Gurken-Freisinger („Die saure Ecke“) verkauft schon seit 1903 auf dem Markt, noch 20 Jahre älter ist der Gemüsestand Tretter. Als derzeit bester Imbiss-Tipp gilt das orientalische Sababa mit Falafel oder Schawarma, einer Art arabischer Döner.

Im Juni soll der Münchner Stadtrat entscheiden

Fett kritisiert, dass die Pacht für die Stände (offiziell wird von „Zuweisung“ gesprochen) bei einer Übergabe nicht mehr wie üblich auf Lebenszeit vergeben wird, sondern nur noch für ein, zwei oder drei Jahre. „So kann man aber nicht planen“, sagt sie. Wer einen Stand erhält, gibt schließlich seine bisherige Arbeit dafür auf. Das städtische Kommunalreferat teilt dazu mit, dass dies im Moment „eine große Verwaltungsvereinfachung darstellt“.

Aber: „Grundsätzlich sollen alle Händler, die vor der Sanierung auf dem Markt sind, danach wieder unbefristete Zuweisungen erhalten.“ Ein Sprecher sagt dem Tagesspiegel: „Es fliegen keine Händler vom Platz.“

Im Juni soll der Münchner Stadtrat nun beschließen, wie es mit der Sanierung des Marktes weitergeht. Davor hat Elke Fett im Mai noch Gelegenheit, dem Oberbürgermeister Dieter Reiter bei einem Gespräch ihre Sicht der Dinge zu erläutern: „Vertrauen muss man sich erarbeiten, die Stadt soll uns bei der Sanierung mitnehmen.“

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