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Endlich auch mal den Porsche ausfahren. Die Stuttgarter Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller, r.) und Sebastian Bootz (Felix Klare) müssen einen Fall von Fahrerflucht mit Todesfolge aufklären.

© SWR/Benoît Linder

TV-Thriller im Auto-Ländle: Tod auf der Rennstrecke

Der Stuttgarter „Tatort“ über eine Unfallflucht und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Opfer.

Es ist dunkel und regnet stark, während am Rand der Landstraße ein Mann sein schwer bepacktes, unbeleuchtetes Fahrrad die Anhöhe heraufschiebt. Man sieht das Unglück kommen, Ben Dellien (Nicholas Reinke) dagegen sieht am Steuer seines SUV praktisch nichts.

Stau auf der Autobahn – auf dem Weg von der Arbeit nach Hause muss der Manager auf die hügelige, kurvige Strecke bei Stuttgart ausweichen, auf der früher Rennen gefahren wurden. Sogar die Formel 1 gastierte hier in den 1960er Jahren, und auch die Anhöhe heißt tatsächlich Elend, angeblich weil die Naturstrecke an dieser Stelle besonders gefährlich war.

Dellien ist abgelenkt. Er wird geblitzt, während er per Freisprechanlage mit seiner Kollegin telefoniert. Dann gibt es plötzlich einen heftigen Schlag. Dellien hält an, kontrolliert den vorderen Teil des Wagens, steigt ein, dann wieder aus. Am Heckscheibenwischer entdeckt er eine mit dem Schriftzug „Foxy“ bedruckte Kappe.

Er geht ein paar Schritte, bleibt unentschlossen stehen und blickt in die Dunkelheit. Dann entscheidet er sich, einfach weiterzufahren. Man hört ihn „Scheiße, Scheiße“ rufen. Im Straßengraben liegt der schwer verletzte Peter Köster, der Stunden später sterben wird.

Unfallflucht-Krimis sind ein eigenes Genre, bei dem das Publikum dem (meist männlichen) Täter beim Vertuschen zusieht. Zuletzt spielte Sebastian Koch in der ARD/ORF-Serie „Euer Ehren“ einen angesehenen Richter, dessen Sohn den Sohn eines Clan-Chefs überfahren hatte – eine Adaption der israelischen Serie „Kvodo“. Und bereits in der herausragenden „Tatort“-Folge „Stau“ (2017) waren die Stuttgarter Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) mit einem Fall von Fahrerflucht konfrontiert, genauer gesagt: Fahrerinnenflucht.

Die fatalen Entscheidungen eines Autofahrers als packendes Kriminaldrama

Die aktuelle Episode „Der Mörder in mir“ gerät nicht ganz so spannend wie „Euer Ehren“ und nicht ganz so ausgefallen wie „Stau“. Doch auch Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein versteht es, aus der fatalen Entscheidung eines Autofahrers ein packendes Kriminaldrama zu entwickeln.

Passend ist natürlich, dass ein solches Sujet im Auto-Ländle spielt, der Heimat von Daimler und Porsche. Auch darf Lannert, der seit Dienstbeginn im März 2008 einen schokobraunen Porsche 911 Targa fährt, mal richtig Gas geben auf dem Weg zum Unfallort auf der ehemaligen Solitude-Rennstrecke.

Seit langem „Tatort“-Partner: Richy Müller und Felix Klare. Die Folge „Tatort – Der Mörder in mir“ läuft am Sonntag um 20 Uhr 15 in der ARD.

© SWR/Maor Waisburd

Ansonsten sind die Kommissare nicht so fix unterwegs. Sie brauchen eine Weile, um auf die Idee zu kommen, bei den Blitzerfotos in der Tatnacht nachzuschauen. Durch die Ermittlungen gewinnt allerdings das Opfer Kontur. Peter Köster geriet nach dem Tod seines an Leukämie erkrankten Sohnes aus der Spur. Seine mittlerweile erwachsene Tochter reagiert desinteressiert und schmallippig auf die Todesnachricht.

Insbesondere bei Bootz zeigt das Wirkung. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt, der Kommissar leidet unter seiner Einsamkeit und zweifelt zunehmend am Sinn seines beruflichen Wirkens. Nach Feierabend sucht er Rat beim älteren Kollegen Lannert, der eine noch schrecklichere Tragödie zu bewältigen hatte, denn seine Frau und Tochter waren ums Leben gekommen. So klingt ihr kurzer, reflektierender Schlagabtausch weder konstruiert noch „von oben herab“.

Ein Gefälle, auf dem Werte und Moral ins Rutschen geraten

Wie im Grunde jedes Krimidrama handelt auch dieser Film von den Werten, die gesellschaftliches Zusammenleben ermöglichen. Und davon, was deren Missachtung anrichtet. Oder, wie in diesem Film, die Gleichgültigkeit. Niki Stein baut ein soziales Gefälle in seine Geschichte ein, auf dem Werte und Moral schnell mal ins Rutschen geraten.

Das Opfer ist ein Obdachloser, dem niemand nachtrauert, der Täter dagegen ein voll im Leben stehender Mann. Ben Dellien ist ein gewiefter Manager mit Aussicht auf Beförderung, seine Frau ist mit dem dritten gemeinsamen Kind hochschwanger. „Das war ein armer Hund, ein Alkoholiker. Wer weiß, wie lange der überhaupt noch gelebt hätte“, sagt Johanna Dellien (Christina Hecke), nachdem ihr Mann die Fahrerflucht zu Hause endlich gebeichtet hat.

Während Ben Dellien zwischen schlechtem Gewissen und amateurhaften, aber erstaunlich wagemutigen Vertuschungsversuchen schwankt, wird neben der abgebrühten Johanna noch eine zweite weibliche Figur zum interessantesten Charakter dieser Episode: Laura Rensing, klasse gespielt von Tatiana Nekrasov, ist eine alleinerziehende Mutter, deren Sohn Helge in dieselbe Klasse geht wie die Tochter der Delliens.

Doch sie arbeitet nicht als Stewardess, wie Helge in der Schule erzählt, sondern in einer Autowaschanlage, die der Täter am Tag nach dem Unfall aufsucht. Bisher wurde Laura Rensing von den wohlhabenden Delliens nicht beachtet. Das ändert sich, nachdem Ben und Johanna erkennen, dass die zurückhaltende Nachbarin etwas wissen könnte von der Fahrerflucht. Auch die in Beweisnot geratene Polizei klopft an. Die Sache mit der „Foxy“-Mütze ist zwar ziemlich konstruiert, aber Niki Steins Film nimmt keinen leicht vorhersehbaren Verlauf und hat ein nachdenklich stimmendes Ende. Thomas Gehringer

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