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Die deutsche Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III, Aufnahme bei Nacht.

© Stefan Christmann

Antarktis: Jubiläum am einsamsten Arbeitsplatz der Welt

Die Antarktisstation Neumayer III feiert ihren zehnten Geburtstag. Deutsche Forscher arbeiten und leben schon seit 1981auf dem südlichen Kontinent.

Wenn gerade einmal kein Schneesturm heult, sondern die Sonne scheint oder am Himmel ein paar Sterne funkeln, ähnelt die Antarktisstation Neumayer III einem weißen Wohnblock mit zwei Geschossen, rotem Flachdach und blauem Untergeschoss, der auf 16 dunkelblauen Stelzen sechs Meter über einer endlos scheinenden Schneefläche steht. Hinter den dort in der Nacht strahlend hell erleuchteten Fenstern stoßen neun Frauen und Männer nicht nur auf den zehnten Geburtstag dieses Gebäudes an, das am 20. Februar 2009 nach einer Bauzeit von zwei Antarktis-Sommern offiziell in Betrieb ging. Sie beginnen auch einen der einsamsten Jobs auf dem Globus.

Allein in einem Wohnquartier auf Stelzen

Die Forscher und Techniker der Sommer-Saison fliegen Ende Februar zurück nach Deutschland. Vier Wissenschaftler und drei Ingenieure mit einem Koch und einem Chirurgen, der gleichzeitig die Station leitet, bleiben dann mindestens ein dreiviertel Jahr lang allein in ihrem Wohnquartier auf Stelzen. Bis zum November 2019 erwarten die Neun voraussichtlich keinen einzigen Besucher und werden wahrscheinlich auch selbst nicht einmal ihre nächsten Nachbarn besuchen, die in der südafrikanischen Station Sanae 250 Kilometer entfernt leben. „In der Antarktis braucht man für diese Entfernung 30 bis 40 Stunden, bei schlechtem Wetter auch erheblich länger“, erklärt Chirurg Eberhard Kohlberg, der 1989 und 1999 zweimal eine Überwinterung geleitet hat und nach der Jahrtausendwende beim Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven für die Logistik der deutschen Antarktis-Station verantwortlich war. Dass solche Fahrten keine Reisen, sondern Expeditionen sind, hat bereits der französische Klimaforscher Claude Lorius 1957 erfahren. Damals brauchte der 23-Jährige mit seinen Kollegen für die 320 Kilometer von der französischen Station Dumont d'Urville zur Station Charcot vier überaus anstrengende Wochen. Meist liefen die Forscher bei minus 18 Grad Celsius vor den Fahrzeugen und stocherten mit langen Stangen nach Gletscherspalten, die sich unter dem Schnee verbargen.

Leben und arbeiten auch unter der Erde

Zehn Monate lang lebten Claude Lorius und seine beiden Kollegen danach in einer Baracke namens Charcot in engen Gängen unter dem Schnee. 24 Quadratmeter Fläche nutzten die drei Männer gemeinsam und die Wohntemperatur wich mit acht Grad plus von den heutigen Gepflogenheiten ab. Auch die Körperhygiene beschränkte sich auf ein absolutes Minimum, weil jeder Tropfen Wasser mühselig aus Schnee geschmolzen wurde. Die nächste Dusche oder gar ein Wannenbad lag zehn Monate entfernt.

Seither hat sich die Situation zwar von Jahr zu Jahr verbessert. Hart aber werden die Bedingungen auf dem ewigen Eis wohl immer bleiben. Als das AWI für das damalige West-Deutschland am 3. März 1981 die erste Neumayer-Station nicht weit vom heutigen Standort auf dem Ekström-Schelfeis an der Atka-Bucht der Antarktis eröffnete, lebten und arbeiteten die neun Überwinterer genau wie Claude Lorius ein Vierteljahrhundert vorher im Untergrund. Immerhin hatten sie mit zwei 50 Meter langen und sieben Meter dicken Stahlröhren, in die Container mit Wohnräumen, Labors, Küche, Sanitätsraum, Werkstatt, Funkraum und mit der Energieversorgung eingebaut waren, viel mehr Platz zur Verfügung. Und es konnten in jeder Stunde hundert Liter Wasser aus dem Schnee geschmolzen werden. Trotzdem hielt sich der Luxus in Grenzen. Der Kontakt mit der Familie im fernen Deutschland lief zum Beispiel über Kurzwelle mit Norddeich Radio in Ostfriesland und weiter über Telefon nach Bremerhaven und kostete umgerechnet zwei Euro in der Minute.

Genau wie die erste Station war auch die 1992 errichtete Antarktisbasis Neumayer II als Höhle aus Stahl in den Untergrund eines zweihundert Meter dicken Eispanzers gebuddelt, der starr mit dem Festland verbunden ist und auf dem Meer schwimmt. In seinen 17 Betriebsjahren wurde Neumayer II unter einem Dutzend Meter Schnee begraben, während das Eis sich langsam weiter wälzte. Dabei begann die Station langsam zu zermahlen.

Immer genau sechs Meter über dem Schnee

Es gab also gute Gründe, Neumayer III auf Stelzen sechs Meter über dem Eis zu bauen. Jedes Jahr hebt eine Hydraulik ein Bein der Station soweit in die Höhe, wie zwischenzeitlich die Schneedecke angewachsen ist. Unter eine Stahlplattform am Ende des Beines wird dann Schnee gepresst, bis die Stütze wieder auf festem Grund steht und das nächste Bein angehoben wird. Nach dem Anheben der 16. Stütze befinden sich die 15 Schlafräume mit insgesamt 40 Betten, Labors, Messe, Lounge und Krankenstation dann wieder wie vorher sechs Meter über dem Schnee. Neun Monate lang vermessen die AWI-Forscher dort in einer bis zu minus 50 Grad kalten Eiswelt mit brüllenden Stürmen im Polarwinter die Ozonschicht, überwachen den Atomwaffensperrvertrag, sammeln Wetterdaten, vermessen Erdbeben und das Erdmagnetfeld und warten auf die Ablösung im November. Immerhin können sie inzwischen ab und zu aus dem Fenster schauen. Und dieser Blick nach draußen ist viel wert: „Ich würde nie wieder in einer unterirdischen Röhre überwintern wollen“, erklärt Eberhard Kohlberg.

Nur eines wird sich so schnell nicht ändern: die Isolation. Selbst in einem extremen Notfall dürfte es zweieinhalb bis drei Wochen dauern, bis ein Hilfstrupp ein- oder ein schwerkranker Patient ausgeflogen werden kann. Das AWI hat also triftige Gründe, immer einen Chirurgen auf der Station zu haben. „Immerhin kommt man leichter und schneller zur Internationalen Raumstation ISS im Weltraum als zur Neumayer-Station in der Antarktis“, sagt Eberhard Kohlberg.

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