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Demo gegen den digitalen Impfpass in Frankreich. Vor rund zehn Monaten startete die weltweite Corona-Impfkampagne. Zahlreiche Impfgegner steuern dagegen. Wer sind diese Menschen? Welche Motive verfolgen sie und wovor haben sie Angst?

© Arte

Arte-Doku zur Impfskepsis: Wenn die Wut piekst

Von den Masern zu Corona: Eine Arte-Dokumentation rekonstruiert die Geschichte der Impfskepsis.

Anti-Corona-Demos laufen regelmäßig aus dem Ruder. Impfzentren werden verwüstet, Impfpässe gefälscht. Wovor haben Menschen Angst? Worin wurzelt die epidemisch sich verbreitende Überzeugung, Covid-19-Impfstoffe seien schädlich? In ihrem 90-minütigen Dokumentarfilm zeigt die Journalistin Lise Barnéoud mit ihren Co-Autoren Marc Garmirian, Colette Camden und Flora Bagenal auf, dass Vorbehalte gegenüber Corona-Maßnahmen das Erbe einer tradierten Verschwörungsideologie sind.

Alles begann in den späten 1990er Jahren. Andrew Wakefield, ein damals unbekannter britischer Arzt, publizierte in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ eine methodisch unhaltbare Studie. Kombinationsimpfstoffe gegen Mumps, Röteln und Masern, so seine Behauptung, würden Autismus verursachen.

Wissenschaftlich verifiziert wurde diese Behauptung nicht. „The Lancet“ zog die Publikation zurück. Der Arzt verlor seine Approbation und erhielt Berufsverbot in Großbritannien. Es sickerte durch, dass der Doktor für seine Studie eine hohe Geldsumme erhalten hatte: von einer Kanzlei, die den Hersteller für Kombinationsimpfstoffe verklagen wollte. Wakefield selbst hatte unterdessen ein Patent auf einen Monoimpfstoff angemeldet, mit dem er Kasse machen wollte („Impfgegner – Wer profitiert von der Angst?“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15).  

Der Popularität des Scharlatans tat diese Entlarvung keinen Abbruch. Im Gegenteil. Medien hofierten Wakefield. Schon 2003 feierte ihn das britische Biopic „Hear the Silence“, in dem er von Hugh Bonneville verkörpert wurde, einem aus „Notting Hill“ bekannten Darsteller.

Nach seiner Übersiedelung in die USA avancierte der Impfgegner zum Guru. Für die Promotion seines Propagandafilms „Vaxxed: Die schockierende Wahrheit“ (2016) konnte er sogar Robert de Niro einspannen. Der Hollywood-Star ist selbst Vater eines autistischen Sohnes, distanzierte sich aber später von Wakefield.

Die französische Dokumentation arbeitet nun zweierlei heraus: Zum einen zeichnet der Film nach, dass das Schüren von Impfskepsis ein lukratives Geschäft ist. Zum anderen wird deutlich, dass Wakefields pseudomedizinische Mythen Querdenkern aus dem akademischen Milieu den Weg ebneten.

In der Doku porträtiert wird unter anderem Carola Javid Kistel, die auf Wakefields Pfaden wandelt. Die umtriebige Ärztin aus Duderstadt tritt unter anderem in dem Video „Wo wollen wir hin?“ des Querdenkers Björn Banane auf. Der Clip, von Youtube inzwischen gelöscht, propagiert das Narrativ einer tödlichen Impfung. Die Ärztekammer belangte die Medizinerin wegen gefälschter Impfbefreiungs-Atteste ohne medizinische Notwendigkeit.

Ihr Aktivismus gefährdet dennoch den Erfolg der Impfkampagne

Der Film „Impfgegner – Wer profitiert von der Angst?“ nimmt ebenso die französische Szene unter die Lupe. Wie in Deutschland kommen Impfgegner auch hier aus dem rechten Spektrum wie etwa der Splitterpartei „Les Patriotes“. Sie bilden zwar eine Minderheit. Ihr Aktivismus gefährdet dennoch den Erfolg der Impfkampagne.

Eine Hochburg der Impfgegner ist der französische Südosten. Nur 75 Prozent der Zweijährigen sind hier vor Masern geschützt. Das sind zehn Prozent weniger als im Landesdurchschnitt. Hiesige Ökobauern sehen Impfungen als Bedrohung ihrer Freiheit und ihres Verständnisses von Gesundheit im Einklang mit der Natur.

„Unser Handwerk, das wir hier nach Biostandards ausüben“, so der französischen Landwirt Julien, „hat viel zu tun mit unserem Standpunkt beim Thema Impfung.“

Stellvertretend für viele Gleichgesinnte ist der Biobauer denn auch überzeugt: „Wenn man die Homöopathie wirklich beherrscht, braucht man keine Impfungen mehr.“

Wakefields Ansichten sind hier sehr verbreitet. Wie nahtlos sie sich in die Öko-Esoterik einfügen, belegt auch ein Auftritt Wakefields in Lozère. Das Publikum hängt dem sich als Märtyrer im Kampf gegen die Pharmalobby stilisierenden Impfgegner an den Lippen: „Sie pflanzen euch Mikrochips ein. Das verrät ihnen, ob Sie eine Impfung hatten.“

Der gut recherchierte und dicht argumentierende Film hat eine bittere Pointe. Eigentlich sollten Schutzimpfungen ja beruhigen und auf breite Akzeptanz stoßen.

Doch das Gegenteil ist häufig der Fall. „Impfungen“, so der Historiker Malte Thiessen, „sind immer ein Stück weit Opfer ihrer eigenen Erfolge. Je effektiver Impfungen funktionieren, desto geringer sind Ängste vor Infektionskrankheiten. Umso stärker ist dann die Impfskepsis.“ Der Film trägt dazu bei, diese Skepsis zu hinterfragen.

Manfred Riepe

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