zum Hauptinhalt
Ein Jahrhundert-Coup? Am 25. April 1983 präsentiert „Stern“-Reporter Gerd Heidemann (Lars Eidinger) der Weltöffentlichkeit die privaten Tagebücher von Adolf Hitler und liest aus ihnen vor.

© RTL/Martin Valentin Menke

Skandal um Hitler-Tagebücher neu verfilmt: „Schtonk ist Satire, Faking Hitler ist Drama“

Die größte Medienposse der Bundesrepublik: Showrunner Tommy Wosch im Interview über seine Serie "Faking Hitler" bei RTL+.

Herr Wosch, im März 1983 präsentierte der „Stern“ die privaten Tagebücher von Adolf Hitler. War das nur ein Vogelschiss in der bundesdeutschen Mediengeschichte oder war es mehr?
Eine geradezu philosophische Frage. Es war einerseits der größte Medienskandal Deutschlands und andererseits, wie fast alle Medienskandale, nur ein Vogelschiss. Anders würde die Sache aussehen, wenn die Bücher nicht als Fälschungen entlarvt worden wären, dann wäre es ein weiteres unerträgliches Verbrechen an den Opfern des Nationalsozialismus gewesen.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Von heute aus sieht es unglaublich aus: Konrad Kujau schreibt einen gutmütigen Adolf Nazi auf, der vom Holocaust nichts wusste. Lag es an der Naivität der 80er Jahre, diesem Lieblingsjahrzehnt der Deutschen, dass um ein Haar die Geschichte hätte umgeschrieben werden müssen? In der Tat haben wir uns Anfang der 80er Jahre über eine neue Lockerheit gefreut, Trio singt „Da da da“, Markus will Spaß und gibt Gas und an den Schulen wurde diskutiert, ob die Schüler immer noch regelmäßig Exkursionen zu den nächstgelegenen Konzentrationslagern machen sollen. Rein tatsächlich war das Ende des Nationalsozialismus aber keine 40 Jahre alt und die Gesellschaft durch und durch versifft mit Nazis in allen Schichten und auf allen möglichen Positionen.

Tommy Wosch ist Drehbuchautor und Showrunner der Serie „Faking Hitler“, die von Ufa Fiction produziert wurde.
Tommy Wosch ist Drehbuchautor und Showrunner der Serie „Faking Hitler“, die von Ufa Fiction produziert wurde.

© Ufa/Yves Stucksdorff

Haben Sie, vielleicht von Konrad Kujau selbst, jemals erfahren, warum er diesen Hitler aufgeschrieben hat statt den echten, den Menschenverführer, Diktator, Massenmörder?
Er ist mir diese, wie viele andere Antworten, schuldig geblieben. Wenn er sie mir gegeben hätte, wäre sie nichts wert gewesen. Kujau hat gelogen, wenn er den Mund aufgemacht hat, reflexartig und voller Lust. Ich persönlich glaube, dass Kujau aus Zeitnot sich selbst als Hitler erzählt hat, es gab aber scheinbar keinerlei Brandmauern in ihm, diese Vorgehensweise zu hinterfragen.

[„Faking Hitler“, RTL+, sechs Teile, Dienstag, um 20 Uhr 15]

Täuscht das oder vermittelt „Faking Hitler“ den Eindruck, dass „Stern“-Reporter Gerd Heidemann zweierlei wusste: Kujau betrügt ihn und er betrügt den Verlag Gruner+Jahr?
Es gibt tausend Theorien zu diesem Thema, bis hin dazu, dass Heidemann gemeinsam mit einer Gruppe von Altnazis und Mitwissern beim „Stern“ gehandelt hat, um das Hitler-Bild in Deutschland zu schönen. Ich persönlich glaube, dass Heidemann verführt wurde. Verführt vom Ruhm, verführt vom Geld, verführt von der Aussicht auf einen echten Knüller. Wechselseitige Verführung ist das Überthema unserer Serie.

„Schtonk“, das war die Filmsatire von Helmut Dietl zum Fälscherskandal. „Faking Hitler“, das ist die sechsteilige Serie bei RTL+. Wo liegen die wesentlichen Unterschiede?
„Schtonk“ ist eine Satire. „Faking Hitler“ ist ein Drama. „Schtonk“ hat für die durchschlagende komödiantische Wirkung darauf verzichtet, auch die Untiefen von Kujau zu erzählen. Genau diese Untiefen Kujaus, Heidemanns und die der Gesellschaft Anfang der 80er Jahre standen bei uns im absoluten Fokus.

Moralischer Kompass

Anders als bei „Schtonk“ haben Sie mit der Jungredakteurin Sinje Irslinger eine Art moralischen Kompass in die Serie eingebaut. Warum?
Was hat der Opa im Krieg gemacht? Was ist das für eine Uniform, die der Großonkel Johann da auf dem Bild trägt? Solche Fragen, Anfang der 80er Jahre, waren wahrscheinlich die emotionalste Art, einen gesellschaftlichen Bestand aufzunehmen. Da dieses Thema im ursprünglichen Stoff nicht abzudecken war, haben wir den Erzählstrang um die Journalistin Elisabeth Stöckel ergänzt, die sich mit der Nazivergangenheit ihres Vaters auseinanderzusetzen hat.

Sie sind Showrunner der Produktion. Heißt: Der Schuldige für alles?
Schuldig im Sinne der Anklage.

Problem Rechtsradikalismus

In den Presseunterlagen werden Sie folgendermaßen zitiert: „Die vermeintlichen Hitler-Tagebücher haben keinerlei Ekel, sondern nur Faszination ausgelöst. Und das wäre heute wahrscheinlich nicht anders als in den 80er Jahren.“ Die Deutschen, das sind auch 2021 die Unverbesserlichen mit Drall zum Nationalsozialismus?
Wenn man zum Beispiel nach Frankreich schaut, oder auch nach Ungarn, wird klar, dass wir in Deutschland nicht allein dastehen mit dem Problem Rechtsradikalismus. Ich denke aber, wir haben aufgrund unserer Vergangenheit eine noch größere Verantwortung, diesem Problem effektiv zu begegnen.

Lars Eidinger spielt Gerd Heidemann, Moritz Bleibtreu Konrad Kujau. Bei der Besetzung blieben keine Wünsche offen, oder?
Und dann ist da noch die fantastische Britta Hammelstein, Ulrich Tukur, Sinje Irslinger… Selbst wenn ich mich noch so doof angestellt hätte beim Schreiben der Bücher, dieser Cast hätte die Serie in jedem Fall zu einem Erfolg gemacht.

Die Fragen stellte Joachim Huber.

Tommy Wosch ist Drehbuchautor und Showrunner der Serie „Faking Hitler“, die von Ufa Fiction produziert wurde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false