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Ein verzweifelter Mann.

© Niki Love/Fotolia

Ohnmacht vor den Verhältnissen: Wir sind dem Schicksal nicht ausgeliefert!

„Was macht das mit uns?“ ist eine Modephrase. Ihr zufolge sind wir machtlos – gegenüber der Politik, dem Wetter, dem Computer, dem Leben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Allüberall wird „etwas mit uns gemacht“. Auf die da oben ist kein Verlass, sie machen, was sie wollen. Nun schon wieder, in Brüssel, in sprichwörtlichen Hinterzimmern. Symptomatisch für die populäre These, selbst in Demokratien seien Bürger wirkmächtigen Akteuren und Ereignissen ausgeliefert, ist die immer beliebter werdende Frage „Was macht das mit Ihnen?“

Ursprünge der Fragefloskel, die sich im Befindlichkeitsdiskurs der Zeitgenossen eingenistet hat, gehen vermutlich zurück auf therapeutische Interventionen. Auf die Weise erkundigen sich so manche der heutigen Therapieanbieter danach, was irgendein misslicher Umstand aus der Vergangenheit mit dem Klienten oder der Klientin „gemacht“ habe. Empathisch soll sich das anhören und das wird gewiss teils auch so aufgefasst. Doch die so harmlos dahertrottende Redeweise ist in Wahrheit ein verstecktes Geschoss.

Aus der Intimität der Therapiepraxis mäanderte die Frage in den informellen Alltag hinein und von dort in den öffentlichen Diskurs, wo sie zum Repertoire von Moderatoren und Interviewern wurde, die ihr Gegenüber zu emotionalen Offenbarungen verleiten wollen. Wie einen Angelhaken werfen sie dieses Fragezeichen aus, lauern ein wenig und haben oft genug Beute am Haken – am Widerhaken, genauer gesagt. Gefolgt wird die bohrende Indiskretion, das erpresserische Ansinnen gern von der Aufforderung: „Wie muss ich mir das vorstellen?“ Das klingt, als befände sich der Fragende unter einem Zwang, und als stünde es - immerhin - in der Macht des befragten Ohnmächtigen, zurechtzurücken, was sich der Andere ausmalen „muss“.

Beschworen wird eine quasi genetische Programmierung

Dass Allgemeinplätze erkenntnisdrosselnd wirken, leuchtet ein. Erkenntnis fördern kann es, danach zu fragen, warum und wie sie ihren Platz in der Allgemeinheit eingenommen haben. In der Was-macht-Frage nun versteckt sich eine Machtfrage. Sie arbeitet mit der impliziten Annahme oder Unterstellung, die Angesprochenen seien zur Passivität verurteilt, dazu, etwas mit sich machen zu lassen. Tatsächlich handelt es sich also um eine Ohnmachtfrage, und sie grassiert. Kaum ein Phänomen ist vor ihr sicher. Was macht die Hitze mit uns? Was die Kälte, der Sommer, der Winter, die Politik, der Stress, der Erfolg, der Misserfolg, ein Unfall, ein Zufall, ein Gewinn, ein Verlust, das Internet, das Smartphone?

Auf der Mikroebene spiegeln sich in „Was macht das mit uns?“ die gesellschaftlichen Verwerfungen der Makroebene wider. Suggeriert wird ein Automatismus des Ausgesetztseins: Etwas wird mit uns angestellt, in uns ausgelöst, uns angetan. Da kann man nichts machen, da ist nichts zu machen. Schicksal! Nur zu gut passt die Ohnmachtsfrage daher zu den aktuellen Szenarien, in denen häufig eher Opferstatus oder Opferhaltung Anerkennung finden, als die Suche nach Handlungsoptionen und Autonomie.  

Im Strom des Herbeiredens von Passivität schwimmt auch der metaphorische Gebrauch des biologischen Begriffs „DNA“ für soziale Gruppen und andere Phänomene. Die SPD trage „die DNA der Großstadt in sich“ erklärt ein Politiker der Süddeutschen Zeitung, die soziale Marktwirtschaft gehöre zur „DNA der Union“ beteuerte ein anderer, und „der Missbrauch von Macht“ stecke „in der DNA der Kirche“ klagte der Bischof von Hildesheim dem Kölner Stadtanzeiger. Beschworen wird so eine quasi genetische Programmierung, die, gut oder nicht gut, solchen Strukturen innewohnt.

Bestimmung statt Freiheit des Handelns

Es sind gleichwohl keine biologischen, sondern von Menschen gemachte Strukturen, und der Unterschied ist grundlegend. Wo biologistische Begriffe in den politischen Diskurs rutschen suggerieren sie Prädestination, Bestimmung statt Freiheit des Handelns und Verhandelns. Wo etwas „mit uns gemacht wird“, delegieren wir Verantwortung und Handlungsmacht ans Außen, an die herrschenden Zustände, als wären wir Kinder unter der Befehlsgewalt Erwachsener, hilflose Untertanen, die an den Verhältnissen nichts ändern können.

Sogar das elegante Magazin „Vogue“ probierte unlängst die Ohnmachtfrage aus, am weiblichen Team von Ferrari: „Im Vergleich zu Männern“, fragte die Interviewerin, „bekommen Rennfahrerinnen weniger mediale Aufmerksamkeit. Was macht das mit Ihnen?“ Die Automobilsportlerin Rahel Frey biss jedoch nicht an, sondern konterte: „Wir sind mittlerweile so lange im Business, dass wir darüber stehen.“ Darum geht es: Was mache ich? Wie reagiere ich? Wie reagieren wir? Was planen, wollen, machen wir? Das ist entscheidend, das allein kann die verdummende Ohnmachtfrage auflösen und abschaffen.

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