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Nah dran am hippokratischen Original: Doktor Ballouz (Merab Ninidze) bringt die Begeisterung für einen grandiosen Berufsstand zurück.

© ZDF/Oliver Betke

Ein TV-Arzt fast wie Hippokrates: Trost in Weiß

Die zweite Staffel mit dem modernen Barfußarzt „Doktor Ballouz“ passt in diese zerstörerischen Zeiten.

Wer sich seit einer gefühlten Ewigkeit dienstags und donnerstags in die Welt der „Sachsenklinik“ (seit 1998, bald tausend Folgen) und des „Johannes–Thal-Klinikums“ (seit 2015) mit dessen jungen Ärzten einweist, findet er dort immer noch Entspannung von der schrecklichen Nachrichtenlage?

Du liebe Zeit, es gibt wichtigere Fragen als die nach den Wonnen im TV-Weiß. Aber Fernsehkonsument bleibt Fernsehkonsument, mit den Jahren abgerichtet, verwöhnt, und immer empfänglich für dieses Dauersedativ, das den Wahnsinn der Welt mit der Routine des Mediums bisher für einen Moment meistens so verlässlich vertrieben hat. Aber zur Zeit?

Mit der zweiten Staffel von „Doktor Ballouz“ im ZDF entdecken wir, was uns in der MDR-Dauermullversorgung aus Leipzig und Erfurt in letzter Zeit gefehlt hat: die Begeisterung über einen grandiosen Beruf mit dessen Abgründen, Siegen und Ohnmachten. Auch die Dauergegenwart des Todes verschwindet nicht mehr hinter den Bildschirmen moderner Geräte.

[„Doktor Ballouz“, ZDF, donnerstags ab 20 Uhr 15 in Doppelfolgen]

Im fleckengefährdeten Trenchcoat des Krimiaußenseiters Colombo erscheint der georgische Schauspieler Merab Ninidze (57, „Homeland“, „Nirgendwo in Afrika“) als frisch verwitweter Chefarzt Dr. Amin Ballouz in einer im Wald der Uckermark verwunschen gelegenen Klinik. In deren schlichten Wendemöblierung wird Ballouz als eine moderne Version eines Barfußarztes sichtbar, eine Art Guru und Trabifahrer ohne Schulmedizinhass. Er spricht und fühlt verständlich wie die chinesischen Wandergesellen. Er bewegt sich unter normalen Menschen, er achtet Bürokratie gering.

Er erinnert an den Stammvater der Ärzteschaft, Hippokrates (460 bis 370 vor Christi), den alten Griechen mit dem Stab, der Schlange und dem Eid. Der Begründer der Medizin war Priester, nicht Besoldungsbezieher im Krankenhaus. Seine Lehre galt als Geheimwissen.

Gegen die Routine des TV-Arztbetriebs

In der neuen Staffel tritt ein Schnüffler gegen die Routine des Fernseharztbetriebs an und erinnert an absterbende Wurzeln des Genres. Ballouz laviert nicht zwischen den Rücksichten auf seine Kollegen, ihn interessiert das Wort Professionalität wenig, er trägt sein Herz auf der Zunge. In dieser zweiten Staffel geht es um das Suchen und Finden einer neuen Frau und wie immer um den Sinn des Lebens. Da sind seine Kollegen aus Leipzig und Erfurt verdruckster. Aber seien wir gerecht: Die haben auch unendlich mehr TV-Stunden im Kittel und fast alle Passagen des Schicksals vorgeführt: Scheidung, Tod von Partnern, Verlust von Kindern, Liebesenttäuschungen, berufliche Enttäuschungen. Dazu die Stürme medizinischer Technik und moderner Verwaltung, die Verselbständigung des kranken Körpers von der heilenden Hand.

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Die braven Erfurter Ehrgeizlinge und die in der Routine immer melancholisch-ironisch werdenden Sachsendoctores können vom uckermärkischen Schrat Ballouz den Mut zum unbefangenen Blick lernen. Zu Geschichten wie die der zweiten, der besten Staffelfolge namens „Lieben und Lassen“, in der eine Mutter vom Arzt lernt, ihr unrettbares Kind sterben zu lassen und es nicht mit Überforderung ans Leben zu ketten.

Oder, wie man begreift, durch Krankheit das Altgewordensein zu akzeptieren, oder wie sich ein sympathisch erscheinender Patient als Riesen-Arschloch offenbart. Und wie toll es immer ist, guten Schauspielern und guter Buch- und Regiearbeit (Headautorin: Conni Lubek, Inszenierung: Felix Ahrens, Florian Gottschick) zu zusehen.

Und wie gut es vielleicht wäre, die Seelenkrankenhäuser aus Sachsen und Erfurt durch weniger Sendetermine von Lasten zu befreien, die der Weekly-Betrieb mit sich bringt. Denn Tiefe schafft neue Höhen. Gerade in diesen harten Zeiten.

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