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Sequel zum "Tatort" von 1991: Möglichkeiten des Lebens

28 Jahre später: Der „Tatort“ führt die Polizisten Stefan Tries und Lena Odenthal alias Ben Becker und Ulkrike Folkerts wieder im "Tatort" zusammen.

Lena Odenthal wird 30! Nicht ihre Darstellerin, Ulrike Folkerts, die ist ein bisschen älter, nein, ihre Kriminalkommissarin fahndet seit 30 Jahren in, um und um Ludwigshafen herum. Eine solche 30erWegmarke muss natürlich gefeiert werden. Die verantwortliche „Tatort“-Redaktion des Südwestrundfunks hatte dafür eine famose Idee – ein Sequel zum dritten Odenthal-Krimi von 1991. Der hieß „Tod im Häcksler“, war eine Regiearbeit des heutigen Ufa-Chefs Nico Hofmann und geschrieben von Stefan Dähnert. Der Krimi erregte damals die Menschen in der Westpfalz, Schauplatz und Drehort. Sie fühlten sich durch die Darstellung der dumpfen und brutalen Dorfgemeinschaft verunglimpft.

Nähe zwischen Polizistin und Polizist

Andere Zeiten, neue Zeiten. Der „Tatort: Die Pfalz von oben“ kehrt nach Zarten zurück. Ein junger, engagierter Polizist (Max Schimmelpfennig) ist bei der Routinekontrolle eines Lkw-Fahrers erschossen worden. Er war Kollege von Stefan Tries (Ben Becker), Leiter des Polizeireviers in Zarten. Tries war vor fast 30 Jahren ein aufstrebender Polizist in ebenjenem Ort, hatte Lena Odenthal bei der Fahndung unterstützt. Die Polizistin und der Polizist, der coole Marlon-Brandon-Auftritte hinzulegen verstand, waren sich nahe, sehr nahe gekommen.

Die Kommissarin reist in die Vergangenheit, die ihre Gegenwart und die von Stefan Tries ist. Der Polizist ist ein gealterter Provinzkönig geworden, der eine sehr eigene Sicht darauf hat, was in seinem Reich rechtens ist. Sein gesamtes Revier wie auch das Umfeld profitieren von den Pfründen, die Tries vergibt. „Hier sind wir das Gesetz“, sagt er. Aber da war Benny Hilpert, ehrgeizig wie einst Stefan Tries, der sich mit der Korruption in dem Provinzort keineswegs abfinden wollte. Hilpert wurde zur Gefahr. Sein Tod ruft die Kommissare Odenthal und Johannes Stern (Lisa Bitter) auf den Plan. Das Königreich gerät ins Wanken, dito sein König. Und der Häcksler von 1991 kommt auch wieder ins Spiel.

Zeitreise. Nach 28 Jahren spielen Ben Becker und Ulrike Folkerts wieder Stefan Tries und Lena Odenthal im "Tatort".
Zeitreise. Nach 28 Jahren spielen Ben Becker und Ulrike Folkerts wieder Stefan Tries und Lena Odenthal im "Tatort".

© SWR

„Die Pfalz von oben“ wird sicher nicht zu Protesten in der Westpfalz führen, möglicherweise wird sich mancher Polizist in seiner Beamtenehre angegriffen fühlen. Nein, dieser Krimi ist ein Drama, an manchen Stellen eine Reflexion über die Möglichkeiten des Lebens, eines Lebens, wie Stefan Tries es geführt hat und führt. Es geht um korrumpiertes Leben, um gelebtes Leben und vergebene Träume. Was Hassliebe zur Heimat aus einem Menschen machen kann, welche Deformationen entstehen, wenn die Entscheidung zum Hierbleiben immer wieder bereut wurde. Das brauchte Ersatz, Befriedigung von anderer Seite – den König von Pfälzisch-Sibirien.

Der Fall wird auch für Lena Odenthal zu einer persönlichen Frage. Eine kurze Rückblende in den „Tatort“ von 1991 zeigt, was die Polizistin und der Polizist für ein strahlendes, attraktives Paar waren. Viele Wege führten in die Zukunft. Was daraus geworden ist? Tries regiert ein Dorf, Odenthal trägt weiterhin die Lederjacke. Dass das ermittlerische Potenzial und das persönliche Profil der Kommissarin gewachsen sind – keine Frage. Das Sequel zeigt aber auch, was der Preis dafür war.

Die Wiederbegegnung schafft neue Nähe, die unterschiedlichen Entwicklungen werden sie wieder auseinandertreiben. Polizistin und Fahndung, das geht zusammen, Polizist und Drogenhandel, das führt auseinander.

Buch und Inszenierung finden zueinander

Die sorgfältige Handlungsanweisung, die introspektive Personenzeichnung, die trotz angestrebter Tiefenlotung den Tries und die Odenthal wie auch die übrigen Figuren mehr im Andeutungs- als im Ausdeutungsszenario belassen – von solcher Art ist das an Konjunktiven – was wäre gewesen, wenn? – reiche Drehbuch von Stefan Dähnert. Regisseurin Brigitte Maria Bertele findet dafür die Entsprechung in raumgreifenden Bildern der Westpfalz, die von der Offenheit des Lebens quasi träumen – Westernassoziationen im Heimatdrama. Von den Chancen, die ein Stefan Tries selbst als Outlaw gehabt hat, gegen die er sich aber entschieden hat, um eine Existenz im dörflichen Karree zu leben. Es ist eine Zuschauerfreude, wie Buch und Inszenierung zueinanderfinden.

"Die Pfalz von oben“ versammelt ein vielköpfiges, stimmig agierendes Ensemble, aber dieser Krimi will bei aller Fahndungsintensität die Konzentration auf die Polizistin und den Polizisten, gespielt von Ulrike Folkerts und Ben Becker. Ihre Figuren haben sich in die Routinen von Leben und Beruf eingepasst, wohingegen die erneute Begegnung diese Routinen aufbricht. Diese Festigkeit wie das Changieren, die neue Unsicherheit werden von der Schauspielerin und dem Schauspieler sorgfältig fixiert. Selten sind im (Odenthal-)„Tatort“ Menschen so plastisch und doch so luftig modelliert worden.

„Die Pfalz von oben“ ist der 70. Krimi mit Lena Odenthal alias Ulrike Folkerts. Und wenn die nächsten Folgen von vergleichbarer Intensität und Qualität sind, dann kann ohne Not die Marke von hundert „Tatorten“ angesteuert werden.

„Tatort: Die Pfalz von oben“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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