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Dmitri Muratow, Chefredakteur der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta

© dpa

Zensur in Russland: Das verbotene Wort

Der „Nowaja Gaseta“ droht das Aus durch die russische Zensurbehörde.

„Es gibt eine gute Nachricht“, twitterte die Redaktion der Moskauer „Nowaja Gaseta“ in diesen Tagen sarkastisch. „Das Wort ,Frieden‘ haben sie noch nicht verboten.“ Sie, das ist die Kremlführung unter Präsident Wladimir Putin. Und das ist ganz konkret die russische Zensurbehörde Roskomnadsor.

Die hat andere Worte bereits verboten. Medien, die Putins Überfall auf die Ukraine einen „Krieg“ nennen oder eine „Aggression“ oder eine „Invasion“, droht die Liquidierung durch ein Gerichtsurteil oder gigantische Geldstrafen – was auf das Gleiche hinausläuft.

Den TV-Sender Doshd, die einzige unabhängige Fernsehstation, hat Roskomnadsor bereits sperren lassen. Der Chefredakteur Tichon Dzyadko musste am Mittwoch ins Ausland fliehen, mit ihm verließen eine Reihe von Redakteuren Russland. Dzyadko schreibt, er habe Russland „vorübergehend“ verlassen. Doch er wird wissen, dass dieses „vorübergehend“ wohl bis zum Ende der Herrschaft Putins dauern kann.

Alexej Wenediktow, der hoch angesehene Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskwy, erklärte am Donnerstag, die Mehrheit der Gesellschafter habe entschieden, das Unternehmen mitsamt seiner Online-Auftritte zu liquidieren. Zwei Drittel der Aktien gehören der Gazprom Media Holding, einer Tochter der Gazprom Bank.

Der 66-jährige Wenediktow war jedoch immer darauf bedacht, bei aller Ambivalenz und manchem Lavieren in seinem Sender journalistisches Ethos aufrechtzuerhalten. Auch Echo Moskwy war auf Betreiben der Zensoren bereits blockiert worden. Anders als Dzyadko will Wenediktow in Russland bleiben und irgendwie journalistisch weiterarbeiten.

Auch vor der „Nowaja Gaseta“ stand nach dem Kriegsausbruch die Frage: Wie weiter? Chefredakteur Dmitri Muratow nahm ein Video auf. „Wir alle haben uns heute sehr früh im Büro der Chefredaktion versammelt. Wir trauern“, beginnt er seine Ansprache.

„Unser Land hat auf Befehl von Präsident Putin einen Krieg mit der Ukraine begonnen. Es gibt niemanden, der diesen Krieg stoppt. Deshalb sind wir zugleich traurig und voller Scham.“ Der Oberkommandierende halte den Knopf für die Atomwaffen in der Hand wie einen Autoschlüssel, erklärt Muratow zornig. Anders könne er die Worte des Präsidenten nicht verstehen.

Dieser Moment könnte bald gekommen sein

Er endet mit einem dramatischen Appell an seine Landsleute: „Nur eine Antikriegsbewegung der russischen Bürger kann das Leben auf dieser Erde retten.“

Der 59-jährige Muratow hat im vergangenen Herbst den Friedensnobelpreis erhalten. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte ihm damals – wohl zähneknirschend – zur Auszeichnung gratuliert. „Er ist talentiert, er ist mutig“, sagte Peskow. Sein Chef Putin stellte kurz darauf sinngemäß klar, wenn Muratow russische Gesetze verletze, dann werde ihn auch sein Nobelpreis nicht schützen. Dieser Moment könnte bald gekommen sein.

Muratow hat die „Nowaja Gaseta“ 1993 mitbegründet und steht für den unabhängigen Journalismus, der sich trotz permanenten Drucks nicht vom Kreml vereinnahmen ließ. Den Nobelpreis widmete der Chefredakteur seinen Kollegen der „Nowaja Gaseta“, die ermordet worden sind. Diese sechs Journalisten hätten „heute den Nobelpreis erhalten“, schrieb er im Herbst auf seiner Website.

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Die bekannteste unter ihnen ist Anna Politkowskaja, die vor 15 Jahren vor ihrer Moskauer Wohnung von einem Attentäter getötet wurde. Sie hatte für die Zeitung über den zweiten Tschetschenien-Krieg berichtet und dabei wiederholt Verbrechen der russischen Armee und der tschetschenischen Miliz des regionalen Machthabers und Massenmörders Ramsan Kadyrow berichtet. Dessen Killermilizen sind nun auch in der Ukraine im Einsatz.

Die Journalisten der „Nowaja Gaseta“ berichten jetzt mit den gleichen journalistischen Maßstäben. Ganz oben auf der Website steht jeden Tag eine rote Zeile: „Über die Arbeit in Kriegszeiten“. Die Zeile allein kann den Redakteuren schon gefährlich werden. Sie enthält das verbotene Wort „Krieg“.

Gerade ist in das russische Parlament ein Gesetz eingebracht worden, das jedem bis zu 15 Jahren Lagerhaft androht, der „Fake News“ über die Invasion in der Ukraine verbreitet. Für die russische Medienlandschaft gelten längst orwellsche Gesetze: Fake ist, was wahr ist.

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