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Pierre Jorge Gonzalez wurde in Paris geboren und arbeitet bis heute als Setdesigner für Theater, Film und Ausstellungen. Judith Haase kommt aus Bremen und lebt seit ihrem Architekturstudium in Berlin.

© Robert Rieger

Mit Licht Räume bauen: Das Architektenduo Haase Gonzalez

Seit mehr als 20 Jahren gestalten Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez in Berlin Galerien und Läden. Jetzt ist ein Buch über ihre Arbeit erschienen.

Wie prägend Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez für Berlin sind, wird einem so richtig bewusst, wenn man das schwere Buch über ihre Arbeit der vergangenen zwanzig Jahre in die Hand nimmt. Galerien, Museen, Modegeschäfte, Agenturen und ein Fitnessstudio – überall in der Stadt haben sie Räume gestaltet. Haase Gonzalez AAS ist ein sehr erfahrenes Duo, das schon seit über 24 Jahren ambitionierte Projekte bearbeitet. Die Routine der beiden sieht man dem Ergebnis nicht an. Ihre Entwürfe sind als die ihren zu erkennen, wirken aber trotzdem immer neu und speziell für den Ort erdacht.

Vielleicht kommen sie einem deshalb wie Shootingstars vor und nicht wie abgehangene Profis. Vielleicht aber auch, weil sie immer noch vor allem das machen, was ihnen Spaß macht. So rümpft Gonzalez ein bisschen die Nase, als er davon spricht, dass man sie jetzt in Mailand entdeckt hat. Sie bekommen einen Auftrag nach dem anderen von Luxuslabels. Das klingt ein bisschen wie „war’s das jetzt?“. 80 Prozent ihrer Aufträge kommen inzwischen aus dem Ausland, 20 Prozent aus Deutschland.

Im Laden von Andreas Murkudis in der Potsdamer Str. 77 stellten Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez im Frühjahr 2023 ihre Objekte aus.

© Thomas Meyer

Dass das Buch (erschienen bei Hatje Cantz) noch nicht mal im Ansatz ein eitles Projekt der Selbstbeweihräucherung geworden ist, haben sie der Idee einer ihrer Auftraggeber zu verdanken. Dafür gaben sie die Kontrolle ab. Das Grafikdesignstudio Borsche aus München, dessen Räume sie auch einrichteten, ließ die Bilder von einem Computerprogramm auswählen. Die Fotos haben eigenartige Anschnitte, sind herangezoomt, zeigen Details. „Das ist super für unsere Arbeit, bei uns geht es um die kleinen Dinge“, sagt Judith Haase.

Altes Industriegebäude war der Anfang

Kennengelernt haben sich die Deutsche Judith Haase und der Franzose Pierre Jorge Gonzalez bei ihrem ersten gemeinsamen Projekt in den USA. Der Regisseur Robert Wilson ließ ein altes Industriegebäude der Western Union in Long Island, zwei Stunden entfernt von New York, zu einem Kunstzentrum mit Ateliers, Ausstellungsräumen, Bühnen- und Probe-Sälen für Tanz und Theater ausbauen. Die Architektin und der Bühnenbildner merkten schnell, dass sie gut zusammenpassen.

Für beide spielt Licht eine zentrale Rolle. Deshalb gibt es bei Ihnen sehr viel Weißraum. Sie schummeln nicht mit Farbe, sie wollen den Raum als Ganzes zur Geltung kommen lassen.

Dass sie nach ihrem ersten riesigen Auftrag von New York 2001 nach Berlin umzogen, sagt schon viel darüber aus, was sie wollten – viel Platz zum Gestalten. Berlin war eine weiße Leinwand. „Aber eben auch eine ohne Geld“, sagt Gonzalez.

In Berlin bauten sie die Galerie Nordenhake um, wo sie auf den Modehändler Andreas Murkudis trafen. Der hatte gerade in einem Hinterhof in der Münzstraße sein zweites Geschäft gemietet. Sie wollten eigentlich nur ein paar ihrer Entwürfe ausstellen, aber dann fragte Murkudis, ob sie nicht den Laden umbauen könnten. So entwarfen sie ihren ersten Shop. Er glich mehr einer Galerie als einer Verkaufsstätte. Damals war es noch recht neu, Mode wie Kunst zu präsentieren. Sie stellten einen langen blauen Tresen in den Raum und eine lange Wand, hinter der Kleidung gelagert werden konnte, alles sehr minimalistisch.

Wir entkernen erst einmal, nehmen alle Lagen weg, so sieht man die Struktur des Gebäudes.

Pierre Jorge Gonzalez

Sie ließen die alten Kacheln an der Wand, entfernten aber die oberere und untere Reihe, die wie ein Fries die Kacheln abschloss, so blieb ein abstraktes Muster übrig, das nicht mehr an eine alte Küche erinnerte. Ab da waren sie auch in der Modeszene bekannt. Dafür kam ihnen zugute, dass sie immer sehr interdisziplinär arbeiten: „Es geht nicht nur um Architektur, es geht um das Licht, die Szenografie, wie betrete ich einen Raum, wie durchstreife ich ihn“, sagt Gonzalez.

Inzwischen gilt in Berlin die Faustregel, wenn ein Geschäft gut und vor allem konsequent gestaltet ist, liegt es aller Wahrscheinlichkeit nach an Haase Gonzalez AAS.

Licht soll kein visuelles Element sein

„Wir entkernen erst einmal, nehmen alle Lagen weg, so sieht man die Struktur des Gebäudes“, sagt Gonzalez. Dann fangen sie mit dem Licht an, setzen es so ein, dass es den Raum unterstützt. Judith Haase weiß, dass das gewöhnungsbedürftig ist: „Wir verwenden mehr Licht als normalerweise, sodass der Raum in den Vordergrund tritt.“ Häufig wurden sie dafür kritisiert, dass man sich wie in einem Supermarkt fühlt. Aber diese Ästhetik sieht man heute in vielen avantgardistischen Modegeschäften. „Wir waren halt die Ersten.“

Das Geschäft von Andreas Murkudis in der Potsdamer Straße war mal die Druckerei des Tagesspiegels.

© Thomas Meyer

„Das Licht soll kein visuelles Element sein, es ist so integriert, dass man nicht die Lichtquelle wahrnimmt“, fügt Haase hinzu. Das sieht man auch in der ehemaligen Druckerei des Tagesspiegels in der Potsdamer Straße, in der heute die Ladenfläche von Andreas Murkudis untergebracht ist. Das Licht ist so gesetzt, dass man nicht die Leuchten wahrnimmt, sondern die Höhe des Raumes. In der Mitte steht eine Insel, die aus vielen sich zur Mitte hin aufbauenden Kuben besteht, die ein bisschen an ineinander geschobene Eisschollen erinnern und auf denen Schuhe, Taschen und Designgegenstände wie Objekte ausgestellt werden. So wird ein Regal zum Teil der Architektur und ist nicht nur einfach ein Möbelstück und trotz der Fülle an Kleidung kann man den Raum noch verstehen.

Jetzt stehen die beiden mit Andreas Murkudis in seinen Räumen an der Potsdamer Straße und eröffnen wieder eine Ausstellung, die noch bis zum 15. April zu sehen ist. Sie zeigen hier Möbel und Wohnzubehör, die sie für ihre Auftraggeber entworfen haben. „Objekte ohne Kontext“, sagt Pierre Jorge Gonzalez. Wie eine mehrere Meter hohe Wand zusammensteckbarer Platten aus recyceltem Plastik – leicht, aber sehr stabil. Man kann sie als Regal, Trennwand oder Bank benutzen.

Hocker aus Aluminium kann man zu einer langen Bank verbinden – unter der Sitzfläche sind schräge Spiegel angebracht, sodass das Möbelstück fast verschwindet, weil man vor allem die Spiegelung der Umgebung wahrnimmt. Auch die Lampen, die an Glasbausteine erinnern, lassen sich so hintereinander schalten, dass sie unterschiedlich hell leuchten.

Eine Bank, die sich durch den seitlich angebrachten Spiegel ins Unendliche fortzusetzen scheint.

© Thomas Meyer

Ihnen ist die Szenografie so wichtig, dass sie sich auch dieses Mal fragten: „Wie bekommen wir Hocker, Vasen, Lampen und Sideboards zusammengefasst?“ Also streuten sie silberfarbenes Konfetti auf den Boden. Das bildete vor Ausstellungseröffnung ein fein säuberlich abgezirkeltes Rechteck. Jetzt, ein paar Tage später, sieht man die Spuren, die die Gäste beim Betrachten der Objekte im ganzen Raum hinterlassen haben.

Als wir hier anfingen, gab es in Berlin überhaupt kein Geld, für alles war das Budget sehr niedrig.

Judith Haase

Wie viele Gedanken sie sich um die kleinsten Details machen, sieht man an einem Alltagsgegenstand, der normalerweise nicht in Designausstellungen gezeigt wird. Den Toilettenpapierhalter haben sie direkt im Schaufenster befestigt. Es ist eine Platte aus Aluminium mit einer schräg angebrachten Stange, sehr schlicht und sehr funktional. „Für jeden Architekten ist es ein Alptraum, diesen Gegenstand zu finden. Also haben wir ihn selbst entworfen und verwenden ihn jetzt für fast alle unsere Projekte“, sagt Haase.

Direktheit mit ganz einfachen Mitteln

Mit einfachen Mitteln Effekte zu erzielen, das haben sie in Berlin gelernt. „Als wir hier anfingen, gab es in Berlin überhaupt kein Geld, für alles war das Budget sehr niedrig“, sagt Gonzalez. Also lernten sie, daraus eine Kunst zu machen. Sie arbeiteten mit einfachen Materialien – billigem Schichtholz statt Marmor, kaschierten nichts. Zum Beispiel verkleideten sie den Berliner Laden des belgischen Designers Christian Wijnants mit silberfarbener Dämmfolie.

Den Laden von Christian Wijnants in der Potsdamer Straße entwarf das Designstudio Gonzalez Haase.

© Christian Wijnants

Diese Direktheit ist längst so schick geworden, dass auch das französische Luxushaus Balenciaga sie 2018 für den Umbau des Pariser Flagshipstores buchte. „Wir zeigen, was es ist, wir faken nichts und wir nutzen Farbe nie nur als Dekoration, die Farbe kommt vom Material selbst. Aluminium bleibt metallfarben, Leder ist hautfarben und dunkelt nach, sehr oft macht Farbe keinen wirklichen Sinn“, sagt Pierre Jorge Gonzalez.

Das Blau der Bäckerei Aera in der Torstraße lässt das Brot leuchten. Vorbild war ein Bild des Malers Vermeer.

© Thomas Meyer

Das heißt nicht, dass sie nie Farbe benutzen – sie setzen sie nur sehr gezielt ein, wie zuletzt in der Bäckerei Aera in der Torstraße. Eine Backstube in Ultramarinblau zu tauchen, erscheint erst einmal fast abschreckend. Aber mit warmen Holz- und Cremetönen wollte sich das Duo nicht zufriedengeben. Gonzalez erzählt: „Bei Vermeer gibt es eine Magd mit lapislazulifarbener Schürze, vor ihr liegt ein Laib Brot. Es ist die perfekte Kombination! Ein Brot sieht goldenen vor dem blauen Hintergrund aus.“ Die Wände sind nicht einfach blau gestrichen, der Putz und Beton wurde mit Pigmenten versetzt, sodass die Farbe tief sitzt. Der komplette Raum leuchtet blau, so vergisst man, dass es nur eine Farbe ist.

Seit sie vor vier Jahren den Pariser Flagshipstore des Luxusmodehauses Balenciaga entworfen haben, ist ihr Name international viel bekannter geworden. Der Chefdesigner Demna Gvasalia bat sie, sich ein Konzept auszudenken, dass man dann auf die anderen Geschäfte übertragen konnte. Bei Balenciaga sieht nichts nach gediegenem Luxus aus – aber dafür nach industriellem.

Sehr industriell wünscht sich der Chefdesigner von Balenciaga die Einrichtung des Pariser Flagshipstores.

© Gonzalez Haase AAS

Gvasalia gefiel die Produktion in den großen Industriehallen mit langen Tischen, auf denen Stoffe ausgerollt werden und die Kleider an langen Schienen über den Köpfen der Näher:innen durch den Raum schweben. Das spiegelt sich nicht nur in den technischen Materialien, die komplette Einrichtung wurde in ein Chrombad getaucht. Haase: „Wir haben die Proportionen in den Laden übersetzt, und einen Tisch entworfen, der schon durch seine enorme Länge Teil der Architektur wurde. Es ist der ideale Hintergrund für die farbigen Kleidungsstücke.“

Das Studio Hagius in Berlin-Mitte ist ein besonderer Ort zum Sport machen geworden.

© Thomas Meyer/OSTKREUZ

Sie wissen, dass viele Menschen ihre Arbeit für kalt, distanziert und minimalistisch halten. Aber gerade am Sportstudio Hagius, das sie für die Brüder Timothy und Nicolas Hagius in einem ehemaligen Postamt in der Torstraße entwarfen, sieht man, dass alle Elemente wie Licht, Wärme und Raum sehr austariert und vor allem sehr durchdacht sind. Die Materialien haben eine Funktion. Wie der Teppich und die Vorhänge, die Kälte abhalten, weil darunter ein Hof ist. Das Licht lässt sich den Stimmungen der verschiedenen Sportgruppen von Yoga bis zum Boxen anpassen.

Wenn Silberfolie ein wenig wie Gold aussieht

„Als man früher Gold benutzte, war es nicht nur um zu zeigen, wie reich man ist, es war vor allem um das Licht zu reflektieren“, so erklärt Gonzalez, warum sie wieder mit silberfarbener Isolierfolie gearbeitet haben. Wenn man warmes Licht darauf richtet, sieht es ein wenig wie Gold aus.

Im Flur des Sportstudios Hagius verlegte das Designduo Holz - weil es sich barfuß darauf so angenehm läuft.

© Thomas Meyer

Im Eingangsbereich und den Umkleiden wurde Holz verlegt, auch wenn es empfindlicher ist als das übliche Linoleum. „Aber barfuß ist Holz sehr schön unter den Füßen. Weil die Inhaber immer da sind und die Besucher wie Gäste empfangen, funktioniert es“, sagt Haase. So ergibt sich eine intime Atmosphäre, obwohl das Studio nicht klein ist.

Natürlich haben sie auch ihren Toilettenpapierhalter untergebracht. Sogar Sport gemacht haben sie schon bei ihren Auftraggebern, allerdings fehlten ihnen für regelmäßige Besuche die Zeit. Pierre Jorge Gonzalez zuckt mit den Schultern: „Viel zu viel Arbeit.“

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