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An der Rampe kam es zu dem Unglück.

© dpa

Kein Strafprozess zur Loveparade-Katastrophe: Das zweite Entsetzen

Das Landgericht Duisburg hat entschieden, keinen Strafprozess zur Loveparade-Katastrophe zu eröffnen. Opfer und Angehörige reagieren fassungslos.

Dirk Oberhagemann kann es nicht verstehen. Er war im Sommer 2010 als Beobachter im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Sicherheit von Großveranstaltungen bei der Loveparade in Duisburg. Schon kurz nach dem Unglück mit 21 Toten hat er herausgefunden, dass die Veranstaltung ab einem gewissen Zeitpunkt außer Kontrolle geraten war. Das hatten auch seine Videos und Analysen belegt. Sie liegen der Staatsanwaltschaft vor. Gebracht hat es nichts, zumindest aus juristischer Sicht. Am Dienstag hat das Landgericht in der nordrheinwestfälischen Stadt entschieden, dass es keinen Strafprozess zur Katstrophe geben wird. Die Vorwürfe reichten nicht aus, um einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen und das Hauptverfahren gegen die zehn Angeklagten zu eröffnen, hieß es zur Begründung.

Oberhagemann bezeichnet das als „Unding“. Schließlich lägen genug Aussagen und Beweise vor, die zeigen, „dass es dort Planungsfehler gegeben hat“. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Die Nichtzulassung der Anklage nach rund sechs Jahren Ermittlungen sei eine Bankrotterklärung der Justiz, erklärte der ehemalige Innenminister und Nebenklageanwalt Gerhart Baum. Vor allem die Opfer und Angehörigen macht die Entscheidung des Gerichts fassungslos. Zwar hat die Duisburger Staatsanwaltschaft, die vier Mitarbeitern der Veranstalterfirma Lopavent und sechs Bediensteten der Stadt Duisburg unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorwirft, sofortige Beschwerde eingelegt. Trotzdem kann es sein, dass vielleicht niemals jemand büßen muss für das Unglück.

„Ich bin entsetzt. Als ich das gehört habe, standen mir die Tränen in den Augen“, sagte etwa Sabine Sablatnig aus Bielefeld, die ihr einziges Kind bei der Katastrophe verlor. Für sie wäre der Strafprozess wichtig gewesen, um abzuschließen. Sablatnig hat sich in einer Traumaklinik behandeln lassen. Die Frage danach, warum ihre Tochter gestorben ist, beschäftigt sie aber weiter. Arbeiten kann Sablatnig nicht mehr, sie musste die Rente einreichen. Und das mit 51 Jahren. Sie hat das Gefühl, dass es einfach gar nicht besser wird mit der Trauer. Der Dienstag hat nicht unbedingt dazu beigetragen, dass sich dies ändert, im Gegenteil.

Krisentreffen der Anghörigen

Die Richter taten sich vor allem mit dem Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still schwer. Es hätte „schwerwiegende methodische und inhaltliche Mängel“ und sei deshalb „nicht verwertbar“. Der Verfasser könnte außerdem als befangen ablehnt werden. Die Anklage bezweifelt vor allem die Einschätzung des Gutachtens, dass es ab einem bestimmen Zeitpunkt zum Unglück kausal hätte kommen müssen. Die Duisburger Staatsanwaltschaft wies die Kritik des Gerichts zurück. Der Gutachter sei ein renommierter Experte, „an dessen Sachkunde und Unabhängigkeit keine Zweifel bestehen“. Sie gehe davon aus, dass das für die Beschwerde zuständige Düsseldorfer OLG den Beschluss aufhebe und die Eröffnung des Hauptverfahrens anordnen werde, erklärte sie. Auch die Nebenklage wollte nach Angaben Baums „sämtliche Rechtsmittel“ prüfen. Wie lange das dauert, ist offen.

Von all dem erfährt Jörn Teich nur über die Medien. Er war damals mit seiner Tochter auf der Loveparade, im Tunnel in der Nähe der Unglückstreppe, wo so viele Menschen bei der Massenpanik starben oder verletzt wurden. Heute kümmert er sich um die Betroffenen und die Angehörigen und hat die Stiftung „Duisburg 24.07. 2010“ mit gegründet. Am Dienstag musste Teich ins Krankenhaus und konnte so nicht bei der Pressekonferenz des Gerichts dabei sein. Normalerweise kam er zu jedem Termin.

Als Teich davon erfuhr, dass die Loveparade-Anklage nicht zugelassen wird, musste er Beruhigungsmittel nehmen. Er leidet an einer Herzschwäche. „Ich bin fassungslos. Das ist ein schwarzer Tag in Deutschland für die Rechtsstaatlichkeit“, sagte er. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, kontaktierte er die Betroffenen und Angehörigen. „Die Leute waren fertig, mir persönlich ging das einfach zu nah“, sagte er. Am Mittwoch wolle er ein Krisentreffen der Stiftung einberufen, kündigte er vom Krankenbett aus an.

Stephanie Hajdamowicz

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