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Einschnitt. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sich Ende 2016 den Magen verkleinern lassen. Hier ein Foto vom März 2016.

© AFP

OP gegen Fettsucht: Mehr Magenverkleinerungen, bitte!

Ein dickes Tabu: SPD-Chef Gabriel hat sich den Magen verkleinern lassen - offiziell, weil er zuckerkrank ist. Denn starkes Übergewicht gilt als Charakterschwäche.

Dicksein gilt als Charakterschwäche, als Zeichen für Zügellosigkeit und Trägheit. Mehr durch Zufall kam kurz vor Weihnachten ans Tageslicht, dass sich der beleibte SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel den Magen hatte verkleinern lassen. Offiziell natürlich wegen seiner Zuckerkrankheit (Diabetes), nicht wegen des massiven Übergewichts, über das geflissentlich eher nicht gesprochen wurde. Diabetes ist eben ein guter medizinischer Grund, Fettsucht dagegen ein persönliches Versagen, auf jeden Fall aber kein Grund zur Operation.

Stimmt das? Natürlich nicht. So richtig und klug vermutlich die Entscheidung Gabriels war, sich unters Messer zu legen, so schön wäre es gewesen, er hätte sich öffentlich zu seinem Schritt bekannt. Starkes Übergewicht, Adipositas genannt, ist zu einem wesentlichen Teil Veranlagung und häufig ein schwerwiegendes medizinisches Problem. Krankhaftes Übergewicht gehört nicht in die Sphäre moralischer Urteile nach dem Motto „Selbst schuld!“. Leider wird das in Deutschland noch immer nicht genügend anerkannt.

Es wird zu wenig operiert - und zu spät

„Wir operieren zu spät und zu wenig“, sagt der Chirurg Jürgen Ordemann, Leiter des Adipositas-Zentrums am Helios-Klinikum in Berlin-Buch. Vor jeder Operation müssen bürokratische Hürden überwunden werden. Die Magenverkleinerung gilt als letzte Maßnahme und muss gut begründet werden. Medizin, Krankenkassen und Politik lernen nur allmählich um. Dabei ist die Bilanz der Adipositas-Chirurgie auch langfristig überzeugend (und damit kostensparend), wie eine Reihe von Untersuchungen belegen.

Ein Jahr nach der OP ist gewichtsmäßig der Tiefpunkt erreicht. Danach geht es wieder aufwärts, doch bleibt das Gewicht meist deutlich unter dem früheren. Das liegt daran, dass der „Gewichts-Thermostat“ nach unten korrigiert wird, wie Ordemann erklärt. Hat der Organismus vorher ein bestimmtes (viel zu hohes) Körpergewicht angestrebt, wird durch den Magen-Bypass auch der Hormonstoffwechsel verändert und der Thermostat neu eingestellt. Fortan ist der Körper schon mit einer geringeren „Temperatur“ – sprich: Gewicht – zufrieden.

Fettsucht raubt auch die Lust am Leben

Starke Fettsucht – wir reden hier nicht von ein paar Pölsterchen – setzt den Gelenken zu und steigert drastisch das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck, zu hohes Cholesterin, weibliche Unfruchtbarkeit, Schlafapnoe und im Gefolge für viele weitere Leiden. Nicht zuletzt raubt sie die Lust am Leben. Nach der Magenverkleinerung purzeln nicht nur die Pfunde. Auch die in Mitleidenschaft gezogenen Körperfunktionen normalisieren oder verbessern sich in vielen Fällen.

Am schnellsten ist das beim Blutzucker der Fall. Nach einem Magen-Bypass verschwindet der Diabetes oft bereits innerhalb weniger Tage. Gabriel wird „den Zucker“ vielleicht schon in der Klinik losgeworden sein. In den nächsten Monaten werden wir pünktlich zur Bundestagswahl einen verschlankten und energiegeladenen Wirtschaftsminister erleben, der Chirurgie sei dank.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels und schreibt an dieser Stelle alle vier Wochen. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht? Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

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