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Insurrektionalist? Fahnenschwinger in der "roten Flora".

© REUTERS/Kai Pfaffenbach

Matthies meint: Noch ein irrer Ismus

Der Insurrektionalist braucht keine autonomen Republiken mehr, er ist selbst eine. Eine Glosse über einen neuen Begriff, den wir am Wochenende gelernt haben.

Wir müssen wieder einen neuen Begriff lernen: Insurrektionalismus. Wie die meisten Ismusse der Ideengeschichte ist auch dieser auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt, kann uns aber auf kurze Sicht höllischen Ärger machen. Genauer: Er ist schon drauf und dran, siehe Hamburg. Es handele sich dabei um eine Strömung des Anarchismus, „die den Gedanken der Rebellion in den Vordergrund stellt“, lesen wir bei Wikipedia. Der bei aller Wutgeladenheit irgendwie bürgerliche russische Anarchist à la Bakunin ist also Geschichte, es wird nicht mehr lange rumgesumpft bei starken Getränken, sondern gleich draufgeschlagen.

Der Insurrektionalist ist nicht erst in der „Roten Flora“ zusammengebraut worden. Es gibt ihn, wie wir weiter lesen, theoretisch schon seit den 70er Jahren in Italien, das ist ungefähr auch so die Zeit, in der interessierte Kreise sich den Islamismus ausgedacht haben, der ja ein ähnliches Konzept auf der Basis religiösen Wahns verfolgt.

Was will der I.? Attacke. „Attacke ist die Zurückweisung von Mediation, Beschwichtigung, Selbstaufopferung, Anpassung und Kompromissen im Kampf“, heißt es in einer obskuren Quelle, die wiederum bei Wikipedia genannt wird. „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf“, sang seinerzeit, einfacher, Franz-Josef Degenhardt, der allerdings eher die Herrschaft des Politbüros der SED unterstützte als das Konzept „Keine Macht für niemand“.

Der wölfische Kapitalismus hat fertig

Doch die Grundidee, die hier mit manischer Intensität verfolgt wird, ist ähnlich: Der wölfische Kapitalismus, raffiniert getarnt hinter einem Netz demokratischer Formalien und güldener Statussymbole, geschützt von gepanzerten Uniformierten, hat in Wirklichkeit fertig. Schnaufend liegt er da, die geknechtete Menschheit ruckelt an ihren Ketten. Gleich wird er platzen, der Kapitalismus, und den Weg freigeben ins Land, in dem Milch und Honig fließen ohn’ Unterlass. Endlich!

Nur braucht er eben noch den Todesstoß, das ist ganz leicht, da muss die Menschheit nur drei Milliarden Mal behaupten, dass die Welt aus den Fugen sei, dann glaubt sie das am Ende auch. Na, ein bisschen Gewalt da und dort, als Katalysator, klar? Der Insurrektionalist braucht keine autonomen Republiken mehr, er ist selbst eine.

Irre? Irre. Aber leider handelt es sich um Irresein mit einem Ismus-Namen. Und die Geschichte lehrt, dass solche Krankheiten nicht nach ein paar Jahren von allein wieder verschwinden.

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