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Modedesignerin, Aktivistin, Autorin - Orsola de Castro

© Fashion Revolution Germany

Orsola de Castro auf der Fashion Week in Berlin: Wie eine Designerin den Mythos der Modeindustrie zerstören will

Orsola de Castro ist Co-Gründerin von „Fashion Revolution“ und „Estethica“ und Autorin des Buchs „Loved Clothes Last“, zur Fashion Week kommt sie nach Berlin. Sie hat eine Mission im Gepäck.

War da was? Ach ja, die Berliner Modewoche. Viel hängen bleiben wird wahrscheinlich nicht, obwohl wieder einmal keine Kosten und Mühen gespart wurden, aufzutrumpfen wo es nur geht: Dinner und Partys in exklusiven Restaurants oder Präsentationen vor prunkvoller Kulisse waren über die ganze Stadt verteilt.

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Trotz, oder vielleicht auch wegen der ganzen Protzerei, wurde immer mal wieder die Nachhaltigkeit thematisiert. So auch auf der offiziellen Eröffnungsfeier. Hier sprach die Vorstandsvorsitzende des „Fashion Council Germany“ Christiane Arp von „Nachhaltigkeit als Alleinstellungsmerkmal der Berliner Mode“.

Später kürte sie die Gewinner:innen eines Nachhaltigkeits-Förderpreises, den der „Fashion Council“ werbewirksam und in Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Schuhhersteller „Ugg“ ins Lebens gerufen hatte. Viel konkreter wurde es nicht.

Ästhetik und Ethik müssen kein Gegensatz sein

Zwei Tage zuvor, ein schöner Spätsommer-Samstag in Berlin-Mitte, inoffizieller Auftakt der Fashion Week. Ein leichter Wind raschelt durch die Büsche, die das „Haus der Materialiserungen“ in der Berolinastraße hinter dem Alexanderplatz, um- und überwuchern. Eine seltsame Idylle, trotz Baustellen, Gerümpel und zerfallenden Plattenbauten.

Im Vorhof des Gebäudes, dass auch abseits der Berliner Modewoche ein Zentrum für nachhaltiges Wirtschaften ist, steht ein ausrangiertes Auto-Scooter-Zelt mit rot-grünem Baldachin. Darunter sitzt eine Gruppe junger Designer:innen im bunten Plastikstuhlkreis und diskutiert im Rahmen des „Fashion Lab“, eine Veranstaltung der Organisation „Estethica“.

Sie reden über eine nachhaltige Zukunft der Mode, über die Abgründe der Modeindustrie und über umsetzbare Lösungen. Unter ihnen ist auch Orsola de Castro. Als sie das Wort ergreift, zieht sie die volle Aufmerksamkeit der versammelten Gruppe auf sich. Die 1966 in Rom geborene und seit den frühen 80ern in London lebende Modedesignerin ist eine Berühmtheit in der Szene.

Spätestens seit sie 2013, gemeinsam mit Carry Somers die gemeinnützige, global agierende Organisation „Fashion Revolution“ gründete und frühestens seit den 90ern, als sie ihr eigenes Upcycling Label “From Somewhere“ ziemlich erfolgreich führte. Sie verkaufte ihre Kreationen in den exklusivsten Boutiquen rund um den Globus und sogar Sarah Jessica Parker trug einige der Teile in der Serie „Sex and the City“.

Ein revolutionärer Akt für mehr Nachhaltigkeit

2006 gründete de Castro die „Estethica“, als Plattform für nachhaltig arbeitende Designer:innen im Kontext der London Fashion Week. „Das war ein revolutionärer Akt, nachhaltige Mode in die Mitte des Londoner Modemainstream zu platzieren“ , erzählt sie dem Tagesspiegel am Rande des „Fashion Lab“. Nach einer achtjährigen Pause soll das revolutionäre Programm nun neu aufgesetzt werden, dieses Mal in Berlin.

„Estethica“ ist ein Wortspiel, das die englischen Adjektive „esthetic“ und „ethic“ verschmilzt und genau diese Verbindung allgemein gültig machen will. „Ich habe nichts gegen die Sensation, die schöne Kleidung auslösen kann, ich liebe schöne Kleidung“, stellt de Castro fest, es gehe aber darum, den Mythos der Modeindustrie zu zerstören, einen Mythos von dem nur ein Bruchteil der Weltbevölkerung profitiere, auf Kosten vieler Menschen und der Natur.

Auf einer Ausstellung der „Estethetica“ im Rahmen der Berliner Modewoche, wird nachhaltige Mode präsentiert und aufgeklärt.

© Fashion Revolution Germany

Balenciaga verkauft gebraucht aussehende Kleidung und Accessoires für vierstellige Beträge, Burberry verbrennt Kleidung die sie nicht verkauft, in Bangladesch stürzt eine Textilfabrik ein und tötet 1135 Menschen. Ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten lebt in Armut und der Klimawandel schreitet voran. „Es gibt viele Gründe, Mode nachhaltig zu konsumieren – allein der Wille fehlt“. De Castro findet, dass sich die Modeindustrie komplett neu erfinden müsse und die Verantwortung sieht sie bei den Designer:innen und Modehäusern: „Design ist dazu da, Lösungen zu finden, nicht um Probleme zu schaffen“. Dieses Credo versucht sie auch den anwesenden Designer:innen zu vermitteln und rennt damit offene Türen ein.

Berlin und die in Berlin ansässigen Designer:innen seien besonders prädestiniert, den Wandel anzuregen: „Berlin ist nicht Mainstream, Berlins Ästhetik und Alleinstellungsmerkmal ist Nachhaltigkeit“ sagt de Castro und deutet um sich, auf die Ruinen der Plattenbauten rund um den Alexanderplatz. Sie verklärt Berlin damit zwar auf ähnliche Weise wie Christiane Arp, aber mit einer ganz anderen Intention. De Castro denkt an die Zukunft, hat Hoffnung und hält weder das eine noch das andere für selbstverständlich.

Ich selbst wäre lieber tot, als in einem Kleid von Roberto Cavalli gesehen zu werden

Orsola de Castro

Vor zehn, fünfzehn Jahren sei es noch langweilig gewesen von Nachhaltigkeit zu sprechen, die Leute hätten die Augen verdreht. Heute ist das anders: „Es langweilt niemanden mehr, wenn der Anspruch besteht, die Welt zu retten“. De Castro ist als Jurorin für zahlreiche Modewettbewerbe tätig und sie arbeitet eng mit den Studierenden der renommierten Londoner Modeschule Central Saint Martins zusammen.

Klein aber nachhaltig: So sieht sich der Mode-Nachwuchs

Keiner der Nachwuchsdesigner:innen träume noch davon, dass neue Prada zu werden, die Studierenden würden sich viel mehr mit kleineren Unternehmen identifizieren. „Sie wollen ein kleines Atelier, eine kleine Boutique auf der High Street und sie wollen nur kleinen Magen produzieren“. Sie hätten gesehen, dass die herkömmliche Art als Modedesigner zu arbeiten bedeute, dass man ausbrenne, während um einen herum die Natur in Flammen stehe.

Vom Klischee, dass Öko-Mode oft auch Öko aussieht hält sie nichts: Das war mal so, außerdem gäbe mindestens genauso viele langweilige Mode, die nicht nachhaltig ist. Letztendlich sei das Geschmacksache: „Ich kenne Frauen die tragen Kartoffelsäcke und sehen elegant aus, es geht darum wie man etwas trägt und ich selbst wäre lieber tot, als in einem Kleid von Roberto Cavalli gesehen zu werden“.

De Castro nennt sich Transformerin und meint damit, dass sie Kleidung umgestaltet. Vielleicht meint sie aber auch, dass sie die Gesellschaft oder zumindest die Modeindustrie transformieren möchte. Ginge es nach ihr, würden keine neuen Materialien mehr hergestellt werden, denn es gibt genug auf der Welt. Die Lösung ist Re- und Upcycling.

Gegen neu kaufen habe sie aber trotzdem nichts, sie liebe Mode und dazu gehöre eben auch, sich ab und an neu zu verlieben. Die Liebe muss aber nachhaltig sein, lang anhalten – aussortieren und wegschmeißen ist keine Lösung.

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