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Prominente Regimegegner wurden in den frühen KZs besonders gequält, hier in der Reihe ganz links der SPD-Reichstagsabgeordnete Ernst Heilmann, daneben der Sohn des Reichspräsidenten Ebert, Friedrich Ebert jun.

© Radio Bremen / bpk Bildagentur B

TV-Doku über Nazi-Folterkeller: Labore der Gewalt

Eine ARD-Dokumentation erinnert an Nazi-Folterkeller in der Nachbarschaft belebter Wohnquartiere.

Auschwitz gilt als Synonym für den Holocaust. Doch das größte deutsche Vernichtungslager befand sich weit weg im Osten. In ihrer Dokumentation aus der ARD-Reihe "Geschichte im Ersten" erinnern Susanne Brahms und Rainer Krause daran, dass der Nazi-Terror ganz in der Nähe begann. Im Zentrum der Städte. Vor aller Augen.

Schon kurz nach dem Brand des Berliner Reichstagsgebäudes im Februar 1933 setzte die NSDAP mit der "Reichstagsbrandverordnung" Grundrechte außer Kraft. Der Weg in die Diktatur wurde geebnet. Die SA, schon damals zu einer Hilfspolizei aufgestiegen, errichtete daraufhin im ganzen Land mehr als hundert Folterzentren - Vorformen der späteren Konzentrationslager.

Die Nazis wollten ihre Gegner brechen. Und ihre Gesinnung besudeln. Gezielt ausgesucht für diese "Terroranlagen im Kleinformat" wurden daher Parteizentralen, Gewerkschaftshäuser und progressive pädagogische Einrichtungen wie die Hegelschule in Bochum, in der man eine Pädagogik ohne Angst praktizierte.

Hierher verschleppt wurde der jüdische Einzelwarenhändler Albert Ortheiler. Angeblich habe er Waren an Kommunisten verkauft. Neben sechs weiteren Menschen prügelten ihn Nazi-Schergen im Keller zu Tode („1933 - Folterkeller im Wohnquartier“, Montag, 23 Uhr 35).

Die Dokumentation hebt die Methodik dieser Quälorgien hervor: "Der Sadismus der Aufseher", so der Off-Kommentar, "richtet sich auf die Geschlechtsteile ihrer politischen Gegner". Dies sei "eine erschreckende Gemeinsamkeit aller frühen Konzentrationslager".

Erinnert wird auch an den medialen Aspekt dieser frühen Konzentrationslager. Über das KZ Oranienburg, das bis 1934 existierte, waren die Nazis "so stolz, dass sie darüber einen Film drehten". Diese Aufnahmen, so der Historiker Günter Morsch, "wurden im regulären Kino in Berlin gezeigt". Zuschauer sahen den von Harry Piel inszenierte Krimi "Sprung in den Abgrund".

Nazi-Terror als Unterhaltung

Im Vorprogramm lief: "Neueste Aufnahmen aus dem KZ Oranienburg". Nazi-Terror als Unterhaltung.

Nach dem Krieg wurden viele dieser Mini-KZs nur zufällig entdeckt. Verborgen hinter einem Regal fand der Berliner Bildhauer Rolf Scholz im Keller seiner Wohnung "den Schattenriss eines ehemaligen Inhaftierten". SA-Schergen machten sich offenbar einen Spaß daraus, sein Profil mit dem Bleistift an die Wand nachzuzeichnen, um so die zynische Karikatur seiner angeblichen "jüdischen Hakennase" anzufertigen.

Der Gefangene musste dieses Bild signieren. Daher weiß man, dass es sich um den jüdischen Kaufmann David Trister handelte. Er wurde 1940 in den Niederlanden ermordet. Dezente Cartoons in Schwarzweiß, die die Distanz zu diesem Grauen kenntlich machen, illustrieren das kaum Vorstellbare.

NS-Folterkeller sind Zeugnisse für die "langsame Professionalisierung der SS". Ab 1936 wurden die "Labore der Gewalt" alle geschlossen. Die neue Politik der Nazis zielte nicht mehr nur auf Rache am politischen Gegner. Von nun an wurden "große Menschenmengen präventiv verfolgt".

Die Dokumentation richtet ihr Augenmerk auch auf den Widerstand gegen die Nazis. So nahm Staatsanwalt Walter Pfeifer 1934 Ermittlungen auf gegen Heinrich Remmert, den Kommandanten des Konzentrationslagers Esterwege. Tatvorwurf: Körperverletzung im Amt. Der SS-Sturmbannführer wurde tatsächlich rechtskräftig verurteilt: wegen Häftlingsmisshandlung.

Remmert kam zwar bald wieder frei. Auch alle weiteren Ermittlungen gegen SS-Angehörige wurden niedergeschlagen. In der Zwischenzeit hatte nämlich Hitler höchstpersönlich interveniert. Doch während der Prozessdauer, so betonen Brahms und Krause in ihrer sehenswerten Dokumentation, nahmen gewalttätige Übergriffe auf Lagerhäftlinge ab.

SS-Schergen waren nämlich feige Mitläufer. Sie hatten schlichtweg Angst vor juristischen Konsequenzen wegen ihrer Gräueltaten.

Wider Erwarten wurde Pfeifer nicht von den Nazis drangsaliert. Die Dokumentation verdeutlicht daher eines: Der entscheidende Kipp-Punkt hin zum Zivilisationsbruch ist an die Aufhebung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft.

Manfred Riepe

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