zum Hauptinhalt
Er ist wieder da. Aber nicht persönlich. In der Castingshow lässt Stefan Raab Kandidaten ihr Liedgut unter einer schalldichten Glasglocke vortragen.

© dpa

Show auf Pro7: Wie Stefan Raab die Showbühne umdreht

In „FameMaker“ auf ProSieben dreht Stefan Raab ein bewährtes Showkonzept wieder um. Und vertut dabei eine Diskurschance.

Stille ist nicht unbedingt die Kernkompetenz von ProSieben. Unaufhörlich ist dort irgendwas am Scheppern, Krachen, Brüllen, Singen – mal schön, mal scheußlich, aber selten leise. Wer am Donnerstag um 20 Uhr 15 „FameMaker“ sieht, könnte also kurz irritiert am Flatscreen rütteln vor lauter Lautlosigkeit, obwohl sie meist nur Sekunden währt. In der nächsten großen Castingshow tragen die Kandidatinnen und Kandidaten ihr Liedgut unter einer schalldichten Glasglocke vor. Sobald die Jury darunter Talent vermutet, wird sie diese gelüftet, und es erklingt mal schöner, mal scheußlicher, aber selten leiser Gesang.

Klingt interessant? Kein Wunder: Ist ja auch von (nicht mit) Stefan Raab. Klingt überdies seltsam bekannt? Ist schließlich das spiegelverkehrte Spin-off von „The Voice“, wo der visuelle nach dem akustischen Reiz erfolgt („FameMaker“, Donnerstag, Pro7, 20 Uhr 15).

Aber ist es auch sehenswert, anspruchsvoll, womöglich gar bedeutsam, wenn die Form hier anders als beim Antivorbild auf gleichem Kanal wie so oft im TV-Entertainment die Funktion definiert statt umgekehrt? Wenn also nur jene weiterkommen, die sich vor allem äußerlich gut präsentieren?

Oberflächlich betrachtet ist „FameMaker“ nur ein neuer Stein im LED-grellen Mosaik des Trash-TV. Wie bei „DSDS“ werden Ulknudeln und Naturtalente so virtuos kombiniert, dass Fremdscham und Profitinteresse gleichsam grundversorgt werden. Wie bei „The Voice“ entscheiden die Juroren nach Eindruck eines Teils sensorischer Fähigkeiten, wen sie zur Finalrunde begleiten.

Anders als in den „Blind Auditions“ kann man sich während der „Deaf Auditions“ zwar hoffnungslose Fälle ins Team buzzern. Wie bei jeder vergleichbaren Show nutzen die Schiedsrichter das Rampenlicht der anderen aber ohnehin bloß zur Exposition des eigenen Egos – dafür stehen allein schon die Rampensäue Luke Mockridge, Carolin Kebekus und Teddy Teclebrhan.

So erleben wir zu Beginn der ersten Staffel, dass Letzterer den lausigen Allerweltsänger Gerry aus Stuttgart nur deshalb mit großem Aplomb ins Team wählt, weil dessen Tochter so glaubhaft nervös am Bühnenrand schwäbelt. Lias Profistimme hingegen wird im Anschluss ungehört verhallen, da Teddys Jurykollegen allen Ernstes ihr Outfit zu extravagant finden.

Weil der beste Look „delivered“ wurde

„Das ist doch bloß Ablenkung“, sagt der Dampfplauderer Mockridge über den elektrischen Dominadress des Popprofis und bringt das dialektische Potenzial einer Sendung damit auf den Punkt, die von der Diskrepanz zwischen Ursache und Wirkung erzählt, ohne sie offen zu thematisieren.

Ob „FameMaker“ eine Selbstreflexion genretypischer Oberflächlichkeiten ist oder genau die nur noch weiter ausschlachtet, das wird mit jedem Auftritt unter der Isolationskuppel schwerer zu beurteilen. Immerhin: Was Schein ist und was Sein – solche Fragen lassen sich vernunftbegabte Zuschauer am Bildschirm sonst eher von Arte beantworten. „Aber mit richtig portionierter Ironie“, meint Senderchef Daniel Rosemann über ein Format, das er Stefan Raab angeblich nach nur 30 Sekunden Bedenkzeit abgekauft hat, halte dessen Erfindung der eigenen Branche eher den Spiegel vor.

Sofern man es merkt. Die Sollbruchstelle aller Selbstironie besteht in der Fähigkeit des Publikums, sie als solche zu erkennen. Bis zum Live-Finale nach vier Castingrunden kippt ProSieben so viel Firlefanz über die Stille des tonlosen Vortanzens, dass für philosophische Debatten kaum Platz im Kopf bleibt.

Moderiert vom ESC-Sieger Tom Neuwirth alias Conchita Wurst wird jeder Diskurs über die Wechselwirkung von Form und Funktion in ein aufdringliches Denglisch getaucht, dass niemand mehr versteht, was hier famen darf, weil der beste Look „delivered“ wurde oder der Song so „hard genailt“.

Diskurschance vertan also. Könnte man meinen – oder bei jeder Gesangseinlage kurz den Ton abdrehen, um Inhalt und Optik unbeeindruckt vom Gefasel des ProSieben-Personals zum Abgleich zu bringen. Das könnte nicht nur spannend werden, sondern so manche Schublade im eigenen Denken schließen. Mehr erreicht ProSieben nur mit Joko & Klaas, wenn sie 15 Minuten Sendezeit zur freien Verfügung gewinnen. Also fast nie.

Jan Freitag

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false