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Richtungsentscheidung: Der Europäische Gerichtshof EuGH musste im Rechtsstreit VG Media vs. Google entscheiden, ob das deutsche Leistungsschutz angewendet werden muss.

© Julian Stratenschulte/dpa

Schlappe vor Europäischem Gerichtshof: EuGH kassiert deutsches Leistungsschutzrecht

Das deutsche Leistungsschutzrecht kann nicht angewendet werden, urteilt der Europäische Gerichtshof. Berlin hätte die EU zuvor informieren müssen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am Donnerstag ein richtungsweisendes Urteil zu dem vor sechs Jahren eingeführten deutschen Leistungsschutzrecht für Presseverleger gefällt. "Die deutsche Regelung, die es Suchmaschinen untersagt, Pressesnippets ohne Genehmigung des Verlegers zu verwenden, ist mangels vorheriger Übermittlung an die Kommission nicht anwendbar", urteilten die Luxemburger Richter. Bei dem im August 2013 in Deutschland eingeführten Leistungsschutzrecht handele es sich um eine "technische Vorschrift", deren Entwurf der Europäischen Union zu notifizieren sei, begründete das Gericht die Entscheidung. Der zuständige EU-Gutachter, Generalanwalt Gerard Hogan, hatte bereits im Dezember 2018 die Ansicht vertreten, dass das deutsche Leistungsschutz wegen der fehlenden Notifizierung nicht anwendbar sei.

Es geht um Milliarden-Summen: Für die Zeit von August 2013 bis Ende 2018 hat VG Media von Google rückwirkend 1,24 Milliarden Euro verlangt. Die Forderungen für die Jahre 2019 bis 2024 sind gestaffelt und liegen zwischen 3,44 Milliarden und 8,5 Milliarden Euro zum Ende dieser Laufzeit. Google weigert sich jedoch zur Zahlung für die Snippet-Verwendung und argumentiert, die Verlage profitierten durch die Verlinkung der Nachrichtentexte, weil so zusätzliche Nutzer auf die Webseiten gelangten und zu höheren Werbeerlösen beitragen.

Markus Runde, Geschäftsführer der VG Media, macht darauf aufmerksam, dass sich der EuGH "nur zur Vergangenheit" geäußert habe. "Auswirkungen auf laufende Verfahren sind zu prüfen", sagte Runde. Auch stelle die Entscheidung nicht ab auf das soeben erlassene materielle Recht, um dessen Durchsetzung es dem deutschen und europäischen Gesetzgeber gerade jetzt geht, sagte er mit Blick auf das jüngst verabschiedete europäische Urheber- und Leistungsschutzrecht. Sollten Digitalunternehmen wie Google oder Facebook "sogar das europäische Presseverlegerrecht ignorieren und die Zahlung angemessener Vergütungen an die Presseverleger wiederum ablehnen, wird die VG Media die Rechte der Presseverleger erneut gerichtlich durchsetzen", kündigte VG Media an.

Nach der EuGH-Entscheidung ist das deutsche Leistungsschutzrecht faktisch unwirksam. Auf die vom EU-Parlament verabschiedete Novelle des europäischen Urheber- und Leistungsschutzrechts hat das Urteil jedoch höchstens einen indirekten Einfluss. Anlass für die zahlreichen Proteste und Demonstrationen waren zwar die Regelungen gegen Urheberrechtsverstöße auf Plattformen wie Youtube - Stichwort Upload-Filter, zum neuen EU-Urheberrecht gehört aber auch ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverlage.

Bald nach europäischem Recht

Das europäische Urheber- und Leistungsschutzrecht ist seit Juni in Kraft, es muss von den Mitgliedsstaaten bis 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Der EuGH hat sich in seiner Entscheidung nur zum deutschen Leistungsschutzrecht geäußert, so dass die Regelungen, nach denen Suchmaschinen wie Google Snippets nur unter bestimmten Bedingungen verwenden dürfen, dann wiederum gelten - allerdings ohne Anspruch auf rückwirkende Entschädigungszahlungen.

Die Verwertungsgesellschaft stützt sich dabei auf das im August 2013 eingeführte deutsche Leistungsschutzrecht. Danach müssen Suchmaschinen wie Google die Presseverlage dafür entschädigen, wenn sie längere Textpassagen ohne Zustimmung der Rechteinhaber öffentlich zugänglich machen. Erlaubt sind nach dem Leistungsschutzrecht nur kurze Snippets. VG Media vertritt zahlreiche Medienhäuser, darunter die Verlagsgruppen Springer, Funke und Madsack. Der EuGH war vom Berliner Landgericht angerufen worden, der auf Klärung der Notifizierungsfrage gedrängt hatte.

Die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger bedauern die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Sie stehe "im Gegensatz zur Einschätzung der Bundesregierung, der Europäischen Kommission sowie weiterer Mitgliedsstaaten, die eine Notifizierung durchgehend nicht für geboten hielten", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Verbände BDZV, VDL und VDZ. Nun sei es „Aufgabe des deutschen Gesetzgebers, schnell für Rechtssicherheit zu sorgen und das europäische Presseleistungsschutzrecht zügig und eindeutig vorab umzusetzen“.

Nach Meinung von Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, ist Entscheidung des EuGH "für Union und FDP nur peinlich". Die damalige schwarz-gelbe Koalition habe das umstrittene Leistungsschutzrecht durchgedrückt und damit nicht das erforderliche europäische Verfahren eingehalten. "Wir haben sie schon damals gewarnt, dass dieses Verfahren gegen Europarecht verstößt", sagte Rößner dem Tagesspiegel. Die Bundesregierung habe es jedoch vorgezogen, den Kopf in den Sand zu stecken. "Ich fordere von der Bundesregierung jetzt Antwort darauf, wie dieser Schlamassel aufgelöst werden soll."

Staatshaftung für die Prozesskosten?

Medienrechtsanwalt Christian Solmecke sieht nach der Schlappe vor dem EuGH nun den deutschen Staat gefordert: "De facto wird das Urteil vor allem Auswirkungen für die klagenden Verlage haben: Das langjährige Verfahren gegen Google hat wegen der sehr hohen Streitwerte im Milliardenbereich etwa zehn Millionen Euro an Prozesskosten verursacht. Hier wird zu klären sein, ob der Staat letztlich – wie in einem Gutachten des Bundestages angeführt – über die Staatshaftung diese Kosten übernehmen muss. Das wäre nur fair, denn schließlich hat der Staat hier einen Fehler gemacht und zwingende Formforschriften nicht beachtet", meint der Kölner Jurist.

„Der EuGH hat damit Alleingängen des deutschen Gesetzgebers einen Riegel vorgeschoben,“ sagt hingegen der Berliner Medienanwalt Ehssan Khazaeli von der Kanzlei Von Rueden in einer ersten juristischen Einschätzung des Urteils: „Zwar spricht nichts gegen die gesetzliche Einführung eines Leistungsschutzrechts, allerdings muss auch sichergestellt werden, dass die Europäische Union möglichst frühzeitig die Effekte eines solchen Gesetzentwurfs auf das Funktionieren des Binnenmarktes untersuchen kann,“ sagte Khazaeli weiter. Das sei nicht möglich, wenn einzelne Mitgliedsstaaten im Alleingang Insellösungen durchdrücken. 

Der Deutsche Journalisten-Verband DJV bedauert, dass es nach dem Urteil von Luxemburg für die Journalisten wohl keine Zahlungen für die Jahre 2013 bis 2019 geben wird. "Das ist für die Betroffenen alles andere als erfreulich", sagte Verbandssprecher Hendrik Zörner. An den deutschen Gesetzgeber habe man nun "die klare Erwartung, dass bei der Übernahme der EU-Richtlinie in deutsches Recht die deutsche Version so rechtssicher ausfällt, dass den Journalisten und Journalistinnen nicht wieder das gleiche blüht wie beim deutschen Leistungsschutzrecht".

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