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Griechisch für Anfänger. Eine Talkshow ohne den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach ist eigentlich möglich, für das Fernsehen offenbar aber unmöglich.

© imago/Metodi Popow

Griechenland-Talkshows im TV: Wir haben Macht!

Schon erstaunlich, selbst der x-te Griechen-Talk findet sein Publikum – weil es um die Selbstverständigung der Deutschen geht.

Für den Talkshow-Redakteur sind außenpolitische Themen normalerweise ein Horror. Relevant mögen sie ja sein, aber interessieren tun sie die Zuschauer nicht. Ganz anders läuft das bei den Griechen-Talks. Egal ob „Athen gegen Europa – Sind die Griechen noch zu retten?“ (Maybrit Illner), „Der Euro-Schreck – Wohin führt die Griechen-Wut?“ (Günther Jauch), „Griechen-Poker im Bürgercheck – Ist das unser Europa?“ (Frank Plasberg) oder: „Finale in Brüssel – letzter Akt im griechischen Drama?“ (Anne Will) – Woche für Woche fahren die Griechen-Talks selbst in der x-ten Auflage überraschend gute Quoten ein. Das Reden über die Krise scheint also viele zu interessieren. Die einfallsreichen Titeldichter verwenden zwar vielfältige Begriffe wie „Trotzwahl“, „Schuldenpoker“, „Staatsbankrott“, „Machtprobe“, „Abgrund“ und natürlich „Schicksal“, nutzen auch jeweils unterschiedliche aktuelle Aufhänger, können aber trotzdem kaum darüber hinwegtäuschen, dass sich die Argumente und verbalen Frontstellungen im Wesentlichen gleichen, ja sogar wiederholen.

Redundanzen gehören zum Programm

Schon Neil Postman wusste: Das Fernsehen kennt kein Curriculum. Es kann nicht in der zweiten Sendung auf dem aufbauen, was in Stunde eins bereits gelernt wurde. Es geht immer wieder von vorne los, Redundanzen gehören zum Programm. Umso erstaunlicher ist das anhaltende Interesse.

Da streiten strenge Protestanten, die auf das Einhalten von europäischen Regelwerken pochen mit freundlichen Laissez-faire-Deutschen, die auch den anderen von Herzen wirtschaftlichen Wohlstand gönnen. Egoisten, die den Blick starr auf das deutsche Portemonnaie richten, treffen auf Altruisten, die mit dem eigenem Reichtum großzügig hantieren möchten. Der eine spricht von ökonomischen Gesetzen, als seien sie Knebel, der andere will den Geist der vereinigten Staaten von Europa frei wehen lassen. Für Ökonomen ist ein „Grexit“ logisch, für europäische Visionäre das Ende aller Utopien. Die Vertreter der schwarzen Pädagogik stellen den Griechen Stundungen oder Kreditverlängerungen als Lohn für bewältigte „Hausaufgaben“ in Aussicht, die anderen wollen lieber schnell als später einen „Haircut“, der den Griechen wie ein Vorschuss Wind unter die Flügel zum Aufschwung bringen soll. Dass „Reformen“ mit Härten verbunden ist, gilt inzwischen als Allgemeingut. Und unhinterfragt bleibt auch die „Wettbewerbsfähigkeit“, die die Griechen angeblich aus eigener Kraft herbeizuführen lernen müssen. Oder handelt es sich doch in erster Linie um „Kaufkraft“, die der Exportweltmeister auch für Hellas wieder herbeisehnt?

Wolfgang Bosbach ist Dauer-Gast

Die Talkshow-Diskutanten bilden bei diesem Schlagabtausch eine kleine Welt für sich. Es sind wenige, die sich in immer wieder ähnelnden Familienaufstellungen befehden. Da sind die strengen Ökonomen Hans-Werner Sinn, Max Otte oder Rainer Hank. Wer auf Quote aus ist, nimmt Anja Kohl in die Runde, die bekannte Börsenberichterstatterin der ARD. Wem es auf Kompetenz ankommt, lädt Silvia Wadhwa von CNBC Europe ein. Gerne mitmachen dürfen „Europäer“ wie Elmar Brok (CDU) oder Günter Verheugen (SPD). Wer es etwas visionärer liebt, lässt stattdessen Gesine Schwan oder Daniel Cohn-Bendit disputieren. Griechen machen sich gut.

In deutschen Talkshows sitzen meist laute Syriza-Vertreter. Unabhängige Intellektuelle – wie Christos Lazos, der auf Arte klug diskutiert – scheint es nicht zu geben. Unternehmer kommen so wenig vor wie in der operativen Politik tätige Politiker. Weder Angela Merkel noch Wolfgang Schäuble oder der Chef des europäischen Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, lassen sich in Talkshows blicken. Allenfalls Markus Söder (CSU), Volker Kauder (CDU) oder Peter Altmaier (CDU) reden mal mit, während Wolfgang Bosbach (CDU) das nahezu ununterbrochen tut.

Untermalt werden deren Diskurse mit einigen Daten, Grafiken, Erklärstücken und wechselnden O-Tönen, in denen Griechen ihre Empörung oder Erleichterung kundtun. Dazu gibt es Bilder von Schlangen vor Kassenautomaten in Athen oder von Verhandlungen in Brüssel. Interessant ist, dass diese Empirie fast durch die Bank karg ausfällt. Selbst eine Antwort auf die einfache Frage, wie es denn nun aussieht, das ominöse griechische Rentensystem, und wie Rente und Krankenversicherung zusammenhängen, sucht man besser in der Zeitung als im Fernsehen.

Eine noch geringere Rolle als die konkrete Lage der Griechen spielt das Verständnis von deren Geschichte. Das „Oxi“, das Nein zu Mussolinis Durchmarschplänen wurde zwar mal zitiert, aber welche Informationen gab es zum Bürgerkrieg, der bis 1949 dauerte, zur Junta von 1967 bis 1974, zu Grigoris Lambrakis, zum Polytechnikum – mit einem Wort zu jenen geschichtlichen Erfahrungen, die womöglich verantwortlich sind für eine griechische Mentalität, die uns fremd geblieben ist?

Anfangs gab es viel Küchenpsychologie

Stattdessen gab es anfangs sehr viel Küchenpsychologie zu dem provozierenden Faszinosum (und Finanzminister) Yanis Varoufakis. Bei Ministerpräsident Alexis Tsipras wurde sie mit der Hoffnung verknüpft, er könne doch noch zu einem Sozialdemokraten reifen, der dann wieder in unser vertrautes WahrnehmungsSchema passt. Alexis Tsipras brauchte das „Oxi“ des Referendums, um dann als Widerständler „Ja“ zu den Brüsseler Vorschlägen sagen zu können und nicht als Unterworfener. Diese einfache politische Dialektik wurde nie erklärt, sondern nur als absoluter Widerspruch zwischen Versprechen und Handeln dargestellt.

Falsch waren fast durch die Bank die TV-Analysen der politischen Kräftekonstellationen in Griechenland. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen gebe es im Referendum, womöglich könne es zum Sieg der „Ja“-Sager reichen, tönte es in ARD-„Brennpunkten“ wie in Talks. Alexis Tsipras, der tatsächlich gerade dabei war, die Opposition zu zerbröseln, könne – so hieß es – sich womöglich selbst ein Bein stellen und die Macht verlieren.

Griechenland war nur der Katalysator dieser selbstbezüglichen Debatte

Das alles spricht dafür, dass es bei dem großen, Wochen und Monate andauernden Griechen-Talk im Wesentlichen gar nicht um die Griechen ging. Auch um die Zukunft Europas ging es zwar immer mal wieder, aber nicht hauptsächlich. Was da in immer neuen Volten. Schleifen und Wiederholungen, mit Redundanzen und in wiederkehrender argumentativer Konstellation erörtert wurde – mal auf Stammtischniveau und mal wie in einem Proseminar der Volkswirtschaftslehre – ist in Wirklichkeit nichts als eine große Selbstverständigung der Deutschen.

Wer sind wir und wie wären wir gerne? Darum ging es. Griechenland war nur der Katalysator dieser selbstbezüglichen Debatte. Darum war und ist sie so interessant. Nicht Griechenland, der Wohlstand oder die Demokratie dieses Landes, die Geschichte oder Mentalität dieses Volkes sind so brennend interessant, sondern es ist unser Spiegelbild.

Wir haben Macht!

Durch die Griechenland-Krise wurde gewahr, dass es neue Züge bekommen hat. Die einen finden es fast beängstigend, wie sehr wir Deutschen es in der Hand haben, als Zuchtmeister Europas agieren zu können. Andere – wie Daniel Cohn-Bendit – würden es lieber sehen, wir machten uns an große Entwürfe für ganz Europa, inklusive Energiewende, Sozialverfassung, Abrüstung und Offenheit gegenüber den Migrantenströmen. Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank erkennt gerade darin bevormundende Arroganz. Andere würden sich gerne wegducken, wären vielleicht lieber Finnen, wäre deren Finanzminister nicht gerade besonders streng, oder Italiener, mit denen es wieder bergauf geht, die dennoch zu leben und zu genießen verstehen. Das Neue jedenfalls, das uns die Griechisch-Lektionen beibringen, ist so simpel wie dramatisch: Wir haben Macht!

Deutschland ist in Europa so stark wie lange nicht. Wir alle spüren das plötzlich und müssen entscheiden, wie wir mit dieser Macht umzugehen gedenken. Ein selbstkritischer Blick in den Spiegel, der uns zeigt, dass wir uns so sehr für die anderen wohl doch nicht interessieren und im Zweifel, müssten wir entscheiden zwischen Demokratie und Wohlstand, eher Letzteren erhalten wollten, kann da ganz lehrreich sein. Dabei hilft diesmal ein wenig sogar das Fernsehen.

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