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„Das bin nicht ich, aber sehr dicht nachempfunden“. Alice Schwarzer wird im ARD-Zweiteiler von Nina Gummich (vorn) als ebenso streit- wie lebenslustige und politisch überzeugende Aktivistin dargestellt.

© rbb/Alexander Fischerkoesen

Biopic zum 80. Geburtstag: Wie Alice Schwarzer zur Widerstandsikone gegen patriarchale Strukturen wurde

Die ARD widmet der Starfeministin zum Geburtstag einen Zweiteiler. Dieser sagt streckenweise mehr über die revolutionären Zeiten als über Titelfigur „Alice“ aus.

Herrgott, ist dieses deiner irdischen Geschöpfe anstrengend. Stets ein Stückweit vorgebeugt, genussvoll rauflustig zum Sprung bereit und praktisch niemals im Abwehrmodus, schrumpft ihr impertinenter Blick nicht nur die herrschenden Raubtiere jener Zeit zur Zwischenmahlzeit einer fleischfressenden Gazelle. Auch Wohlgesinnte kriegen ihr Fett weg, immerzu und überall. Man kennt das. Wir kennen das. Eigentlich alle.

Wer Freund und Feind hier schließlich drei Stunden mit fliegendem Haar und Gefuchtel zur Schnecke macht, zählt wie Schmidt und Strauß, Augstein und Nannen, Carrell und Beckenbauer, also Alpharüden unter Alpharüden, zum Inventar einer Bundesrepublik, der weibliche Widerspenstigkeit lange Zeit noch fremder war als männliche Hausarbeit: Alice Schwarzer. Und sie ist es doch. Oder? Ist sie und auch wieder nicht.

Ab heute widmet die ARD-Mediathek Deutschlands Starfeministin ein Biopic und hat es augenscheinlich mit der Starfeministin persönlich besetzt – so nahe rückt ihr die Darstellerin auf den renitenten Pelz.

Doch weil das Original seinen Aufstieg zwei Wochen vorm 80. Geburtstag auch mit noch so viel Make-up nicht glaubhaft machen könnte, hat Regisseurin Nicole Weegmann es altersgerecht ersetzt. Durch Nina Gummich. Ein Volltreffer!

Denn die Darstellerin, mit 31 Jahren neun Lenze älter als das filmische Alter Ego zu Beginn des Zweiteilers, ähnelt Schwarzer nicht nur ein wenig, sie gleicht ihr bis auf den blonden Sixties- Bob. Wenn Alice zu Beginn den französischen Marx-Fan Bruno (Thomas Guené) 1964 am Strand kennen (plus lieben) lernt und von ihrer gemeinsamen Pariser Bude aus für Gleichberechtigung kämpft, geht es allerdings nur der Vollständigkeit halber um optische Authentizität.

Von der aktivistischen Journalistin zur publizistischen Aktivistin

„Alice“ ist ja eher Revolten- als Biopic einer Zeit, in der alle Verdammten dieser Erde aufbegehrt haben – sexuell, politisch, kulturell, ökonomisch. Und wie Schwarzer dabei zur Widerstandsikone gegen patriarchale Strukturen wird, wie sie mal verletzlich, meist verletzend durch die Reihen privilegierter Platzhirsche galoppiert, wie sie sich den Traum der aktivistischen Journalistin erfüllt, nur um ihn flugs gegen den der publizistischen Aktivistin zu tauschen – das sagt weniger über die Titelheldin als deren Zeitalter aus.

Angespornt von der verzweifelten Renate (Lou Strenger), die nach dem Besuch einer Engelmacherin blutend vor ihrer Tür liegt, arbeitet sich „Alice“ so unbeirrt vom Abtreibungsverbot übers Lebensthema Prostitution bis zur Gründung der feministischen „Emma“ 1977 als Gegenpol maskuliner Besitzstandsmedien vor, bis die Bigotterie der nivellierten Mittelstandsgesellschaft offener zutage tritt, als Markus Söder lieb sein dürfte.

Zum Glück aber versteckt das virtuose Drehbuch von Silke Steiner und Daniel Nocke ihre Protagonistin(nen) im reaktionären Shitstorm nicht hinterm Klischee weiblicher Demut, schlimmer noch: Hysterie. Gummichs Alice kontert den Salonsexismus der Herren Henri Nannen (Sven Eric Bechtolf) und Rudolf Augstein (David Rott) oder die Selbstverzwergung der Damen Esther Vilar (Katharina Schüttler) und Romy Schneider (Valerie Pachner) lieber mit einer trotzigen Heiterkeit, die der leibhaftigen Schwarzer aus dem Herzen spricht.

„Das im Film bin nicht ich“, sagt sie übers Werk auf Basis ihrer Autobiografie, „aber sehr dicht nachempfunden und in reale oder passend fiktive Szenen übersetzt“. Wobei dieses Nachempfinden dem bitteren Emanzipationsernst erfreulicherweise Humor verleiht. Als sich 343 Französinnen – noch vorm „Stern“-Coup „Wir haben abgetrieben“ – im „Nouvel Observateur“ zum (illegalen) Schwangerschaftsabbruch bekennen, erwarten die Redakteure des „Charlie Hebdo“ ängstlich Schwarzers Strafmaß für die Replik ihrer Satirezeitschrift. Sie lautet „Wer hat die 343 Schlampen geschwängert?“ Auweia.

Stundenlange Sekunden herrscht Stille. Dann aber lacht die ebenso streit- wie lebenslustige, habituell anstrengende, politisch überzeugende „Alice“ laut und zeigt den ewig Gestrigen bis heute: emanzipierte Frauen haben nicht nur ein erfülltes Liebes-, Sex-, tendenziell gar Heterosexleben, sondern Persönlichkeit abseits emanzipatorischer Kämpfe.

Das so glaubhaft zu spielen – dafür hat Nina Gummich trotz Stereotypen wie dem Dom in jeder Köln-Kulisse, notorischer Akkordeonklänge über Paris und diesem Citroën DS, der dort vor allen Bistros parkt, einen Sack voll Fernsehpreise sicher.

„Alice“, zweimal 90 Minuten, ab Mittwoch in der ARD-Mediathek. Am 30. November, 20 Uhr 15 in der ARD. Dazu Online „Die Streitbare – wer hat Angst vor Alice Schwarzer?“

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