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Streitlustig. Michael Avenatti vertritt Pornostar Stormy Daniels, die Donald Trump verklagt hat.

© AFP/Mark Ralston

Gegenspieler von Donald Trump: Michael Avenatti: Der Furchtlose

Sein Motto: Feuer mit Feuer bekämpfen. Kann er der nächste US-Präsident werden? Der Anwalt Michael Avenatti macht sich bereit.

Da sitzt der Mann, den seine Fans für gottgesandt halten. Weil Michael Avenatti für sie die Demokratie retten soll. Im perfekt passenden dunkelblauen Anzug versinkt er fast in seinem Ohrensessel, vertieft in ein Gespräch in der „Living Room Bar“ im Luxushotel Park Hyatt in Manhattan. Endlich steht der 47-jährige Anwalt auf, bringt seinen Gesprächspartner zum Aufzug. Nun ist er bereit, alle Fragen zu beantworten. Zu Pornostar Stormy Daniels, die US-Präsident Donald Trump verklagt hat und die er vor Gericht vertritt. Und zu seiner eigenen Aussage, „ernsthaft zu erwägen“, für die Demokraten im Jahr 2020 gegen Präsident Donald Trump kandidieren zu wollen.

Er setzt sich, schlägt die Beine übereinander, wirkt angespannt. „Fangen wir an. Ich habe nicht viel Zeit, sorry.“ Nach der ersten Frage wird er unruhig, nach der zweiten steht er auf. „Dafür brauchen wir mehr Zeit. Melden Sie sich morgen, wir finden einen anderen Termin, versprochen. Aber jetzt muss ich wirklich dringend gehen.“ Er dreht sich um und eilt zum Fahrstuhl.

Seit er sich selbst als Kandidat ins Spiel gebracht hat, ist Michael Avenatti ein gefragter Gesprächspartner. „Wir müssen Feuer mit Feuer bekämpfen“, lautet einer der Sprüche, mit denen er die Demokraten aufrütteln möchte. Er wirft der Partei vor, zu nett und zurückhaltend zu sein. Eine andere Aussage – „When they go low, we hit harder“ (Wenn sie sich schlecht benehmen, müssen wir noch härter zuschlagen) – soll ihn bewusst absetzen von Michelle Obama. Die ehemalige First Lady wurde 2016 in Hillary Clintons Wahlkampf gefeiert für ihren Satz „When they go low, we go high“ (Wenn sie sich schlecht benehmen, benehmen wir uns umso besser). Avenatti ist überzeugt: Das war sympathisch, aber schwach. Seine Strategie ist ein andere. Um Trump zu schlagen, braucht es einen Trump.

In Texas plant er eine große Protestaktion

Der Jurist mit Kanzlei in Newport Beach, Kalifornien, zweimal geschieden, keine Kinder, ist den meisten Amerikanern vor allem als Anwalt von Stormy Daniels bekannt. Oder als „Skandalanwalt“, wie ihn rechte Medien nennen. Sein Ziel ist, den Präsidenten direkt zu attackieren. Gerade erst hat er Trumps Ansage gekontert, im Oktober für den in Umfragen schwächelnden republikanischen Senator Ted Cruz Wahlkampf machen zu wollen – „im größten Stadion, das wir in Texas finden können“. Avenatti kündigte an, er werde eine „Resistance Rally“ in Texas „zu exakt demselben Zeitpunkt“ veranstalten. Eine große Protestaktion unter dem Motto: „Don’t mess with America.“ Leg’ dich nicht mit Amerika an.

Offiziell hat bisher nur der Kongressabgeordnete John K. Delaney aus Maryland seine Präsidentschaftskandidatur angemeldet. Von anderen Demokraten ist bekannt, dass sie darüber nachdenken, so etwa Barack Obamas Vizepräsident Joe Biden. Dabei beginnen die parteiinternen Vorwahlen Anfang 2020, der Nominierungsparteitag ist im Sommer desselben Jahres, die Wahl am 3. November. Gegen Biden mit seiner langjährigen Erfahrung sieht Avenatti wie ein Anfänger aus.

Hat Trumps Wahlsieg die Regeln der US-Politik dauerhaft außer Kraft gesetzt? Etwa jene, die besagt, dass ein Kandidat über ernsthafte politische Erfahrung verfügen muss, am besten in einem Amt als Senator oder Gouverneur. Trump hatte das nicht, Avenatti hat das auch nicht.

Für sein Hobby Autorennen hat er im Moment keine Zeit

Donald Trump war allerdings schon vor seiner Kandidatur berühmt, Avenatti kannte bis vor Kurzem kaum ein Amerikaner. Das hat sich geändert. Für seine Leidenschaft, Autorennen zu fahren, hat er im Moment keine Zeit. Avenatti ist so viel beschäftigt, dass der Versuch, ein Interview mit ihm zu führen, einem Hindernislauf ähnelt. Dabei liebt er die Medien und lässt kein Mikrofon aus. Auf Anfragen antwortet er direkt, oft innerhalb von Minuten, per SMS oder Twitter-Direktnachricht. Manchmal reagiert er aber auch tagelang nicht. Sein Handy meldet fast immer: Mailbox voll.

Am Tag nach dem Treffen mit Avenatti ist klar, warum er so schnell weg musste. Trumps Ex-Anwalt Michael Cohen hat ausgesagt, dass er Avenattis Klientin Daniels „im Auftrag“ des Präsidenten Schweigegeld in Höhe von 130.000 Dollar bezahlt habe. Dass dies vor allem geschehen sei, um auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl Einfluss zu nehmen. Ein schlechter Tag für Trump. Und ein Punktsieg für Avenatti. Monatelang hatten Trump und Cohen unterschiedliche Antworten auf die Frage, wofür die Stripperin Geld von dem damaligen Präsidentschaftskandidaten bekommen hatte. Trump bestritt, davon gewusst zu haben, und auch, vor mehr als zehn Jahren eine Affäre mit Daniels gehabt zu haben.

Als Avenatti Daniels’ Fall im Februar übernahm, war Trump bereits Präsident. Einer, den er „wegen fehlender Moral, Mitgefühl, Intelligenz und mangelndem Respekt vor dem Amt und dem Land“ ablehnt, den er aber mit genau den Waffen schlagen möchte, die dieser anwendet. Er twittert in ähnlicher Frequenz und Tonlage wie Trump. Mehrmals am Tag, klare Ansagen, manche in Großbuchstaben. Häufig enden Tweets mit #Basta. Er gibt sich rauflustig, zumindest rhetorisch. Trumps Anwalt Rudolph Giuliani nennt er ein „Schwein“, Cohen einen „Trottel“, eine Wortwahl, die man eher von Trumps Tiraden kennt.

20 teure Anzüge, edle Krawatten

Avenatti ist eitel und spricht auch darüber, zum Beispiel mit dem Lifestyle-Magazin „Vanity Fair“. Da steht, dass Avenatti, der mit seinem fast kahlrasierten Kopf, den hohen Wangenknochen und den blauen Augen aussehe wie ein „GQ-Model“, um die 20 sehr teure Anzüge des Designers Tom Ford besitzt, dazu Brioni-Krawatten und Louis-Vuitton-Aktenkoffer. Dass er zweimal am Tag Feuchtigkeitscreme benutzt. Und er lässt sich mit der Aussage zitieren: „Ich war immer der Meinung, dass die Art, wie man aussieht, gut oder schlecht, als Spiegel der eigenen Fähigkeiten angesehen wird. Ästhetik ist entscheidend.“

Seine politischen Standpunkte hat er per Twitter veröffentlicht, er gibt sich moderat, nicht revolutionär. Er kommt an bei der Basis, vor allem bei denen, die die Lügen und Unverschämtheiten des Präsidenten nicht mehr ertragen. Sie wollen Vergeltung. Da kommt ein Aufpeitscher wie Avenatti gerade recht. Dass der zwei Scheidungen hinter sich hat und mit seiner Kanzlei ein Insolvenzverfahren – geschenkt. Immerhin ist das bei Trump ja alles noch viel schlimmer.

Wann genau ihm der Gedanke kam, das höchste Staatsamt anzustreben? Vielleicht bei Fernsehauftritten wie bei „Real Time“ im April, einen Monat, nachdem er eine Zivilklage gegen Trump eingereicht hatte, um Daniels’ Schweigeabkommen anzufechten. Moderator Bill Maher kündigt „Trumps schlimmsten Albtraum“ an, die Zuschauer johlen und klatschen wie verrückt. Avenatti lacht und setzt sich. Als sich das Publikum gar nicht wieder einkriegen will, salutiert er. Eine derartige Begeisterung hat er wohl selbst noch nicht erlebt. Maher auch nicht: „Ich möchte das festhalten: Ein Anwalt bekommt stehende Ovationen.“ Der Moderator sagt, Avenatti sei so etwas wie ein Volksheld, wahrscheinlich könne er sich auf der Straße gar nicht mehr frei bewegen. „Warten Sie mal ab, wie das sein wird, wenn wir in den kommenden Monaten wirklich etwas erreichen“, antwortet Avenatti, sein Lächeln wird noch breiter.

Die Kameras lieben ihn

Anders als Trump ist Avenatti abseits von Twitter äußerst eloquent – eine Gabe, die nicht nur im Gerichtssaal von Nutzen ist. Gerne verweist er darauf, dass seine Eltern noch nicht einmal ein College besucht haben, er sein Jura-Examen an der George-Washington-Universität in DC aber als Klassenbester abgeschlossen habe. Eine Weile dachte er darüber nach, seine eigene TV-Show zu starten, er weiß, dass die Kameras ihn lieben. Jetzt hat er den Fall Daniels zu seiner Show gemacht.

Auch vor Stormy Daniels’ Klage gegen Trump hatte Avenatti keine Scheu, sich mit Mächtigen anzulegen. So vertrat er erfolgreich große Sammelklagen, etwa gegen einen Hersteller von OP-Mänteln, der nicht darauf hingewiesen hatte, dass die Mäntel nicht vor HIV- und Ebola-Viren schützten, für die Geschädigten erstritt er 450 Millionen Dollar Schadenersatz.

Inzwischen hat er seine eigene Lobbygruppe gegründet, das „Fight PAC“. Damit will er seine Werbetour durchs Land finanzieren, die vielleicht bald schon in einen wirklichen Wahlkampf mündet.

Wo er Kritik hört, schlägt er zurück

Nicht jedem in der Partei gefällt das, er sei zu laut und politisch unerfahren. Aber wo Avenatti Kritik hört, schlägt er voll zurück: Das Problem der Demokraten sei nicht zu viel Medienaufmerksamkeit, im Gegenteil. Den Vorwurf mangelnder Erfahrung wischt er mit dem Argument beiseite, zwischen 1990 und 1997 an mehr als 150 Wahlkämpfen in 42 Staaten mitgearbeitet zu haben, unter anderem bei Joe Bidens Senatskampagne.

Bereits 2004 hatte sich Avenatti mit Trump angelegt. Damals verklagte der Anwalt Trump und den Produzenten Mark Burnett. Der Vorwurf: Sie hätten seinem Klienten das Konzept von „The Apprentice“ gestohlen, eine Sendung, die Trump einem breiten Fernsehpublikum bekannt machte. Die Auseinandersetzung endete mit einem Vergleich.

Nun sucht Michael Avenatti jede Gelegenheit, sich mit Trump zu messen. So vertritt er dutzende Kinder und Eltern, die aufgrund der rigiden Einwanderungspolitik des Präsidenten an der Grenze zu Mexiko voneinander getrennt wurden. Mitte August brachte er persönlich und auf eigene Kosten einen neunjährigen Jungen zu seiner Mutter nach Guatemala, dokumentierte alles auf Twitter. Seit er Stormy Daniels vertritt, ist die Zahl seiner Follower dort rasant gestiegen: Waren es noch im Februar gerade mal 500, sind es inzwischen mehr als 700.000. Andererseits: Donald Trump folgen weltweit mehr als 54 Millionen Menschen.

Vielleicht auch deshalb reagiert Trump bisher kaum auf die Provokationen des Anwalts. Möglicherweise wird es sich der Präsident aber bald nicht mehr leisten können, Michael Avenatti zu ignorieren.

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