zum Hauptinhalt
Abschied: Die Schauspieler der "Lindenstraße" signieren Autogrammkarten in der Deutsche Kinemathek, Museum für Film und Fernsehen. 373 Folgen der Serie wurden in die Mediathek der "Deutschen Kinemathek" hinzugefügt.

© dpa

Die ARD-Familienserie im Museum: Wer wird das zeigen, wenn es die „Lindenstraße“ nicht mehr gibt?

„Sammlung Lindenstraße“ in der Deutschen Kinemathek: Kleider, Krisen, Küsse und die Frage, ob dieser Serien-Abschied nach 34 Jahren wirklich hat sein müssen.

Eigentlich sollte es ein schöner Anfang vom langen Abschied der "Lindenstraße" werden. Donnerstagnachmittag in der Deutschen Kinemathek, dem Deutschen Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz: Ein Großteil der Darsteller vor Ort, Hunderte von Fans, die über Stunden in langen Schlangen auf Autogramme warteten, eine Ausstellung, die die Bedeutung dieser Fernsehserie dokumentiert, deren allerletzte Folge nach 34 Jahren am 29. März 2020 ausgestrahlt wird.

Seit einem Jahr steht dieser ARD-Entschluss fest. Damit haben sich viele noch nicht abgefunden. Die obligatorische Mahnwache, "Lasst die Lindenstraße leben!", vor der Kinemathek durfte nicht fehlen: Drinnen sagte Produzent Hans W. Geißendörfer auf Nachfrage beim Ausstellungs-Presserundgang erstaunlicherweise, dass er im Grunde "keine Ahnung" habe, warum die "Lindenstraße" eingestellt werde. Man hätte im Vorlauf der Entscheidung doch auch mit dem WDR über das eine oder andere sprechen können, auch über den Etat, über das Geld. Spielen da nicht doch noch andere Gründe eine Rolle?

Das saß. Götz Schmedes, der für die "Lindenstraße" verantwortliche WDR-Redakteur, schaut verdutzt. Seines Wissens sei deutlich kommuniziert worden, dass es ein Missverhältnis von Produktionskosten, Aufwand und Zuschauererfolg gebe.

Tochter Hana Geißendörfer griff korrigierend ein. Es wurde durchaus vorab über Etats diskutiert und vom WDR ein Angebot gemacht. "Zu dem Preis konnten und können wir das aber nicht produzieren, das war unannehmbar" sagte Hana Geißendörfer für die Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion (GFF).

Bleiben die Befindlichkeiten von Fans und Besuchern. Bleibt auch der Eindruck, dass die "Lindenstraße" nicht mehr gewollt war. Der Nutzen dieser öffentlich-rechtlichen Serie sei mit dem Verweis auf fallende Quoten, auf immerhin noch zwei bis drei Millionen Zuschauer Sonntag für Sonntag, nicht richtig bewertet wurden, ganz zu schweigen von der steigenden Mediatheken-Nutzung, monierte ein Schweizer Fanclub, der die Reise nach Berlin auf sich genommen hatte. Zu den Schauspielern, mit den Fans, das letzte große Familientreffen.

Wer wird das zeigen, wenn es die „Lindenstraße“ nicht mehr gibt?

Es gab neben Autogrammen und Podiumsgesprächen ja auch noch etwas zu sehen, die Ausstellung: „Leben, sterben, Hochzeit feiern“. Kuratorin Klaudia Wick hat sich durch Hunderte von "Lindenstraßen"-Folgen gekämpft, um an einer Episoden-Auswahl von 373 Folgen zu zeigen, welche erzählerische und mediale Bedeutung die Familienserie über mehr als 30 Jahre hinweg hatte.

Klaus Beimer wurde hier erwachsen, Berta Griese tablettenabhängig, Mutter Beimer geschieden und damit die heile Fernsehfamilie zerbrochen, Marek Zöllig zur Frau. Ob häusliche Gewalt oder schwule Hochzeit, ob Gender, Aids, AfD oder aktuell das Thema Pädophilie: Seit 1985 erzählt "Lindenstraße" vom Auf und Ab der bundesdeutschen Wirklichkeit und des privaten Lebens.

Auch wenn das mit den Tabu-Brüchen und der gesellschaftlichen Relevanz in den vergangenen Jahren schwächer geworden war, es stellt sich angesichts der Bilder die Frage, die auch viele Darsteller wie Gunnar Solka (spielt den Peter „Lotti“ Lottmann) oder Irene Fischer (alias Anna Ziegler) haben: Welche andere deutsche Fernsehserie wird das zeigen, wenn es die "Lindenstraße" nicht mehr gibt? Wer wird zumindest den Versuch zu unternehmen, in der Unterhaltung regelmäßig gesellschaftspolitische Realität abzubilden, Missstände anzuprangern? Und das darf ja durchaus auch mal soapig sein.

Vorbei, bald. Letzte Runde. Bilder einer Ausstellung. In den Sofainseln der Kinemathek versinken und sich vor den Bildschirmen noch einmal den ersten Schwulenkuss in einer deutschen Fernsehserie oder die Sterbeszene mit Else Kling anschauen, für Klaudia Wick eine der beeindruckendsten Episoden aus 34 Jahre "Lindenstraße".

Die erste Endlosserie, Technikgeschichte

Die landen nun im Museum, samt Exponaten wie die Wohnsäcke von Anna Ziegler und Hans Beimer oder das Hochzeitskleid von Helga Beimer, bis zum 23. März in der Deutschen Kinemathek zu sehen. Dann läuft die letzte Folge.

Am Ende wird man diejenigen, die diesen Abschied gut finden und die "Lindenstraße" für großen Quatsch halten, auch mit Klaudia Wicks Worten nicht erreichen: "Die ,Lindenstraße' ist für das deutsche Fernsehen historisch einmalig. Es ist ein ,Langzeitversuch', der Formatgeschichte, die erste Endlosserie, Technikgeschichte. es wurde von Anfang an auf Video gedreht mit allen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren und Sozialgeschichte veranschaulicht."

Auch und gerade nachdem sie sich in die "Lindenstraße" wieder eingearbeitet habe, findet Klaudia Wick, es sei wirklich eine hochwertige Fernsehproduktion, die immer dicht am Puls der Zeit erzählt, einen klassischen öffentlich-rechtlichen Bildungs- und Unterhaltungsauftrag erfüllt und bei all dem eine Zuschauerbindung für die ARD hergestellt hat wie sonst nur der "Tatort" oder die "Sportschau".

"Ich finde es wirklich schade, dass sich innerhalb der ARD keine Mehrheit fand, dieses Unikat über die schwierige Zeit des Generationenabrisses für lineares Fernsehen hinwegzutragen. Wir freuen uns deshalb umso mehr, dass die ,Lindenstraße' hier im Museum einen Platz mit Endlosgarantie gefunden hat."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false