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Der Schlussmacher. Ole von Beust hat nach dem Ausscheiden aus der Politik eine Consulting-Firma aufgebaut – mit Sitz in Hamburg und Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich

Hamburgs Ex-Bürgermeister im Porträt: Ole von Beust - der Hobbyist

Neun Jahre lang hat Ole von Beust Hamburg regiert, er war einer der beliebtesten Bürgermeister. Dann wechselte er in die Wirtschaft. Und zog in ein Dachgeschoss in Berlin-Mitte.

Hassbriefe wollte Ole von Beust nie lesen. Wenn er bedroht wurde, sollte sein Büro die Polizei informieren, aber nicht ihn. Aber was passiert mit den Feinden, wenn der Politiker plötzlich nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit steht?

Bei Ole von Beust ist das erstaunlich profan. Irgendjemand, er weiß nicht wer, bestellt ständig „irgendein Zeug“ in seinem Namen. Münzen oder Goldschmuck – alles muss Beust dann wieder zurückschicken oder dem Postboten mühsam erklären, warum er gar nichts davon braucht.

Das ist die Antwort, die Hamburgs früherer Erster Bürgermeister gibt, wenn er nach seinen Feinden gefragt wird. Die scheinen ihm hier, in seinem Berliner Büro in der Friedrichstraße, unglaublich weit weg. Den Straßenlärm lassen die hellen Fensterfronten nicht durch, die Geister aus Beusts Vergangenheit noch weniger.

Ziemlich unspektakulär für jemanden, der für die Union in Hamburg eine rote Hochburg eroberte und fast zehn Jahre lang eine der größten deutschen Städte regierte – alleine mit absoluter Mehrheit, mit den Grünen, mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill.

Selbst Schill sagt, er würde ihm heute in die Arme fallen

Der wollte Beust mit dessen Homosexualität erpressen und wurde von ihm aus dem Amt gejagt. Selbst Schill, der angeblich stets einen Revolver bei sich trug, heute ein windiges Leben in Brasilien führt und wohl Beusts härteste Prüfung im Amt war, behauptet im „Stern“, er würde ihm heute in die Arme fallen, wenn sie sich begegneten.

Beust sieht das etwas anders, schon deshalb, weil er nicht der Typ sei, der anderen in die Arme fällt. Aber eigentlich hegt er gegen Schill keinen Groll. Unter aller Sau war das, sagt Beust, aber „eigentlich war er ein lustiger Geselle“. So recht taugt Beust einfach nicht zum Feind, nicht einmal in der Politik. „Ich weiß nicht, woran das liegt. Die meisten Leute mochten mich einfach immer. Das war Glück.“

Keine schlechten Voraussetzungen also für eine Karriere in der Politik, in der es spätestens am Wahltag darauf ankommt, dass die Menschen einen mögen oder zumindest die anderen Kandidaten als weniger attraktive Wahl empfinden. Und trotzdem hat sich Beust entschieden, dieses Leben hinter sich zu lassen. Er ist raus aus dem Geschäft, seit er vor sechs Jahren sein Amt niederlegte. Was macht so jemand nach dem Leben im Rampenlicht?

Ole von Beust im Juli 2010 bei seiner Rücktrittsrede.
Ole von Beust im Juli 2010 bei seiner Rücktrittsrede.

© Maurizio Gambarini/dpa

Beust sucht noch seinen Platz - in jeder Hinsicht

Es scheint, als wisse Beust es selbst noch nicht so recht. Er sucht noch immer seinen Platz, irgendwo zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Loslassen und Festhalten – und zwischen Hamburg und Berlin. In beiden Städten hat Beust ein Büro und eine Wohnung. Fast die Hälfte seiner Zeit verbringt er in der Hauptstadt. Kann einer, der im Norden so verwurzelt war, sich einfach so umpflanzen? „Die Frage habe ich mir oft gestellt. Ein Kollege in der gleichen Situation hat mir geraten, nicht zu viel darüber nachzudenken.“

Als Beust sich aus dem Hamburger Rathaus zurückzog, hatte manch einer wohl erwartet, dass er sich zur Ruhe setzt, das Leben und die neu gewonnene freie Zeit genießt. Viele hatten sowieso schon ein Bild von ihm im Kopf, auf dem er mehr nach Urlaub als nach Arbeit aussieht.

Braun gebrannt selbst im Winter, dass sich auf den Schläfen weiße Streifen eines Sonnenbrillenbügels abzeichnen. Das Haar strohblond, als wäre es von einer Sonne gebleicht, die es in Hamburg nur selten zu sehen gibt und die er deshalb so oft auf Sylt suchte. Bürgermeister Beust, das Postkartenmotiv. Der Dauerentspannte. Und: der Faule.

Nachdem er in Hamburg die Wahl zum Ersten Bürgermeister gewonnen hatte, war seine erste Amtshandlung ein Nickerchen auf der Couch. Beust beschreibt das freimütig in seiner Biografie. Journalisten haben ihm das gern als mangelnden Enthusiasmus ausgelegt, sie sahen darin ein Zeichen von Schwäche.

Dabei ist das Schläfchen nur ein Beleg für die Fähigkeit des 61-Jährigen, den Schalter umzulegen und abzuschalten. „Wenn Ole die Mütze aufgesetzt hat und nach Sylt gefahren ist, war er ein anderer Mensch“, sagt ein langjähriger Weggefährte. Dieser Mensch sei nie hinter seinen Ämtern verschwunden.

Der Ex-Bürgermeister vergoldet sein Adressbuch

Aber Ruhestand ist nichts für Beust. Nur wenige Wochen nach seinem Rückzug aus der Politik, im Sommer 2010, heuert er in der Wirtschaft an. Er übernimmt einen Beraterposten bei Roland Berger. Parallel baut er sich seine eigene Consulting-Firma auf.

Beust hatte nicht vor, sich neu zu erfinden. Es ging ihm darum, seine Erfahrung und seine Kontakte einsetzen zu können. Und – das sagt er freilich nicht so direkt – es geht ihm ums Geld. Der Ex-Bürgermeister vergoldet sein Adressbuch.

Gut ein Dutzend Kunden hat seine „Ole von Beust Consulting“. Darunter sind Privatbanken, Konsortien internationaler Unternehmen, der Deutsche Lotto- und Totoblock. Beust ist für sie eine Art Lobbyist.

Die Kunden sagen ihm, was sie möchten, und Beust setzt die Hebel in Bewegung, damit das möglichst auch passiert. Hilfe zur Selbsthilfe könnte man das nennen.

Im Paket sind taktische Ausrichtungen, Kommunikationspläne, Ansprechpartner, gute Drähte in die politischen Ressorts. Wer seine Kunden sind, ist dem gelernten Juristen relativ egal. „Ich bin Berater im Handwerk, nicht in der Sache“, sagt er. Eine Grenze zieht er aber: „Waffen, Alkohol, Tabak – das würde ich nicht vertreten.“

Der Hamburger ist ein Anti-Wowereit

In der Firma arbeiten sie zu sechst in zwei Büros, eins in Hamburg, eins in Berlin. Beust muss oft selbst ran. So wie neulich, als er einem Münchner Privathaus dabei helfen sollte, in der Hauptstadt Fuß zu fassen. Seine Kanzlei organisiert dafür eine Konferenz im Hotel im Tiergarten. Beust ist schon ab mittags da, lange bevor die Gäste eintreffen.

Er spricht mit den Referenten, bereitet seine Moderation vor, er kontrolliert die Bestuhlung und prüft, ob die Sitzordnung so funktionieren kann. Sogar auf die Technik hat er ein Auge. Dann führt er durch den Abend, denn die Kunden, die ihn buchen, wollen nicht nur seine Expertise. Sie wollen sein sonnengebräuntes Gesicht an ihrer Seite, und sie wollen seinen Namen in ihrem Portfolio. Deshalb ist der Abend selbst vor allem Smalltalk. Das hat er gelernt, obwohl es eigentlich nicht seine Welt ist.

Der Hanseat hat nichts übrig für lange Abende, selbst als Bürgermeister habe er es selten länger als bis 22 Uhr ausgehalten. Klaus Wowereit hat ihn damit gern aufgezogen. Beust ist ein Anti-Wowereit.

Sich um Alltägliches zu kümmern, ist neu in seinem Leben, manches musste er lernen, als wäre er gerade erst bei seinen Eltern ausgezogen. Flüge und Hotels bucht er heute selbst, sucht Bahnverbindungen raus, und er hat gelernt, dass man insbesondere in großen Städten Zeit für die Parkplatzsuche einplanen muss.

Früher hat sich sein Büro um seine Reisen gekümmert, ein Fahrer hat ihn gleich dort rausgelassen, wo er hinwollte. Beust hat mal vom „Raumschiff“ Politik gesprochen, das mit dem echten Leben nur wenige Berührungspunkte habe. Willkommen auf der Erde.

Berlin vermittelt ihm immer noch Urlaubsgefühl

Aber kaum ist er dort angekommen, sitzt er schon wieder zwischen den Stühlen. Sein Leben in Hamburg und das in Berlin, es sind zwei verschiedene Welten. Die Hauptstadt vermittelt ihm immer noch ein Urlaubsgefühl. Die Verrückten, die Aufgedrehten, die Lustigen, das Laute, das Wandelbare, alles faszinierend, aber zuweilen auch anstrengend. Manchmal muss er dem entfliehen, dann wird es ihm zu viel mit den Trinkern und Bettlern, den schlechten Musikern und den ratternden U-Bahn-Waggons, die in Hamburg so leise schnurren wie ein Kätzchen, schwärmt Beust.

Wenn er Hamburg entkommen will, fährt er nach Sylt. Dort hat er eine kleine Wohnung. Anderthalb Zimmer, erster Stock im Hochhaus, Landseite. In Berlin macht er Urlaub auf dem Dach. Seine moderne, helle Dachgeschosswohnung am Spittelmarkt verfügt über zwei üppige Balkone und eine Dachterrasse, die flächenmäßig für eine Fünfer-Studenten- WG taugen würde. Die Wohnung ist das Gegenteil seiner Hamburger Bleibe, einer „zwar schönen, aber dunklen“ Altbauwohnung.

Die Terrasse hat Beust gerade bepflanzt. „Das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt Pflanzen habe, mal abgesehen von Schnittblumen.“ Es macht ihm Freude, den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen, er mag das Schnippeln und Zuppeln. Und irgendwie geht es dabei ja auch wieder ums Wurzelnschlagen.

"Hier kann ich nachts auch mal bei Rot über die Ampel gehen"

Vielleicht fällt ihm das Leben in Berlin so leicht, weil er hier die Freiheit hat, anonym zu sein, wenigstens ein bisschen. Nur selten erkennen ihn Passanten, ab und zu wird er noch angesprochen. „Hier kann ich nachts auch mal bei Rot über die Ampel gehen, wenn kein Auto kommt. In Hamburg musste ich immer Sorge haben, dass irgendein Leserreporter ein Foto macht und die Zeitungen das ausschlachten“, sagt Beust.

Das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, wurde für Beust zunehmend zur Belastung. Mit jedem Jahr im Amt wurde er dünnhäutiger, von eher harmlosen Berichten fühlte er sich plötzlich persönlich getroffen. Natürlich gab es auch Geschichten, die ihm allen Grund zum Groll gaben.

Einer aus der „Spiegel“-Redaktion hatte mal bei Handwerkern von Beust angerufen und gefragt, ob der Herr Bürgermeister Spiegel über dem Bett oder Ketten an der Wand angebracht habe. Das war offenbar die Erwartungshaltung des Reporters, was ein homosexueller Politiker in seiner Freizeit so treiben müsste. Damals war Beust wütend darüber, auch wenn er das heute überspielt.

Heute geht es ruhiger zu. Über das Schwulsein kann er befreiter sprechen, auch wenn er reserviert bleibt. Es ist ja nicht so, dass er einen extravaganten Lebensstil pflegen würde. Wenn möglich macht er um sechs Uhr Feierabend, abends kocht er mit seinem Partner oder sie gehen essen. Dann Fernsehen auf dem Sofa, es darf auch mal ein schlechter Krimi sein. Sehr bürgerlich, fast bieder. Zum Abschalten liest er Donald Duck, in den Regalen türmen sich mittlerweile mehr als 500 Ausgaben, schätzt Beust. „Hobbys habe ich eigentlich keine. Vielleicht sollte ich mir mal eins suchen.“

Ein Consultant ist für die Medien nicht so spannend wie ein Politiker

So ruhig es bei ihm zu Hause zugeht, so still ist es auch in den Medien um ihn geworden. Ein Consultant ist für viele eben weniger spannend als ein Top-Politiker. Der Druck ist raus, dafür hat er auch Macht abgegeben. Wenn er heute einem Kunden sagt, tu dies oder jenes, kann der Kunde das annehmen oder ignorieren.

„Wenn ich als Bürgermeister etwas befohlen habe, wurde das in der Regel auch umgesetzt.“ Heute ist er vor allem Dienstleister, früher war er der Chef – und diese Macht hat er auch genossen. Höher hinaus ging es nicht in Hamburg.

Auch deshalb liebäugelte Beust 2009 mit einem neuen Job. Ihm wurde ein Ministerposten im Kabinett Merkel in Aussicht gestellt, im Ressort für Entwicklungshilfe. Mit der Kanzlerin ist er per Du, sie schreiben sich noch regelmäßig SMS.

Dann kamen die Wahlen, die FDP wurde unerwartet stark und hatte plötzlich Anspruch auf mehr Ministerposten als gedacht. Entwicklungshilfeminister wurde Dirk Niebel, Beust ging leer aus.

Beust sagt heute, es wäre schön gewesen – dass es nicht geklappt hat, sei aber nicht schlimm. Menschen, die ihn gut kennen, glauben ihm das. Ein Vertrauter sagt: „Er hat in einer Zeit regiert, in der ein Posten als Bundesminister nicht unbedingt ein Aufstieg vom Amt eines Landeschefs gewesen wäre.“ Oder wie Beust es nennt: „Lieber ein König im eigenen Land als ein Narr bei Hofe.“ Ein Jahr später stieg er auch in Hamburg vom Thron.

Ganz ohne Politik geht es nicht. Gemeinsam mit Matthias Platzeck (l.) und Jürgen Trittin (r.) leitet Ole von Beust die Kommission zum Atomausstieg.
Ganz ohne Politik geht es nicht. Gemeinsam mit Matthias Platzeck (l.) und Jürgen Trittin (r.) leitet Ole von Beust die Kommission zum Atomausstieg.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Ganz von der Politik lossagen kann er sich nicht

Heute ist das alles für ihn kein Thema mehr, mit der aktiven Politik hat er abgeschlossen. Wirklich? Nicht wirklich. Eine zufällige Ole-von-Beust-Woche: Montag, Treffen mit Jürgen Trittin und Matthias Platzeck, gemeinsam leiten sie die „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“. Dienstag, Termin bei Kanzleramtschef Peter Altmaier, später Gespräche mit Abgeordneten von Union und Grünen über mögliche schwarz- grüne Bündnisse. Donnerstag, Frühstück mit Innensenator Frank Henkel. Außerdem Besuche bei der Berliner CDU in Zehlendorf und Tegel.

Aber selbst noch mal angreifen? „Nein, ich bin gerade sehr glücklich. Und mich würde ja ohnehin keiner fragen.“ Und wenn doch? „Ich schließe ungern etwas kategorisch aus.“ Wenn man auf die letzten Landtagswahlen schaut, die auch für die Union so desaströs ausgefallen sind, könnte er doch froh sein, raus zu sein aus dem Zirkus. „Ganz im Gegenteil. Da möchte ich gern mal wieder in die Speichen greifen.

Die AfD? „National, sozialistisch.“ Das Komma spricht er. „Ich finde das zum Kotzen.“

Die Flüchtlingskrise? „Ich sehe mit Schrecken auch in meinem Bekanntenkreis, welche Ressentiments und welcher Hass da zum Teil hochkommen.“

Da ist er wieder, der Politiker aus Leidenschaft. Er mag die Ämter niedergelegt haben, aber seine Überzeugung wird er nicht los. Die Wirtschaft ist jetzt sein Berufsfeld, aber die Politik ist und war für ihn schon immer nicht nur ein Beruf, sie war stets das, was Beust nicht zu haben glaubt: ein Hobby.

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