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Im Rücktritts-Talk: Dirk Rossmann (v.l.n.r.), Nikolaus Blome, Gerhart Baum, Günther Jauch, Claudia Roth, Günther Beckstein und nicht mehr ganz im Bild Hans Herbert von Arnim-

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Rücktritts-Talk bei Jauch: „Sonst sind die Gäste friedlicher“ 

Günther Jauch lässt in einer streckenweise hitzig geführten Sondersendung über „Wulff – Der Rücktritt“ diskutieren. Auch der Gastgeber zeigt dabei Nerven.

Nicht nur Günther Jauch war an diesem Abend irritiert, als Claudia Roth immer wieder „Günther, Günther“  rief. Damit meinte die Bundesvorsitzende der Grünen nicht etwa den Gastgeber, der nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff an diesem Freitagabend zu einer außerordentlichen Talksendung geladen hatte. Der Günther, den Claudia Roth ansprach, war Günther Beckstein. Wieso Claudia Roth den ehemaligen CSU-Ministerpräsident von Bayern beim Vornamen anspricht, diese Frage stellte Jauch aber erst zum Ende der Sendung. Und wie so vieles an diesem Abend wurde auch dieses Thema nicht abschließend geklärt. Immerhin kam Beckstein noch dazu, seine Hochachtung für die Grünen-Politikerin auszusprechen, obwohl ihn die Art und Weise ihres Diskussionsstils oft nerve, wie er sagte. In einigen Punkten waren sich die beiden so unterschiedlichen Politiker auch an diesem Abend einig. Eine Präsidialdemokratie wie in den USA und Frankreich, wo das Volk den Präsidenten direkt wählt, wolle man für Deutschland nicht. Eine direkte Beteiligung des TV-Volkes wollte an diesem Abend allerdings auch Günther Jauch nicht. Am Nachmittag waren die Zuschauer auf der Homepage von „Günther Jauch“ noch dazu aufgerufen worden, per Mail Fragen zu stellen. In die Sendung schafften diese es jedoch nicht.

Dissens unter den Diskutanten bestand hingegen bei einem anderen Aspekt des Wulff-Rücktritts. Es ging dabei um jenen Satz seiner Rede vom späten Vormittag, in dem Wulff sagte, wie sehr ihn und seine Frau die Berichterstattungen in den letzten beiden Monaten verletzt hätten. Und genau wie die Bevölkerung in der Frage geteilter Meinung ist, ob man nun für Wulff Mitleid hat oder Genugtuung über den Rücktritt empfindet, ging durch die Jauch-Runde in dieser Frage ein Riss. Gab es eine Medienkampagne und eine mediale Hetzjagd oder war es am Ende doch nur die Unfähigkeit eines Mannes, die Realitäten nicht mehr zu erkennen?

Günther Beckstein kennt die befreiende Wirkung eines Rücktritts, auch wenn er aus anderen Gründen vom Amt des Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern zurückgetreten war. Von Mitleid für Wulff wollte er nicht reden, dafür seien die Fehler des Bundespräsidenten zu eindeutig gewesen. Aber obwohl er die Medien nicht direkt ansprach, bedauerte Beckstein, dass einige Dinge zu sehr hochgezogen worden seien – wie Upgrades auf Business-Flüge und Sonderkonditionen beim Leasing. „Auch über seine Frau wurde vieles geschrieben, was verletzt hat“, sagte er. Ähnliche argumentierte Dirk Rossmann, Chef der gleichnamigen Drogeriekette und seit 15 Jahren ein „guter Bekannter von Wulff“. Auch wenn er sich nicht in die Rolle des Verteidigers drängen lassen wollte, habe „die so genannte Kreditaffäre nie einen Beigeschmack gehabt“.

Die quälende Berichterstattung hat es gegeben, weil es immer neue Fakten gab

Wulff sei nicht wegen der Medien zurückgetreten, sondern weil die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen habe, „nachdem sie diese Entscheidung sehr sorgfältig geprüft hat‘“, betonte der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim. „Die quälende Berichterstattung hat es gegeben, weil es immer neue Fakten gab“, sagte der FDP-Politiker Gerhart Baum. Selbst Claudia Roth verteidigt „Bild“, die mit ihren investigativen Recherchen ihrer Aufgabe nachgekommen sei. Wulff, so sagte Baum, das liberale Gewissen der Liberalen, sei der Rolle des Bundespräsidenten nicht gewachsen gewesen. „Dabei ist die Vorbildfunktion Grundvoraussetzung für das Amt“, sagte der FDP-Politiker und erhielt dafür den Applaus des Publikums im Schöneberger Gasometer. Wer so unvorbereitet und ohne die richtige Statur in dieses Amt komme, könne es nicht ausfüllen.

Leicht unvorbereitet wirkte an diesem ungewöhnlichen Talk-Termin aber auch der Gastgeber selbst. Von der gewohnten Diskussionsführung war Jauch weit entfernt. Vielleicht liege es an der früheren Uhrzeit, merkte Jauch gegen Ende der Sendung selbstkritisch an, „sonst sind die Gäste friedlicher“. Bei der Diskussion, ob dem zurückgetretenen Bundespräsidenten der Ehrensold zusteht, war Jauch offenkundig schlecht präpariert. Erst Gerhart Baum konnte den Knoten lösen, als es zwischen Hans Herbert von Arnim und „Bild“-Mann Nikolaus Blome zum Streit kam. Der Verfassungsrechtler hatte ausgeführt, unter welchen Bedingungen Wulff die Zuwendungen erhalten könnte, als ihm Blome ein ums andere Mal mit „Das stimmt so nicht“ ins Wort fiel. Bei „Wer wird Millionär?“ hatte Jauch längst auf seine Karte geschaut und die richtige Antwort gewusst. Hier musste Baum in die Bresche springen und erklären, dass es sich dabei nicht um genau festgelegte Kriterien handelt und es dazu unter Verfassungsrechtlern durchaus unterschiedliche Meinungen gebe.

Überhaupt ließen sich an diesem Abend viele Fragen nicht beantworten, andere Themengebiete wie die juristische Seite wurden nur angerissen. Eines wurde jedoch ein weiteres Mal bewiesen: Konkurrenz belebt das Geschäft. Die Entscheidung der ARD für die Jauch-Sondersendung blieb nicht unbeantwortet. Das ZDF reagierte prompt. Maybrit Illner lädt am Sonntag nun ebenfalls zu einem Special ein. Mit welchen Gästen sie diskutieren wird, blieb zunächst offen.

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