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Einheit hoch drei. Karola Wille ist seit 2011 Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks, bei dem sie seit 1996 als Juristische Direktorin gearbeitet hat. Der MDR wird von den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen getragen. 2020 nahm der MDR rund 580 Millionen Euro an Rundfunkbeiträgen ein. Unter den neun ARD-Sendern liegt die Dreiländeranstalt damit im Mittelfeld.

© MDR/Kirsten Nijhof

Der MDR und die innere Einheit: „Wandel ist immer auch anstrengend“

Der MDR versteht sich als „Stimme des Ostens“. Gespräch mit Intendantin Karola Wille über Lebenswirklichkeiten, ARD Kultur und „Riverboat“ mit dem RBB.

Frau Wille, der Mitteldeutsche Rundfunk bezeichnet sich stolz als „Stimme des Ostens“. Da fragt der Berliner: Haben Sie's nicht 'ne Nummer kleiner?
Über 30 Jahre nach der deutschen Einheit bleiben widerstreitende Tendenzen im Osten: Aufbruch und ein Gefühl von Abgehängtsein, Moderne, aber auch Brüche, soziale Unterschiede – kurzum: ein dauerhafter, fundamentaler Veränderungsdruck.

Gerade weil wir die einzige öffentlich-rechtliche Anstalt mit einem Versorgungsauftrag ausschließlich für drei Bundesländer im Osten Deutschlands sind, wollen wir diese verschiedenartige Lebenswirklichkeit und damit verbundene Lebensleistungen bundesweit sichtbarer machen, stärker das Neue aus dem Alten heraus erzählen. Dementsprechend ist die publizistische „Stimme des Ostens“ keine Abgrenzungskategorie, sondern Anspruch, zur inneren Einheit Deutschlands beizutragen. Sie ist in diesem Sinne vor allem eine Stimme des Wandels.

Wandel ist immer auch anstrengend. Diese Region erlebt starke Polarisierungen, muss mit Spaltungen in der Gesellschaft umgehen. Der MDR setzt daher verstärkt auf Dialog und Diskursqualität als Vermittler bei den Themen der Zeit.

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Diese Betonung eigener Aufgaben ist also keine Reaktion auf die wiederholten Klagen von Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, dass die ARD zu wenige Ost-Beiträge im Programm hat?
Wir verstehen uns als Analyst ostdeutscher Zeitgeschichte und Brückenbauer. Nehmen Sie aktuell unser multimediales Projekt „Wer wir sind – Die DNA des Ostens“ im Web, TV und in der ARD-Mediathek. Es ermöglicht jeder und jedem eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit und zu den persönlichen Prägungen – interaktiv und verbunden mit wissenschaftlichen Hintergründen.

Zum Tag der Einheit veröffentlichen wir in der ARD-Mediathek die East Side Stories. Fünf Episoden aus dem Leben von Kunstschaffenden zwischen 30 und 40, die im Osten leben. Es geht um Ausgrenzung und Widerstand, um Stolz auf die Heimat, um das Verhältnis zur Umwelt und den Umgang mit Klischees und Rollenbildern. Einen Monat später blicken fünf Folgen „Zukunftsland“ auf Innovationen und Ideen in der ostdeutschen Provinz. Auch die „mittendrin“-Rubrik in den Tagesthemen wird am häufigsten vom MDR gefüllt. Diesen föderalen Blick muss die ARD weiter verstärken – im Ersten ebenso wie in der Mediathek.

Rundfunkfreiheit ist ein Grundrecht

Noch mal Sachsen-Anhalt: Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung in Magdeburg klargemacht, dass nicht ein einzelnes Bundesland die Erhöhung des Rundfunkbeitrages aufhalten kann. Hat die Regierung Haseloff das begriffen?
Es gab seit 1961 zahlreiche Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichtes. Insofern ist Rundfunkfreiheit ein Grundrecht, das immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss. Diese Freiheit geht einher mit unserer Verantwortung, der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger zu dienen. Dazu gehört die konsequente Trennung von Fakten und Meinungen, das unverzerrte Darstellen der Wirklichkeit und seriös zu recherchieren.

Unsere Verantwortung für den demokratischen Diskurs korrespondiert mit der Verantwortung der Politik, die Rundfunkfreiheit, wozu auch das Gebot der Staatsferne gehört, zu respektieren. Nichts anderes sagt unser Grundgesetz: Auch die frei gewählten Abgeordneten sind an die Grundrechte gebunden. Die Rundfunkfreiheit dient der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Würde diese nicht gewährleistet, bestünde ein Demokratieproblem.

ARD und MDR wollten das Ja Sachsen-Anhalts damit „erkaufen“, dass die geplante Kulturplattform in diesem MDR-Land angesiedelt wird. Wie steht es um das Projekt?
Ich werbe seit Langem für mehr ARD-Gemeinschaftseinrichtungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Als der MDR gegründet wurde, war die Welt verteilt, die Korrespondentenplätze ebenso vergeben wie die Standorte für große Strukturen (die „Tagesschau“ in Hamburg, Filmtochter degeto in Frankfurt etc.). Von 50 Gemeinschaftseinrichtungen sitzt bisher eine – der Kika – im Sendegebiet des MDR. Mit ARD Kultur kommt die zweite – und sie könnte kaum eine bessere Heimat finden: Bach und Bauhaus, Goethe und Wave Gotik, Neo Rauch und Nietzsche und noch viele andere stehen für den Kulturreichtum dieser Region. Nach der Beitragserhöhung haben wir grünes Licht, mit ARD Kultur das zu befördern, was Kultur kann: Sinn stiften und eine Gesellschaft einen.

Wir erreichen immer weniger Menschen unter 50

Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hat gerade wieder betont, dass die öffentlich-rechtliche Zukunft auch digital sein muss. Wie will der MDR die beiden Welten – lineares Fernsehen und Mediathek – erfolgreich bespielen?
Wir erreichen im klassisch linearen Programm die Unter-50-Jährigen immer weniger. Wir müssen jünger werden, ohne die Älteren zu verlieren.

Klingt wie die Quadratur des Kreises.
Wandel ist herausfordernd – auch für das eigene Haus. Und zugleich erleben wir im Digitalen eine Explosion an Kreativität und riesige Gestaltungsmöglichkeiten. Mediennutzung wird immer mobiler und individueller. Darauf reagieren wir und richten unsere Angebote, Ressourcen und Prozesse bis 2025 konsequent darauf aus. Wir schauen gezielt auf die Bedürfnisse von Familien und jüngeren Zielgruppen, die wir derzeit unterdurchschnittlich erreichen.

Und wir investieren in drei inhaltliche Offensiven: Wir entwickeln unsere große Erzählkompetenz (denken Sie an Serien wie „Weißensee“ oder „Der Turm“) für die Streamerinnen und Streamer weiter.

Reicht das wirklich?
Wir stärken – zweitens – die Kultur mit innovativen Formaten für jüngere, wir schmieden Netzwerke mit Kunsteinrichtungen, Museen und Partnern und setzen auf partizipative Elemente.

Und wir bauen Regionalität und Information im Digitalen weiter aus: wir sehen doch, dass politische Sendungen, Analysen und Hintergründe stark nachgefragt werden. In allen Generationen. Hier setzen wir auch auf Innovationen für die öffentliche Meinungsbildung im Digitalen.

Webserien in drei Ländern

Klugerweise entsteht eine der neuen nonlinearen Serien in Sachsen-Anhalt. Was macht dieses Produkt zu einem Qualitätsprodukt in der Mediathek?
Es entstehen Webserien in allen drei Ländern. Eine spielt im fiktiven Dorf Ollewitz in Sachsen-Anhalt. Gerade im Osten standen im Zuge der Transformation nach der Wende viele irgendwann vor der Frage: gehen oder bleiben? Diese Gefühlslagen wollen wir mit einer intensiveren Bildsprache gezielt ausleuchten, für Identifikation, Verständnis und Verständigung in der Gesellschaft werben – auf humorvolle Weise.

Was wird in den Programmleistungen des MDR für Erstes und Drittes gestrichen werden, damit das Angebot in der Mediathek leuchten kann?
Mit unserem Innovationsprogramm MDR-Next entwickeln wir aus dem Haus heraus regelmäßig neue Projekte. Jede und jeder im MDR kann Ideen einreichen. Gerade erst haben wir beim internen Pitchday zwei Formate ausgewählt, die nun vorangetrieben werden – ein ungewöhnliches Newsformat für Kinder und Jugendliche in Gaming-Anmutung. Und ein interaktives Hörspiel, basierend auf der erfolgreichen Kinderserie „Schloss Einstein“, die der MDR für den Kika produziert.

Und wir wollen Synergien innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems. Ab 8. Oktober kommt unsere Talkshow „Riverboat“ abwechselnd von MDR und RBB und wird zeitgleich in beiden Programmen übertragen. Die freiwerdenden Mittel investieren wir in innovative digitale Unterhaltungsformate.

Win-Win-Situation

Die Talkshow ist erkennbar nicht die größte Stärke des RBB. Geht der MDR mit der neuen Zusammenarbeit nicht ein unnötiges Risiko für sein „Riverboat“ ein?
Das ist eine gegenseitige Win-Win-Situation. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom RBB werden wir unsere erfolgreiche Marke „Riverboat“ weiterentwickeln und zu einer noch relevanteren Talkshow aus dem Osten mit bundesweiter Strahlkraft ausbauen.

Der MDR, „Stimme des Ostens“, betreibt das Studio Prag für die ARD. Ist das nicht zu wenig für einen Sender, der so weit in den Osten Europas blickt? Warum betreibt der WDR mit Sitz in Köln das ARD-Studio Moskau, wie steht es um Weißrussland?
Das weltweite ARD-Korrespondentennetz ist in diesen unruhigen Zeiten ein besonderer Wert und der Blick nach Mittel- und Osteuropa gehört zur DNA des MDR. Wir sind dazu in einem kollegialen Austausch in der ARD, auch hier bewegt sich etwas. Nächsten Monat eröffnet der MDR zudem ein binationales Studio in Görlitz mit polnischen Kolleginnen und Kollegen von Radio Wroclaw. Dies ist eine besondere Form der Zusammenarbeit, die auch der Entwicklung gemeinsamer redaktioneller Projekte dient. Wir sehen in unseren Nachbarländern politische und gesellschaftliche Veränderungen, leider auch die wachsende Sorge um Freiheitsrechte – insbesondere für Journalistinnen und Journalisten. Auch hier gilt es Brücken zu schlagen, Gesprächsfäden zu halten und den Blick zu öffnen.

Die Fragen stellte Joachim Huber.

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