zum Hauptinhalt
Werden Flüchtlinge, die via Bosnien nach Kroatien kommen, illegal mit sogenannten Pushbacks zurückgewiesen? Das wollte Tagesspiegel-Reporter Sebastian Leber herausfinden, als er von der kroatischen Polizei verhaftet wurde. Das abgebildete Foto entstand im Dezember 2020.

© Dado Ruvic/Reuters

Reporter ohne Grenzen über die Verhaftung eines Tagesspiegel-Reporters in Kroatien: „Wir brauchen mutige Berichterstattung“

Christian Mihr über die Verhaftung von Sebastian Leber, Behördenwillkür gegenüber Journalisten und warum die Öffentlichkeit erfahren muss, was an den EU-Außengrenzen passiert.

Herr Mihr, wie bewerten Sie die Verhaftung von Tagesspiegel-Reporter Sebastian Leber, der über die Zurückweisungen von Flüchtlingen an der bosnisch-kroatischen Grenze berichten wollte, durch die kroatische Polizei?
Reporter ohne Grenzen kritisieren die Festnahme von Sebastian Leber durch die kroatische Polizei und die zunächst gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe scharf. Zugleich freuen wir uns, dass die Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht die Vorwürfe und die Rhetorik der Polizei aufgenommen hat. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, was an den EU-Außengrenzen passiert und ob es zu illegalen Pushbacks von Flüchtenden durch die Behörden kommt.

Hätte die kroatische Polizei vor Ort nicht mit der Reaktion der Justiz rechnen müssen?
Natürlich haben die Behörden so gut wie kein Interesse daran, Journalistinnen und Journalisten in den Grenzregionen unabhängig arbeiten zu lassen. Wenn wir nicht zulassen wollen, dass die Behörden in der Dunkelheit dieser Zone mit den Flüchtenden umgehen können, wie sie möchten, brauchen wir kritische und mutige Berichterstattung von dort.

"Im Vergleich zu den restlichen Ländern der Europäischen Union steht Kroatien schlecht da"

Kroatien steht auf Rang 56 von 180 Ländern der Rangliste der Pressefreiheit in der Welt. Was bedeutet diese Zahl in der Praxis?
Rang 56 klingt bei 180 untersuchten Ländern zunächst nach solidem Mittelfeld, aber: Kroatien ist ein EU-Land, im Vergleich zu den restlichen Ländern der Europäischen Union steht das Land schlecht da. Wir legen an alle Länder die gleichen kritischen Maßstäbe an, aber Kroatien hat sich mit der EU-Mitgliedschaft zur Achtung von Werten wie der Pressefreiheit verpflichtet. In Kroatien sehen wir an vielen Stellen Verbesserungsbedarf.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Mit Blick auf die Arbeitsbedingungen von Journalisten: Was unterscheidet Kroatien von anderen Ländern in der Region?
Hetze und Aggressionen gegen Journalistinnen und Journalisten sind im vielen Ländern des Balkans verbreitet. Häufig beteiligen sich auch Politikerinnen und Politiker an diesen Diffamierungen, vor allem, wenn Korruptionsvorwürfe recherchiert werden. Auch in Kroatien beobachten wir Attacken und Übergriffe, etwa auf Demonstrationen, und Drohungen im digitalen Raum, bis hin zu leider sehr ernstzunehmenden Todesdrohungen. Ein anderes, europaweites und auch kroatisches Problem ist das der strategischen Klagen gegen einzelne Medienschaffende und ganze Redaktionen.

Wer steht hinter diesen strategischen Klagen?
Einflussreiche Geschäftsleute, Politikerinnen und Politiker versuchen mittels massenhafter rechtsmissbräuchlicher Zivilklagen, Medienschaffende systematisch von ihrer Arbeit abzuhalten oder zu zermürben. Denn diese Klagen werden meist mangels Grundlage abgewiesen, bringen aber für die Gegenseite einen hohen Kosten- und Zeitaufwand mit sich.

Wie sieht die Gesetzeslage aus?
In Kroatien stehen bestimmte, als „erniedrigend“ eingestufte Medieninhalte seit 2013 unter Strafe. So eine Formulierung ist aus unserer Sicht viel zu willkürlich. Glücklicherweise haben die Gerichte in der Vergangenheit mehrfach für die angeklagten Medienschaffenden entschieden.

Christian Mihr ist Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (ROG) Deutschland.

© Martin von den Driesch/ROG

Vor einigen Jahren wurde verstärkt über Morddrohungen gegen Journalisten und Journalistinnen in Kroatien berichtet. Inzwischen scheint sich die Situation etwas gebessert zu haben. Kroatien hat sich in der Rangliste seit 2017 um über 20 Positionen verbessert. Oder täuscht das?

Leider täuscht das. Die traurige Hochphase der Morddrohungen im Jahr 2017 ist vielleicht vorbei, aber es kommt weiter zu solchen ernstzunehmenden Drohungen, zuletzt gegen den Schriftsteller und Journalisten Boris Dežulovic.

Was empfehlen Sie Journalisten, die nach Kroatien reisen, um über die Situation an der bosnisch-kroatischen Grenze zu berichten?
Wichtig ist der Rückhalt der Redaktionen. Es kommt durchaus vor, dass die Redaktionen solche Recherchen vor allem von freien Journalistinnen und Journalisten nur zu gerne nehmen, aber nicht so genau danach fragen, wie sie entstanden sind. Es braucht im Vorfeld eine gemeinsame Sicherheitsabwägung. Nicht alles, was dann vor Ort geschieht, ist vorhersehbar, aber es hilft, mögliche Szenarien durchzugehen.

"Wir brauchen mehr Berichterstattung über mögliche illegale Pushbacks"

In Polen werden Journalisten davon abgehalten, aus der Grenzregion zu Belarus berichten. Ist das die gleiche Situation, oder wo liegen die Unterschiede?
Aus beiden Ländern brauchen wir mehr Berichterstattung über die Situation der Flüchtenden und über mögliche illegale Pushbacks. Im Grenzgebiet zu Belarus hat die polnische Regierung im gesamten, 418 Kilometer langen Grenzverlauf eine zwei bis drei Kilometer breite Sperrzone eingerichtet. Der dort geltende Ausnahmezustand verbietet es Journalistinnen und Reportern, die Zone zu betreten.

Was heißt das im direkten Vergleich der beiden Länder?
An der polnisch-belarussischen Grenze an überprüfbare Informationen zu kommen, ist schwieriger als es in Kroatien der Fall ist. Es gibt allerdings in Polen auch schon Berichte von Übergriffen auf Reporter außerhalb der Sperrzone.

Welche Möglichkeiten hat die deutsche Politik, sich in Ländern wie Polen, Ungarn und Kroatien für die Einhaltung der Pressefreiheit einzusetzen?
Die drei genannten Länder sind Mitgliedsstaaten der EU und haben sich verpflichtet, die Rechtsstaatlichkeit, das heißt vor allem den die Pressefreiheit umfassenden Grundrechtekatalog zu achten. Wir hoffen, dass sich die neue Bundesregierung im Rahmen der EU noch stärker dafür einsetzt und bei Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit auch nicht davor zurückschreckt, Sanktionen durchzusetzen. Das muss im Übrigen auch bedeuten, Verletzungen der Pressefreiheit schon im Rahmen von EU-Beitrittsverhandlungen, wie derzeit etwa mit Serbien, viel deutlicher als bisher zu benennen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false